Im Fulufjället Nationalpark
Keine Wolke steht am Himmel, als ich in meinem Nachthemd über die Wiese hinauf zum Waschhaus gehe. Die Sonne glitzert funkelnd auf dem Fluss und das Gras ist knochentrocken ohne den gewohnten Tau, der sonst immer meine Ballerinas durchweicht. Motorradwetter, denke ich, und beeile mich mit dem Zähneputzen.
Es gibt nur eine Straße, die durch Idre führt, den Riksväg 70, und so kann ich die Tankstelle nicht verfehlen. Inzwischen ist es eine GULF und keine SHELL Station mehr, aber auf dem Hof steht noch die große gelbe Muschel des Vorgängers.
Zwei riesige Holzlaster stehen vor der Tankstelle, die Reifen staubig, in den Hängern noch Reste von Rinde und Borke. Ich tanke das Motorrad voll und gehe hinein zum Bezahlen. Die LKW Fahrer stehen an einem Tisch zusammen und trinken ihren Morgenkaffee.
Ich bestelle Kaffee und einen French Hot Dog, das ist der mit Senf, und stelle mich zu den beiden Jungs an den Tisch. Der Ältere ist um die 30, staubige Jeans, Workboots, Flanellhemd, und sieht so schwedisch hübsch aus mit seiner frechen Stubsnase, den Sommersprossen und den blonden Haaren. Der Zweite ist ein paar Jahre jünger, sehr schlank, fast hager, und er wird sofort knallrot, wenn ich nur einen Blick in seine Richtung werfe. Ja, die kriegen nicht viele Menschen zu sehen hier draußen.
"Where do you come from?", fragt mich der Ältere und ich berichte in Kurzform von meiner Reise. Er zeigt sich erstaunt, dass eine Frau allein auf der Enduro solch eine Reise macht und ich entgegne, dass ich kein besseres Land dafür wüsste, keines, das sicherer ist und er stimmt mir zu.
Er berichtet, dass die Straße zum Fulufjället ganz besonders schön sei, eine lange einsame Schotterpiste, auf der sonst nur die Holzlaster fahren. Mein Versuch, den anderen Fahrer in unser Gespräch zu verwickeln, führt zu purpurrotem Stottern und ich würde ihn am liebsten einmal drücken, so niedlich sieht er dabei aus, aber ich möchte ihn nicht quälen und ignoriere ihn ab jetzt. So wende ich mich wieder der Stubsnase zu und frage ihn nach einem Geldautomaten. Er ist ebenso stolz, wie ich verblüfft bin, dass es hier im Ort tatsächlich einen Bankomaten gibt.
Kurz darauf brechen die Holzlaster wieder auf in die Wälder und auch ich trinke meinen Kaffee aus und mache mich auf den Weg zum Geldautomaten. Mein Bargeld sollte eigentlich reichen, aber ich mag nicht auf die letzte Krone unterwegs sein und mich auch nicht allein auf das Plastikgeld verlassen. In Norwegen war es mir einmal passiert, dass ein Bagger die Datenleitung gekappt hatte und im ganzen Bezirk nur noch Barzahlung möglich war.
Dieser Eindruck überwältigt mich jedes Mal aufs Neue. Genau das ist es, was ich im Urlaub suche, solche Pisten, solche Wälder, solche Einsamkeit. Vermutlich werde ich mich erst nach Menschen sehnen, wenn ich meine erste Panne habe, denn ich habe keinerlei Ersatzteile und kein Werkzeug mit, außer der kleine Plastiktasche mit dem Kawasaki Bordwerkzeug.
Vielleicht kann ich mit der Enduro bis an den Fall heranfahren und notfalls, im allerschlimmsten Ausnahmefall, gehe ich eben die paar hundert Meter vom Parkplatz bis dorthin. Noch ahne ich nicht, wie sehr ich mit meiner Einschätzung daneben liege.
