Rudolph und seine Jungs
Als ich an diesem Morgen die Nase aus dem Zelt stecke und zum Himmel sehe, kann ich mein Glück kaum fassen. Die Sonne strahlt über dem Inarisee und am hellblauen Himmel ist kein Wölkchen zu sehen. Ein 1a Premium Morgen mit Prädikat, wie er schöner nicht sein kann und das vierhundert Kilometer nördlich vom Polarkreis.
Ich frage mich manchmal, was in meiner Kindheit schief gelaufen ist, Svenja schläft am liebsten im Zelt und jeden Tag woanders. Nomaden, Beduinen, Zigeuner? Ich weiß es nicht, aber meine Mama hat auch schwarze Haare...
Finnen lieben Cafeterias, in jeder Tankstelle, jedem Supermarkt und an jedem Campingplatz findet man eine Gelegenheit, sich zu setzen und Kaffee zu trinken. Das schätze ich sehr an diesem Land.
Aus einer Glaskanne schenke ich mir am Tresen einen Becher Kaffee ein und traue meinen Augen kaum, das sind doch Jambons!
Diese leckeren Blätterteigbrötchen mit Frischkäse und Schinken, die ich in England kennen und lieben gelernt habe. Inzwischen habe ich selbst ein paarmal welche gebacken, die aber nicht so gut waren, wie die in England, besser als die aus Ivalo aber schon. Dennoch, ein schönes gemütliches Frühstück, soweit das in der Cafeteria eines Supermarktes überhaupt möglich ist.
Bevor ich Ivalo verlasse, tanke ich noch einmal voll. Es ist eine riesige Tankstelle mit Shop und Waschanlage, aber das Benzin muss man draußen am Automaten bezahlen. Ich stecke meine Kreditkarte in den Schlitz und tippe die PIN ein.
Zehn, zwanzig, fünfzig oder hundert Euro will der Automat von mir wissen. Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung, wieviel da reingeht. Drei Liter vielleicht?
Es dauert einen Moment, bis ich kapiere, dass man damit nur den absoluten Höchstbetrag festlegt, an dem die Säule spätestens abschaltet. Man kann also auch hundert Euro wählen und trotzdem nur für acht Euro tanken und bezahlen.
Namenlose Sandwege führen tief in die Wälder und es reizt mich, einfach hineinzufahren und ihnen zu folgen, aber das muss gut vorbereitet sein und ist ein Projekt für einen anderen Tag.
Die Straße führt schnurgeradeaus und die meiste Zeit ist hundert erlaubt. Ich liebe es, auf diese Weise durch die Wälder zu fahren und finde es kein bisschen langweilig. Aufmerksam scanne ich mit den Augen die Waldränder ab, es soll hier viele Rentiere geben, auch wenn ich bis jetzt noch keines gesehen habe.
Wenn es etwas gibt, das ich an Finnland mag, neben der wundervollen Natur und Einsamkeit natürlich, dann ist es seine Diner Kultur. Mitten im Nirgendwo, viele Kilometer von jeder Siedlung entfernt, steht ein Café im Wald. Kalakauppa steht auf dem Holzhaus, das bedeutet Fischhändler, aber das kann ich jetzt noch nicht wissen.
Am Tresen bestelle ich Kaffee und eine Kleinigkeit zu Essen. Erstaunlicherweise gibt es in diesem Café fast nur Fischgerichte und so bestelle ich Schwarzbrot mit Räucherlachs. Das Essen ist unglaublich gut und der Lachs so frisch wie das Schwarzbrot. Am liebsten würde ich jetzt selbst ein Bier trinken, aber das muss warten bis heute abend.
Die Auswahl an Frischfleisch ist, wie so oft in Finnland, enttäuschend. Ich hatte auf leckeres Rentier gehofft, aber stattdessen gibt es nur die übliche Auswahl eingeschweißter Billigwürste und Schweinefleisch der Kategorie 3b. Nichts davon sieht so appetitlich aus, dass ich es voller Begeisterung kaufen möchte.
Ich entscheide mich für Schweinegeschnetzeltes und nehme ein Paket Nudeln Carbonara dazu. Wenn man beides zusammen lange genug in der Pfanne brät, ergibt sich vielleicht etwas Neues, das schmeckt. Ich habe meine Zweifel, aber ich will es versuchen. Hier in Finnland liegt der Schwerpunkt eindeutig in der Getränkeabteilung, Essen folgt erst auf dem zweiten Platz.
Als ich aus dem Supermarkt komme und den Einkauf im Tankrucksack verstaue, beginnt es zu regnen. Ich lasse die Maschine auf dem Parkplatz des Supermarkts stehen und schlendere durch die Innenstadt von Sodankylä.
Die Ladenzeilen sind in einfachen Flachdachbauten untergebracht und wirken billig und abgewohnt. Wikipedia bezeichnet den finnischen Baustil der Gegenwart als "schlichte und effiziente industrielle Bauweise". Sag ich doch: Schlichtbauten mit Renovierungsstau.
Es ist interessant, die Menschen zu beobachten, denn es gibt schon einige Unterschiede zu Kiel. Finnland ist Heavy Metal Land und die Jugend ein gelebtes Piercing inklusive der passenden Outfits. Es ist sicher kein Zufall, dass Bands wie Lordi aus diesem Land stammen. Die Finnen sind eben echte Rocker, was sie mir sehr sympathisch macht.
