Trollstigen
Die ganze Nacht hat es geregnet und auch heute morgen ist es nass, als ich vom Camp hinunter nach Geiranger fahre. Ist das Nebel oder Sprühregen, oder sind das tiefhängende Wolken? Überall ist Wasser in der Luft, ohne dass man einzelne Tropfen unterscheiden kann.
Der Ort hat keine 300 Einwohner, aber eine Tankstelle gibt es trotzdem, wobei Tankstelle fast zuviel gesagt ist, denn es sind nur zwei Zapfsäulen vor einem Outdoorshop. Beim Bezahlen im Laden fällt mir einmal mehr auf, wie wenig freundlich die Norweger sind. Sie sind nicht direkt unfreundlich, aber es fehlt jedes Lächeln und jedes überflüssige Wort. An diese Art muss ich mich noch sehr gewöhnen.
Hinter Geiranger trägt die Rv63 den Namen Ørnevegen, Adlerstraße, und man versteht, woher der Name kommt, wenn man den sagenhaften Ausblick zurück auf den Geirangerfjord sieht. Auf elf Serpentinen schraubt sich die Straße den Berg hinauf. Oben angekommen gibt es eine Aussichtsplattform mit einem Parkplatz auf der anderen Straßenseite, aber Greeny ist so leicht, dass ich direkt auf die Plattform fahren kann.
Es ist trübes Regenwetter, die Wolken hängen tief in den Bergen und ich nehme nicht einmal den Helm ab zum Fotografieren. Gerade läuft die Fähre von Valldal in den Fjord ein. Die Anlegestelle liegt genau hinter der Tankstelle in Geiranger.
Langsam fahre ich zurück nach Eidsdal und erst als ich den Parkplatz am Wasser bemerke, verstehe ich, was ich falsch gemacht habe. Die Rv63 geht am anderen Ufer des Fjords weiter und dazu muss ich die Fähre nehmen.
Oh, die Fischstäbchen sehen aber gut aus. Jedenfalls lachen die Kinder auf der Packung fröhlich in die Kamera und Fischstäbchen habe ich schon immer geliebt. Das Päckchen mit zehn Fiskepinner kostet 22,90 NOK, ungefähr 2,85 Euro. Die sind sicher gut, denke ich und lege zwei Pakete davon in meinen Korb.
Jetzt brauche ich noch etwas zum Essen für jetzt. Ich kaufe ein Päckchen mit Salamischeiben, zwei Brötchen und ein Stück Luftschokolade. Draußen auf dem Parkplatz mache ich mich mit Heißhunger über die Salami her. Sie schmeckt würzig und hat genau den richtigen Biss. Die mag ich, auch wenn die Zutaten ein wenig abenteuerlich klingen, denn Strandamør besteht aus Hammelfleisch, Schweineherzen und Rinderfett.
Nachdem ich mich richtig satt gegessen habe, fahre ich weiter. Zum Trollstigen sind es nur noch 37 Kilometer, aber schon nach hundert Metern halte ich wieder an, um eine alte Holzkirche zu fotografieren. Kirchen faszinieren mich.
Als ich die höchste Stelle überquere und es wieder bergab geht, verschwindet der Nebel und ergiebiger Regen setzt ein, aber all das nehme ich nur noch am Rande wahr, denn ab hier verschlägt der Trollstigen mir regelrecht den Atem.
Molde ist viel größer, als ich es erwartet hatte. Eine vierspurige Straße führt durch die Stadt und ich kann den Hafen nicht finden. Die Reservelampe beginnt zu leuchten und FUEL, FUEL blinkt es im Display des Tachos. Ich fahre auf eine STATOIL Station und frage beim Bezahlen die Jungs an der Kasse nach dem Weg zum Hafen.
"You're here with a boat?", will einer der Beiden wissen. Wollen die mich verkaspern? Ich habe ja wohl kaum mit dem Boot an Pumpe 01 angelegt. Erst als ich mich in meiner orangen Regenkombi in dem Spiegel hinter der Kasse sehe, wird mir klar, dass die Frage ernst gemeint war. So tropfnass, wie ich hier stehe, sieht die Kombi aus wie ein Überlebensanzug und Boote sind hier oben verbreiteter als Motorräder.
