Unter Tage
Noch ganz verschlafen tippele ich im Nachthemd über den Campingplatz zum Waschhaus. Meine Dauercamper schlafen noch und ich denke ernsthaft darüber nach, vor ihrem Wohnwagen ein kleines "Ole, ole!" anzustimmen, aber ich bin selbst noch nicht ganz wach.
Ungeschminkt würde ich nicht mal den Müll rausbringen, wer weiß, wen man trifft, und dann will ich nicht gerade shice aussehen, auch wenn es wenig wahrscheinlich ist, dass ich bei uns am Müllcontainer auf Pamela Anderson treffe. Trotzdem will ich vorbereitet sein.
Zähne geputzt, gewaschen, geschminkt und mit 1a getuschten Wimpern geht es auf die Piste. Bei absolutem Premiumwetter biege ich vom Campingplatz auf die Landstraße ein und düse nach Norden. An solchen Tage liebe ich Schweden aus ganzem Herzen und genieße jeden Kilometer.
Auf der 70, einer dreispurigen Schnellstraße, fahre ich auf Avesta zu und entdecke weit voraus eines dieser roten Holzpferde, wie sie für Schweden so typisch sind. Ein beliebtes Mitbringsel aus dem Urlaub und eigentlich nichts Besonderes, aber dieses hier ist anders.
Die geschnitzten Holzpferde habe ich schon als Kind fest mit Schweden verbunden, denn meine Mama hat vor meiner Geburt in Schweden gelebt und so bin ich auch zu meinem Vornamen gekommen. Solch ein Pferd möchte ich meiner Freundin Claudia als Geschenk mitbringen.
Doch eines nach dem anderen, zuerst möchte ich eine Kleinigkeit frühstücken und dazu kommt mir der Imbiss neben der Tankstelle gerade recht. Vorm Laden stehen Tische und Stühle einladend in der Sonne. Ich bestelle Schnitzel mit Pommes Frites und Kaffee dazu.
Ich mag solche Imbissessen, ein Formschnitzel ist ein Formschnitzel ist ein Formschnitzel. Dabei kann man nicht viel falsch machen, besonders wenn es aus der Friteuse kommt. Sowas schmeckt immer.
Tatsächlich ist gleich der erste Laden ein Souvenirshop und in einer Vitrine steht eine ganze Armee von Dalapferdchen in verschiedenen Farben und Größen. Ich entscheide mich für den Klassiker: Mittelgroßes Pferd in Falunrot.
Mit dem Souvenir im Tankrucksack mache ich mich wieder auf den Weg. Heute werde ich bis in die Gegend von Mora fahren, aber vorher möchte ich die Kupfergrube in Falun ansehen. Schächte, Tunnel, Höhlen, Brücken, Schluchten, alles was hoch oder tief ist, interessiert mich und wie ich gehört habe, darf man in Falun unter Tage fahren. Das klingt nach einem spannenden Abenteuer.
Vor der Einfahrt aufs Gelände gibt es einen Kreisverkehr und in der Mitte steht ein Symbol, das ich kenne: Ein Kreis mit einem hängenden Kreuz darunter. Das ist doch das Symbol für Weiblichkeit, oder? Jedenfalls sieht man das manchmal auf Klotüren. Aber wo ist da der Zusammenhang? Ich habe keine Ahnung, aber in ein paar Minuten kann ich die Jungs in der Grube danach fragen.
"You can't visit the gruva on your own, there is always a guide." Na bravo, und ich hatte gehofft, Pieps und ich dürften da unten alleine rumstromern, stattdessen bekommen wir einen Aufpasser mit.
Ich erfahre, dass die nächste Führung in einer Stunde beginnt und 25 € Eintritt kostet. Bis zu 32 Leute sind in einer Gruppe. Nein, das muss ich mir erst überlegen, ob ich das will.
"By the way, can you tell me, what the large female symbol means standing in the middle of the roundabout?", frage ich nach dem Symbol auf der Verkehrsinsel. Ich erfahre, dass dieses Symbol das chemische Zeichen für Kupfer ist und zugleich für die Göttin und den Planeten Venus steht. Das Symbol für Jungs, bzw. für Eisen und den Planeten Mars, sei übrigens der Kreis mit dem Pfeil nach schräg oben.
Sowas Ähnliches habe ich mir selbst natürlich auch schon gedacht, lüge ich mit ernster Miene. Nur das mit der Führung muss ich mir erst noch mal überlegen, ziehe ich mich aus der Affäre. Ehrlich gesagt habe ich keine Lust, eine Stunde zu warten und dann mit 32 Leuten wie ein Rudel Gurken durch die Stollen zu latschen.
"Please remind, that the first one to book the tour decides the language", gibt die Frau zu bedenken. Der Erste, der sich für eine Tour anmeldet, bestimmt, in welcher Sprache sie stattfindet. Falls vor mir also ein Schwede kommt, sind alle Erklärungen auf Schwedisch und ich verstehe kein einziges Wort.