Eine Schulklasse bricht mit ihrem Lehrer gerade zum Wasserfall auf. Die Kinder gehen schon vor und der Pauker schultert gerade einen Rucksack mit außen liegendem Tragegestell. Ein freundlicher Mann mit einem runden, offenen Gesicht, der mich in seinem Outfit an Ranger Smith, den Gegenspieler von Yogi Bär erinnert. Meine Güte, diese Ähnlichkeit, der Hut, die grünen Rangerklamotten und so ein sympathischer, netter Typ.
Ich spreche ihn an, ob ich ein Foto von ihm und seinem Rucksack machen darf und er stimmt verlegen zu. Das Foto brauche ich für meine Claudia, die mich seit Jahren mit ihrem Vortrag über Die Vorteile außen liegender Tragegestelle bei Expeditionsrucksäcken nervt. Vielleicht freut sie sich, wenn sie merkt, dass sie doch nicht alleine auf diesem Planeten ist.
Ich erfahre, dass Ranger Smith Lehrer und Förster ist und heute mit seiner Klasse einen Tagesausflug zum Wasserfall macht. Er trägt das Brennholz hinauf in den Wald zu einer Feuerstelle, wo sie ihr Mittagessen grillen wollen. Er bietet mir spontan an, mich dazu zu gesellen, aber ich möchte lieber alleine gehen und lehne freundlich ab. Außerdem habe ich gar nichts zu essen mit.
Wir verabschieden uns und ich lasse seiner Gruppe einen gehörigen Vorsprung, indem ich mir zuerst das Besucher Center anschaue.
Der Weg führt über hölzerne Stege quer durch ein Hochmoor und dann hinab zu einem reißenden Fluss. Vermutlich ist es das Wasser vom Njupeskär. Hinter dem Fluss steigt der Pfad steil bergan. Njupeskär 2 steht auf einem Schild, also dürften es noch 200 m bis zum Wasserfall sein, denn Kilometer können ja wohl nicht gemeint sein. Wie sollte ein Mensch so weit zu Fuß gehen?
Mir wird klar, dass doch Kilometer gemeint sind, denn sonst müsste ich längst da sein. Was wohl die Jungs aus meiner alten Motorradgang denken würden, wenn sie mich so sehen könnten? Den Switch zu Svenja hätten Lemmy, Zünder und der Rest der Gang vielleicht noch akzeptiert, aber dass einer aus unserer Endurogang durch die Pampa latscht, solange noch ein Tropfen Benzin im Tank ist, hätten sie nicht verstanden. Das hatte was mit Ehre zu tun. Mit derart düsteren Gedanken schleppe ich mich weiter den Hang hinauf.
Der Weg öffnet sich zu einer Lichtung mit einem Lagerplatz. Zwei Mütter sitzen um ein Feuer und warten darauf, dass die Schulklasse vom Wasserfall zurückkommt. Ich grüße freundich und folge dem Pfad, der nun wieder bergab führt. Jetzt kann es nicht mehr weit sein.
Schon bevor ich die Kinder sehe, höre ich ihre hellen, klaren Stimmen durch den Wald. Wir begegnen uns auf dem schmalen Pfad und müssen dazu immer ein wenig zur Seite ins Unterholz treten. "Hej, hej", begrüßt mich jedes Mädchen und jeder Junge freundlich und ein wenig respektvoll, so als wenn ich eine Erwachsene wäre.
Was ist los mit denen? Kein einziges Mobiltelefon, nicht einmal ein mp3 Player und an der Pausenhütte kein einziges Graffiti. Ich habe das Gefühl, Ranger Smith bereitet seine Kinder nicht auf das wahre Leben da draußen vor. Was nützt es, eine Birke von einem Buchfinken unterscheiden zu können, wenn man nicht mal ein sauberes Tag an einen U-Bahn-Waggon sprühen kann?
Der Weg endet vor einer Schlucht und eine lange Holztreppe führt hinab zum Fluss. Alle 25 Stufen gibt es eine Ausweichstelle mit einer Bank, auf der man sich ausruhen kann. Leichtfüßig hopse ich die Holztreppe hinab und frage mich, für wen wohl diese Pausenbänke aufgestellt worden sind. Weicheier, denke ich abfällig und hopse fröhlich weiter nach unten.
