Greeny meets Postschiff
Als ich am anderen Morgen den Kopf aus dem Zelt stecke, schiebt sich gerade die Morgenfähre durchs Bild. Ich habe wunderbar geschlafen und bin noch ein wenig verpennt.
Die Uhr im Cockpit zeigt gerade halb neun, als ich schon wieder auf der Küstenstraße nach Norden fahre. Nur wenige Autos sind heute morgen auf der Fv17 unterwegs und auch das Wetter sieht gut aus. Heute abend zelte ich schon ganz nah am Polarkreis.
Vor einem EUROSPAR Markt am Ortsrand von Brønnøysund halte ich an. Mit Bedauern stelle ich fest, dass es kein Café gibt, wie ich das von anderen Supermärkten kenne, aber irgend etwas werde ich schon finden. Kurz darauf stehe ich wieder draußen und mampfe gut gelaunt das Frühstück in mich hinein, zwei gebratene Karbonaden und eine Apfeltasche.
Obwohl ich nicht in Eile bin, gibt es den einen Termin, den ich gerne einhalten möchte: Um 13.30 Uhr legt ein Schiff von Hurtigruten aus Sandnessjøen ab. Das könnte ich gerade schaffen.
Schon von weitem entdecke ich das Postschiff, das gerade ablegt. Es ist genau 13.30 Uhr und wenn ich noch ein Foto machen will, dann muss ich mich jetzt beeilen.
Das Befahren des Kais ist verboten, aber darauf kann ich in dieser Lage keine Rücksicht nehmen.
"Greeny 11/1, Sonderrechte zugelassen", höre ich in Gedanken den Funkspruch der Leitstelle und düse ohne Stop an den Verbotsschildern vorbei direkt auf den Kai, bis mir ein Gitterzaun den Weg versperrt.
Ganz langsam schiebt sich die Kong Harald vom Pier weg ins Hafenbecken. Sie ist ein Postschiff der neueren Generation, aber trotzdem finde ich die alte MS Lofoten, auf der Claudia und ich gefahren sind, viel schöner.
Meine Aktion erregt keinerlei Aufsehen und so komme ich in Sandnessjøen ganz ungestört zu meinem Foto, Greeny meets Postschiff.
Mit knapp neunzig fahre ich eine lange Gerade entlang, als die Straße hinter einer Kuppe unvermittelt auf dem nächsten Fähranleger endet. Energisch bremse ich die Kawasaki zusammen, und steppe blitzartig fünf, vier, drei, zwei, durchs Getriebe, während mir das Adrenalin bis in die Haarwurzeln schießt. Mit rauchenden Reifen komme ich auf dem kleinen Parkplatz zum Stehen.
Sowie ich die Panik niedergekämpft habe, nehme ich betont lässig den Helm ab und setze ein gelangweiltes Gesicht auf. Insgeheim aber denke ich, dass eine kleine Vorwarnung nicht schlecht gewesen wäre.
Wie ich es sowas von nicht liebe, wenn mir jemand meine mühsam erdachten, vorurteilsfreien Charakterstudien kaputt macht: Zuerst der Fähreinweiser, total freundlich und mit einem Lächeln. Nun gut, denke ich, seine Mutter ist vielleicht Deutsche. Dann aber, ich stehe an Deck und glotze in die Unendlichkeit, kommt ein Typ auf mich zu, Ende 30, größer noch als ich, schlank, sportlich, hübsche Augen, tolle Stimme und verwickelt mich charmant in ein Gespräch. Ich bin völlig hingerissen, aber wohl mehr von meinem Passing.
In Nesna, dem nächsten Hurtigrutenhafen, wird es Zeit einzukaufen. Heute abend gibt es Kotelett und Kartoffelsalat. Beides wiegt je ein Pfund und erst zu Hause wird mir auffallen, dass der Salat fast so teuer ist, wie die Koteletts. (Notiz ins Tagebuch: Keinen Salat mehr kaufen.)
Durch Norwegen zu reisen, bedeutet durch Tunnel zu fahren. Schon am Eingang schlägt mir ein eisiger Hauch entgegen. Die meisten Tunnel sind nur trübe beleuchtet, düster, nass und eisekalt. Ich finde es spannend, durch die langen, dunklen Röhren zu heizen, aber manche sind viele Kilometer lang, so dass mir langweilig wird und ich mich freue, wieder ans Tageslicht zu kommen. Dabei bewundere ich die Radwanderer, die sich einsam durch die Dunkelheit kämpfen.
Ich könnte langsamer fahren, aber das ist keine Option, wenn man eine Enduro fährt. Die Straße ist schmal und ein Wohnmobil mit Berliner Kennzeichen bleiert unsicher in der Mitte der Fahrbahn dahin. Ich beobachte den Fahrer im großen Rückspiegel seines Campers, aber er ist so mit Langsamfahren beschäftigt, dass er mich überhaupt nicht bemerkt.