Damit ist die Entscheidung gefallen. Ich buche die Führung und bestimme Englisch als Sprache, denn Deutsch wird außerhalb der Saison nicht angeboten. Jetzt freue ich mich auf die Tour und bin auch schon ein bisschen aufgeregt. Was es da wohl zu entdecken gibt?
Es bleibt Zeit genug für einen Abstecher in den Souvenirladen. Das mache ich immer gerne, weil es geradezu unglaublich ist, für welchen Mist die Leute ihr gutes Geld ausgeben. Amüsiert streift mein Blick über den billigen Tand.
Dieser Ring dort zum Beispiel, der mit dem Frauensymbol, der riecht geradezu nach Kaugummiautomat. Auf der Innenseite ist eine Zahl eingraviert, 929, was immer das bedeuten soll, vermutlich die Personalnummer des Arbeiters in Taiwan.
Im Grunde passt er sogar ganz gut, um nicht zu sagen, wie angegossen, wie für mich gemacht, und irgendwie fühlt er sich ... richtig an.
Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden
Überhaupt gibt es im Shop der Falun Gruva viele unglaublich hübsche Sachen aus Kupfer und Silber. So wundervoll, hier könnte ich kaufen, bis die Frau an der Kasse eine Schere nimmt und mit einem bedauernden "Sorry, Mam", meine Karte zerschneidet.
Um mich selbst zu schützen, lasse ich den Shop hinter mir und schlendere hinaus auf das Grubengelände. Man sieht ein riesengroßes Loch, das wie ein Krater aussieht. Unten stehen zwei Bagger oder LKW, die von hier oben winzig erscheinen. An einigen Stellen schimmert kupferrote Erde durch.
Ein Arbeiter kommt über den Platz auf den Sammelpunkt zu. Er trägt die blaue Kleidung mit der gelben Aufschrift Falu Gruva und einen Schutzhelm mit einer Grubenlampe. Beim Näherkommen sehe ich, dass es kein Mann ist, sondern eine junge Frau.
Nun ist es schon kurz nach zwei und ich bin die Einzige am Treffpunkt: "Oh no. It's only me and nobody else?", frage ich bestürzt, weil mir klar ist, dass die große Führung kaum für eine Person allein stattfinden wird.
Mein Tourguide, sie mag vielleicht 25 sein, erklärt mit dem strahlendsten aller Lächeln, dass sie sehr gerne eine Führung nur für mich alleine macht. Das sei eine schöne Abwechslung nach der Gruppe von 32 Amerikanern, die sie zuvor hatte, denn die waren echt anstrengend. Nun, da kann ich sie beruhigen, denn ich kenne niemanden, der weniger anstrengend ist, als Pieps und ich.
Wir gehen zu einem Schuppen am Rand der Grube und steigen in einen Fahrstuhl. Während es abwärts geht, erfahre ich, dass die Tour ungefähr eine Stunde dauern wird und es unter Tage konstant 5° - 6° C sind, im Winter wie im Sommer.
Der Fahrstuhl endet in einem Umkleideraum mit Bänken und Kleiderhaken. An den Wänden hängen Regenumhänge und Helme, wie Bauarbeiter sie tragen. Auf das Regencape verzichte ich, denn meine Endurojacke trägt schon soviel Patina, da macht ein wenig Kupferschlamm nichts aus, hab ich was zum Angeben.
Nur um das Tragen eines Helms komme ich nicht herum, das ist Vorschrift, erfahre ich. Wenigstens passt das Orange des Helms perfekt zu meiner Jacke.
Ein schmaler, niedriger Gang führt schräg hinab in die Dunkelheit. Es gibt einige schwache Lichtquellen und der Guide hat eine Taschenlampe, aber ansonsten ist es so finster, dass ich die Decke nicht erkennen kann.
Der Gang scheint kein Ende zu nehmen und es wird ständig kälter. Jetzt bin ich froh, die dicken Motorradsachen anzuhaben. Ich muss ständig leicht gebückt gehen, weil zu meinen 1,83 m eine gute Handbreit Deckenhöhe fehlt.
Mein Genick ist zum Glück aus Titan, da kann nichts passieren aber ohne den Helm hätte es ein Loch gegeben. Wow, danke toller Helm. Ich schüttele mich, setze den Helm wieder auf und stolpere dem Guide hinterher tiefer hinab in die Dunkelheit. Der Ring an meinem Finger fühlt sich warm an.
Aus dem Abraum der historischen Kupfergrube wird die rote Farbe gewonnen, mit der so viele Holzhäuser in Schweden und Norwegen gestrichen sind. Bestimmte Pigmente in der Schlacke sind dafür verantwortlich, die Farbe heißt falunrot und wird nur hier gewonnen und in alle Welt exportiert.
Das Dumme ist nur, dass der Abraum der Grube nur noch für etwa 50 Jahre reicht, dann ist Schluss, denn seit die Grube 1992 geschlossen wurde, gibt es keinen Nachschub mehr.