Irgendetwas ist da, jedenfalls habe ich das Gefühl, dass wir auf Anhieb einen Draht zueinander haben. Er kommt mir vor wie jemand, der für das Gute steht, so freundlich, fast naiv und voller Güte, als wüsste er noch nichts von der Welt da draußen, die allmählich von der Leine reißt.
Ich mag den Ranger, die Art, wie er spricht und wie er seine Kinder unterrichtet, dabei könnten wir nicht unterschiedlicher sein: Wir stehen ganz sicher auf der selben Seite, aber als Polizistin habe ich so viel Hässliches gesehen, dass ich ihn um seine schöne Welt beneide und mir von ganzem Herzen wünsche, dass er und seine Leute niemals mit meiner Seite der Wirklichkeit in Berührung kommen müssen.
Ich erzähle ihm von meinen Reisen und von meiner Arbeit und er berichtet mir, wie er mit seiner Familie und seiner Schulklasse hier hergefahren ist: "I made a life decision back in 1997, when my first child was born: Never to drive any faster than 90 km/h."
Nach der Geburt seiner ersten Tochter hatte er entschieden, nicht mehr schneller als 90 zu fahren, um seine Familie niemals in Gefahr zu bringen. Dieser Typ schafft mich mit seinem gütigen Getue und selten hat mich die kurze Begegnung mit einem fremden Menschen so berührt, aber jetzt muss ich weiter, sonst werde ich noch weich und gebe Montag nach dem Urlaub meine Waffe ab. Alles Gute, Ranger Smith und gib gut acht auf deine Leute!
Während ich die restlichen Stufen hinunter zum Fluss steige, kreisen meine Gedanken um das Gehörte. Neunzig? Das ist genau mein Tempo und off Road fühlt sich das nicht einmal langsam an. Dann hätte ich schon das optimale Motorrad für meine Reisen und bräuchte nie nach etwas anderem zu schauen. Aber ich habe ja auch gar keine Pläne, etwas Größeres zu kaufen. Eine bessere Enduro als die KLX habe ich nie besessen.
Etwa 300 m vorm Wasserfall steht ein Ehepaar mit seinem Hund auf dem Weg. "Ob das alles hält?", fragt er zögernd. Erstaunt sehe ich mir den Bohlenweg an, der so massiv ist, dass ich auch mit der Enduro drüberfahren würde, wenn ich dürfte. "Doch, der hält, das ist doch dickes Holz", beschwichtige ich die Beiden, denn der Hund scheint keine Angst zu haben.
"Und was ist, wenn oben in der Wand so ein Schneebrett abgeht, oder Geröll?", fügt seine Frau hinzu und hat damit die Entscheidung getroffen. Die Beiden verabschieden sich, der Hund schnuppert ein letztes Mal am Geländer und die kleine Gruppe tritt vorsichtig den sicheren Rückzug an.
Meine Güte, denke ich, nun sind die kilometerweit durch die Pampa gelatscht, um so kurz vorm Ziel umzudrehen. Die essen sicher auch Gemüse und benutzen feuchtes Toilettenpapier. Ich bin ja selbst immer etwas ängstlich, aber dieser Weg sieht wirklich keinen Millimeter gefährlich aus.
Die Abkühlung in der schattigen Schlucht tut gut und ich bleibe ein paar Minuten auf der Plattform stehen und bestaune die Wassermassen, die mit mächtigem Getöse durch den Canyon rauschen.
Allmählich bekomme ich Hunger und es ist noch ein weiter Weg zurück zum Motorrad und bis zu meinem Campingplatz. Ich schnappe meine Jacke und das Stativ und mache mich auf den Rückweg. Vor der Treppe biegt ein zweiter Weg ab, der ebenfalls zum Parkplatz zurück führt und ich bin froh, so um die endlos lange Treppe herumzukommen.
Unterwegs überhole ich den Hund mit dem Pärchen, die auf einer Bank sitzen und über irgendwas diskutieren. Ich nicke den Beiden kurz zu und marschiere entschlossen weiter über den Bohlenweg zurück zu meiner Enduro.