Das Camp liegt an einem Steilhang zwischen der Straße und dem Fjord. Ich parke vor der Rezeption und gehe hinein. Ein Teenager, offensichtlich eine Aushilfskraft, bedient den Tresen. Ich erkläre ihm, dass ich eine Nacht zelten und mit VISA Karte bezahlen möchte. Total freundlich nimmt er meine Daten auf und tippt sie in einen betagten Computer, dessen Monitor so steht, dass ich nicht draufgucken kann.
"Oh, no, the system crashed", ruft er plötzlich aus und ich muss beinahe lachen, so aufgesagt klingt es. Durch den Systemcrash lässt sich keine Quittung drucken und auch die Zahlung mit Kreditkarte ist nicht möglich.
"No problem", versichere ich und zahle den Preis für die Übernachtung in bar, 16 Euro. A little extra business on the side, denke ich und muss schmunzeln. Ich mag den jungen Entrepeneur und außerdem erinnert mich die Situation an diesen Zeltplatz in Nordirland.
Das Motorrad lasse ich erst einmal stehen und erkunde das Camp zu Fuß, um einen Platz für mein Zelt zu finden. Wie so oft ist die Zeltwiese der Katzentisch des Camps, eine unebene Wiese, auf der man kaum vier Quadratmeter ebenen Grund findet.
Die Filetstücke in der ersten Reihe mit Blick auf den Fjord sind für Wohnmobile reserviert und nur weil es Gravelplätze sind, stelle ich mich nicht dazu, sonst hätte ich genau das getan, denn ich zahle denselben Preis, nur dass ich die Gebühr für den Stromanschluss spare.
Als das Lager steht und ich endlich den Reißverschluss hinter mir zuziehe, kommt Wind auf, ein Vorbote des nahenden Gewitters. Es sind schwülwarme 21° und die Luft steht im Tal. Mit dieser Wärme hatte ich so weit nördlich nicht gerechnet.
Im nächsten Moment öffnet der Himmel seine Schleusen und ein heftiger Gewitterregen prasselt aufs Zelt herunter. Eine Riesenshow mit Dunkelheit, Blitz und Donner und wahren Sturzbächen aus Regenwasser. Zufrieden grinsend sitze ich auf meinem Schlafsack, genieße die Lightshow und freue mich, im Trockenen zu sein.
Während ich noch ganz in Selbstzufriedenheit versunken bin, fällt mir siedend heiß ein, dass ich mein Handtuch draußen vergessen habe. Mein einziges Handtuch. Mist, das hatte ich zum Trocknen auf die Leine gehängt.
Der Regen endet so plötzlich, wie er gekommen ist und als ich die Nase aus dem Zelt stecke, scheint draußen bereits wieder die Sonne und die Wiese trocknet dampfend ab. Es sind noch immer 15°, aber jetzt ist die Luft angenehm frisch. Letztes Jahr um diese Zeit lagen hier noch Schnee und Eis. Norwegen erlebt gerade einen Jahrhundertfrühling.
Ich ziehe meine Stiefel an und wringe zuerst das nasse Handtuch aus, bevor ich es zurück auf die Leine hänge. In ein paar Wochen ist es sicher wieder trocken.
Auf dem Weg ins Waschhaus komme ich an einigen Hütten vorbei, die von Anglern belegt sind. Rau aussehende Kerle zwischen 40 und 60, die das Gewitter auf den Terrassen ihrer Hütten abgewartet und dabei reichlich getrunken haben. Die vielen leeren Bierdosen sprechen eine deutliche Sprache.
Ich wandere den Sandweg vor den Hütten entlang und fühle mich nicht ganz wohl in meiner Haut. Diese Blicke kenne ich und auch an das pseudo charmante Anquatschen erinnere ich mich gut, schließlich habe ich einmal selbst recht erfolgreich für das andere Team gespielt. Gerade deshalb sind mir diese Typen unangenehm und ich bin froh, noch nicht das Minikleid angezogen zu haben. Heute lasse ich lieber die Bikersachen an.
Pieps hat schon dreimal listig gefragt, ob sie wieder solange spielen darf, bis es dunkel wird und ich habe ja gesagt, weil ihre Äuglein schon ganz klein sind und sie sowieso in ein paar Minuten fest eingeschlafen ist. So kann man sich irren...
Aber auch ich kann nicht einschlafen und bin noch immer hellwach. Ob das mit dem Licht zusammenhängt? Normalerweise mache ich die Augen zu, es wird dunkel im Kopf und innerhalb von Minuten bin ich fest eingeschlafen.
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Ich war erstaunt, dass es am Polarkreis so warm sein kann. Morgen überquere ich den Wendekreis und dann bin ich in der Arktis. Ob es da kälter ist?