Die Elterngeneration pflegt einen andere Style und ich beginne zu verstehen, was der Reiseführer meint, wenn er schreibt, in Finnland werde wenig Wert auf Äußeres und modische Kleidung gelegt und stattdessen sei das Praktische vorherrschend. Wörtlich übersetzt bedeutet das: Jogginganzug, Dosenbier und Ballonseide.
Ich beende meinen Stadtbummel und fahre weiter. Das Ziel für heute heißt Rovaniemi, die Hauptstadt Lapplands, eine Stadt von 60.000 Einwohnern, die genau auf dem Polarkreis liegt. Bekannter ist die Stadt aber dadurch, dass hier der offizielle Sitz des Weihnachtsmanns ist.
In Rovaniemi befindet sich das berühmte Postamt, das Briefe von Kindern aus aller Welt an den Weihnachtsmann bearbeitet und beantwortet und natürlich will Pieps unbedingt den "Freunachtsmann" besuchen.
Inzwischen hat der Regen zugenommen und ich bin seit hundert Kilometern in der Regenkombi unterwegs. Als am Stadtrand von Rovaniemi endlich das Santa Claus Village in Sicht kommt, gießt es in Strömen und ich mag kaum das Visier öffnen. Pieps liegt eingekuschelt im Tankrucksack und ihr einziger Kommentar ist: "Ich schlaf schooh!"
Endlich erreiche ich den Campingplatz. Er liegt direkt am Ufer des Kemijoki Flusses. Ich stelle das Motorrad ab und gehe ins Empfangsgebäude. Die Rezeption ist sehr gemütlich und stilvoll eingerichtet und erinnert an eine Hotellobby, das Einchecken erinnert jedoch an die Einreise in die USA: Name, Vorname, Nation, Adresse, Kennzeichen, Passnummer, Zweck des Aufenthalts.
Zweck des Aufenthalts? Die wollen mich wohl veräppeln. Ich will für ein paar Stunden zwanzig Quadratmeter nasse Wiese mieten und bewerbe mich nicht für einen Sitz an der UNO. Das Wetter trägt auch nicht gerade zu meiner Laune bei und so trage ich nur meinen Namen ein und schiebe das Formular zurück über den Tresen. Die Empfangsdame sieht mich fragend an.
"I don't have no passport number and it doesn't matter why I am camping. Maybe for fun?" Ich merke, wie ich langsam warm werde, aber anders als in den USA werde ich hier nicht "Mam" genannt und anschließend getasert, sondern mit einem Achselzucken trotzdem eingecheckt. Entscheidend ist der Zwanziger, den ich über den Tresen schiebe und der entscheidet, ob ich bleiben darf.
Ein Blick zum Himmel sagt mir, dass ich nicht auf das Ende des Regens zu warten brauche. Ich schnalle den Zeltsack ab und mache mich daran, das Lager aufzustellen.
Ein Schwarm beeindruckend großer Mosquitos dreht sofort wieder ab, als sie das Anti Brumm Forte an mir bemerken. Ein dämlicher Name, aber ein absolutes Teufelszeug, kein einziger Mückenstich bisher. Die fünfundzwanzig, die ich habe, stammen noch aus der Zeit, bevor ich daran gedacht habe, mich damit einzusprühen.
Sowie das Zelt steht und alles gemütlich eingerichtet ist, schnappe ich meine Küche und die Vorräte und mache mich auf in die Camperküche, eine halboffene Holzhütte mit Tisch und Stühlen und einem kleinen Herd mit Mikrowelle an jedem Platz. Ich brate das Schweinegeschnetzelte an und kippe nach einer Weile die Nudeln in Sahnesauce dazu. Die Rauchentwicklung ist beachtlich.
Welch eine undefinierbare Pampe, aber immerhin siebenhundert Gramm heißes Essen und die Hälfte davon Fleisch. Heißhungrig wolfe ich alles in mich hinein, bis nichts mehr übrig ist, als ein fettiger Teller und eine völlig verkrustete Pfanne.
Ich liege lang ausgestreckt auf meiner Therm-a-Rest. Der Schlafsack ist ganz dick und fluffig und ich trage nur Leggings und ein Shirt. Seit Stunden schon prasselt der Regen aufs Zelt, aber in meiner kleinen Welt ist es sauber und trocken. Oh, ich liebe Zelten.
In kleinen Schlucken trinke ich das finnische Bier, während ich auf meinem Kindle eine hochgestochene Arbeit aus dem Bereich der Astrophysik studiere, die alles andere als trivial ist und daher meine ganze Aufmerksamkeit beansprucht.
Gerade jetzt zum Beispiel verstehe ich nicht, wieso Captain Weston nicht endlich unsere Photonen-Torpedos einsetzt, denn die Schilde der Odyssey sind schon auf 45% runter und die Zustimmung des Rates braucht er nicht, weil wir uns ja in einer interstellaren Verteidigungssituation befinden. Wenn das so weitergeht, ist unser Schiff bald bloß noch ein Schrotthaufen. Ich hoffe nur, der Captain weiß, was er tut, denn die Aliens haben eindeutig die bessere Technik...
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Finnland überrascht mich. Was als Transitland auf dem Heimweg vom Nordkap gedacht war, entpuppt sich immer mehr als ein Land, das eine eigene Reise wert ist und ich bin gespannt, was die nächsten Tage bringen werden.