Geduldig erklären mir die Jungs den Weg zum Hafen und danach finde ich ihn ohne Schwierigkeiten. Das Einfahrt-verboten-Schild ignoriere ich und fahre direkt bis auf den Hurtigruten Kai, aber weit und breit ist keines der Schiffe zu sehen. Der verlassene Kai ist ein trostloser Anblick bei diesem Wetter und ich halte mich nicht lange auf und fahre wieder ab.
Der Zeltplatz in Molde erinnert mich perfekt an den miesen Platz in Nordirland letztes Jahr: Ein shice Platz genau an der Straße mit einer abgewohnten Wiese, auf der sich erste Pfützen bilden. Na bravo.
Ohne die Regenkombi auszuziehen, oder den Helm abzunehmen, schnalle ich den Zeltsack ab und schüttele den nassen Klumpen Stoff heraus. Ein kräftiger Wind macht das Aufbauen schwierig und ich muss jede Ecke sofort mit Heringen sichern, damit es nicht davon fliegt. Als das Zelt steht, wische ich das Gepäck trocken und werfe es durch den Eingang hinein. Jetzt noch schnell die Regenkombi, Helm und Stiefel aus und kurz darauf kann ich endlich das Zelt von innen zuziehen. Puh, erstmal Luft holfen. Jetzt kann der Regen aufs Dach trommeln, wie er will, hier drinnen wird es gleich gemütlich. Ich muss nur alles gründlich trocken wischen, bevor ich die Isomatte und den Schlafsack auspacke.
"Entschuldigen Sie", spricht mich ein Mann an. "Wir suchen die junge Frau, die alleine mit dem Motorrad unterwegs ist zum Nordkap."
"Ja, das bin ich", antworte ich völlig verdattert.
"Auf sie ist schon ein Kopfgeld ausgesetzt. Dann kommen Sie mal, das Essen wird kalt. Der Tisch ist schon gedeckt."
Ich traue meinen Ohren nicht. Das ist ja ein Ding. Woher wissen die, wer ich bin? Meine Mutter hat nie etwas gesagt, dass ich nicht mit fremden Männern mitgehen soll und so trotte ich neugierig hinterher.
Es stellt sich heraus, dass es die Angler aus Leipzig sind, mit denen ich auf der Fähre nach Oslo gesprochen habe. Wir haben uns gegenseitig von unseren Urlaubsplänen erzählt. Die Jungs haben sich hier eine tolle Hütte mit allem Komfort gemietet.
In der Hütte warten schon die anderen Drei und tatsächlich ist der Tisch für Fünf gedeckt. Während ich mich noch frage, ob ich das annehmen kann, wird schon das Essen aufgetragen. Es gibt Rindergulasch mit Kartoffelklößen und Rotkohl. Eines meiner Lieblingsessen.
Und gerade wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Dieser Satz kommt mir in den Sinn, als ich mit den Jungs am Tisch sitze, das gute Essen genieße und ihren Wein trinke. Angeregt unterhalten wir uns über Gott und die Welt, über Norwegen, das Angeln, über Motorradreisen und wer weiß, was sonst noch alles.
Danke, ihr Lieben. Ich weiß nicht, ob ihr das hier jemals lesen werdet, aber ihr habt mir die allergrößte Freude gemacht. Gerade an diesem schrecklichen Regentag in Molde konnte ich die Wärme gut gebrauchen. Und es tut mir ein bisschen leid, dass ich soviel von eurem Wein weggetrunken habe und auch noch den letzten Kartoffelkloß genommen habe, aber es hat alles so gut geschmeckt. Die Fischstäbchen habe ich übrigens am nächsten Morgen weggeschmissen. Wer isst schon Fischstäbchen, wenn man Gulasch haben kann...?!
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Die Fahrt über den Trollstigen war auch bei Regen ein Erlebnis, aber am Ende hat das Wetter doch genervt. War das nicht ein irres Erlebnis mit der Einladung zum Essen?