In Sälen tanke ich voll und esse in der Tankstelle einen Hot Dog. Im Ort gibt es einen modernen ICA Supermarkt und ich bin erstaunt, wieviele verschiedene Sorten Entrecote es gibt, als ich vor dem Fleischtresen stehe.
Die eine Scheibe, die ich in meinen Einkaufskorb lege, wiegt sagenhafte 520 g, ein großer Teil davon bestes Rinderfett. Das muss tatsächlich die Mutter aller Entrecotes sein, denke ich, und merke zu spät, dass ich es laut gesagt habe, denn Pieps ist ganz hingerissen von dem Spruch.
Zu dem Steak kaufen wir zwei Bier, zwei spitze Paprika, die ich mit dem Steak braten will und eine Tafel Schokolade Bubblig, also Luftschokolade. Es sieht nämlich nach Regen aus und ich stelle mich auf einen gemütlichen Abend im Zelt ein.
Ich stoppe die Enduro vor der Rezeption und gehe zum Einchecken hinein. 200 Kronen später darf ich mein Zelt auf die Wiese vor den Ferienhütten stellen. Eine aus dem Boden gestampfte Ferienanlage mit allem Komfort. Vom ADAC bekäme sie sicher 5 Sterne für die makellose Anlage, aber bei Cool Camping würde sie sicher nur einen bekommen, weil die Atmosphäre von Camping und Abenteuer fehlt.
Sowie das Lager steht, gehe ich in die Küche, um die Paprika zu schneiden und meine Ladegeräte an die Steckdosen in der Küche zu hängen, eine willkommene Gelegenheit zum Guerilla Charging, denn jedes Milliampere zählt und ich bin noch nie trocken gelaufen, obwohl ich keine Steckdose am Motorrad habe.
Der Holländer ist ein total netter Kerl. Er ist auf dem Weg zum Nordkap und schon jetzt ziemlich erledigt. Er flucht wie ein Rohrspatz, weil er nicht wusste, dass es in Schweden soviele Gravelroads gibt, die auf den dünnen Fahrradreifen schwierig zu fahren sind.
Morgen will er zurück auf die E45 fahren und dann auf der Europastraße weiter nach Norden. Ich beneide ihn nicht, denn ich erinnere mich gut, wie weit es bis zum Nordkap ist.
Als ich ihm von dem langen Tunnel zur Nordkapinsel berichte, der 7 km lang unter dem Meer hindurch führt, bei 10% Steigung in ziemlicher Dunkelheit, ist er völlig fertig.
Gute Vorbereitung ist alles, denke ich kopfschüttelnd. Hoffentlich schafft er das, denn er reicht mir kaum bis zur Schulter und wiegt sicher nicht mehr als eine nasse Feder. Ich denke unwillkürlich an Tütensuppe.
Apropos Tütensuppe, es wird Zeit unser Abendessen zuzubereiten. Das Steak ist so groß, dass es gerade in die Pfanne passt, wo es nur einen winzigen Spalt Platz lässt für die Paprika. Auch wenn ich sonst kaum Gemüse esse, muss ich doch zugeben, dass es hübsch aussieht.
In der Camperküche treffen wir wieder auf den netten Radfahrer, der in einem Sessel sitzt und einen Blog über seine Reise schreibt, den er mühsam in sein Smartphone tippt.
An so etwas hatte ich auch schon einmal gedacht, vielleicht an ein Netbook, aber ich habe mehr Spaß daran, in der dunklen Jahreszeit an meinem iMac zu sitzen mit all meinen Tools, dem Scanner und dem Grafiktablet.
Wir wünschen dem Radwanderer noch eine gute und gesunde Reise, bevor Pieps und ich durch den Regen zurück zum Zelt laufen und uns in den kuscheligen Schlafsack verziehen. Ich reiße eine Dose Bier auf, öffne die Tafel Schokolade und nehme das Kindle in die Hand. Das verspricht noch ein sehr gemütlicher Abend zu werden.
zum nächsten Tag...
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