Die Schichten der Grubenarbeiter waren damals lang und körperlich extrem anstrengend. Trotzdem waren es im 17. Jahrhundert begehrte Arbeitsplätze, weil die Bezahlung gut und sicher war. Man muss die Arbeitsbedingungen vor dem Hintergrund der Zeit sehen, ein Arbeiter konnte mit dem Lohn aus der Grube eine ganze Familie ernähren, was nicht einmal heute selbstverständlich ist.
Damals kam es immer wieder zu schweren Unfällen, weil Arbeiter betrunken abgestürzt sind, oder sich auf andere Weise schwer verletzt haben. Das führte 1850 zur Gründung des ersten Systembolaget, den staatlichen Schnapsläden, in denen Schweden bis heute ihren Alkohol kaufen, weil das Alkoholmonopol beim Staat liegt. Man wollte verhindern, dass Arbeiter jederzeit Zugang zu Alkohol haben und dieser Gedanke besteht bis heute fort.
Wir steigen tiefer und tiefer hinab in die Grube und ich bleibe immer wieder stehen, um Fotos zu machen. Die Automatik und den Blitz der kleinen Lumix habe ich abgeschaltet, um die Lichtstimmung nicht kaputt zu machen und ich bin gespannt, ob die Schnappschüsse überhaupt etwas werden, denn das Stativ habe ich hinten auf dem Motorrad gelassen.
Aus einem Bergwerk wie diesem, muss ständig Wasser abgepumpt werden, sonst wäre es durch das einsickernde Grundwasser schnell überflutet. Der tiefste Schacht steht heute schon 30 m unter Wasser. Damals liefen die Pumpen Tag und Nacht und auf dem Pumpenhaus hängt noch heute eine Glocke, die mit jedem Pumpenhub einmal schlug. Solange diese Glocke erklang, waren die Bergleute sicher.
Wir kommen an den Hauptschacht, in dem ein riesiger Fördereimer voll Kupfererz hängt. Obwohl der eigentliche Zugang unter Tage über endlose Leitern erfolgte, sind die meisten Bergleute mit diesem Eimer hoch und runter gefahren. Er ist so groß, dass sechs bis sieben Arbeiter auf seinem Rand standen, wenn er in die Tiefe gelassen wurde.
Der Eimer hielt allerdings nicht an, wenn der nächste Stollen erreicht war, sondern lief pausenlos weiter. Wenn ein Arbeiter sich seiner Ebene näherte, brachten alle gemeinsam den Eimer zum Schwingen und der Bergmann sprang in einem günstigen Moment in seinen Stollen hinein.
Die ganz Verrückten kletterten am Tragseil des Eimers entlang, natürlich mit dem Kopf nach unten, wie der Guide mir erklärt. Warum? Um anzugeben natürlich. Jetzt verstehe ich besser, zu welchen Unfällen es damals gekommen ist und welche Rolle Alkohol dabei gespielt haben mag. Der Schacht ist 200 m tief.
Unglaublich dichte und drückende Dunkelheit umfängt uns, ein atemberaubendes und aufregendes Gefühl. Dasselbe habe ich unter dem Svartisen Gletscher in Norwegen empfunden und es nur kurze Zeit ausgehalten, aber da war ich auch völlig alleine. Hier ist es nicht so beängstigend, weil noch ein zweiter Mensch neben mir in der Dunkelheit kauert.
Mir kommt in den Sinn, wie angeschmiert wir wären, wenn ihr die Taschenlampe runterfiele und wir in völliger Dunkelheit den Weg zurück suchen müssten. Könnte man das überhaupt schaffen? Nein, ich denke nicht. Es gibt so viele Gänge und Abzweigungen, so viele Gruben und Schächte, in die man stürzen könnte, keine Chance. Sie knipst die Grubenlampen an und wir machen uns allmählich zurück an die Oberfläche.
Mit einem Fahrstuhl fahren wir die letzten 55 m zurück bis in den Umkleideraum. Ich erfahre, dass der Lift nicht etwa für die Besucher eingebaut wurde, sondern für die Guides, die in der Saison jeden Tag bis zu sechs solcher Führungen machen. Meine eigenen Beine sind nach einer Tour schon ziemlich lahm und ich bin das letzte Stück bereits im Lift gefahren.
Die Besichtigung des Bergwerks in Falun war die beste Führung, die ich je mitgemacht habe. Diese Tour ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Zwei fette Daumen hoch!
Als wir die Tür ans Tageslicht aufstoßen, kneife ich unwillkürlich die Augen zusammen. Die Sonne strahlt von einem makellos blauen Himmel und es ist 18° C wärmer als noch vor wenigen Minuten.
Auf der 80 fahre ich weiter in Richtung Mora. Es war klug, die Tagesetappen auf dieser Reise mit ungefähr 200 km eher kurz zu halten. Auf diese Weise bleibt mir die innere Ruhe, um Besichtigungen wie in Falun die nötige Zeit einzuräumen.
Wenn ich eine Tagesetappe von 350 km oder mehr vor mir habe, fühle ich mich ständig getrieben und habe immer das Gefühl, ich müsse weiterfahren und habe keine Zeit. Heute habe ich alle Zeit der Welt und freue mich auf den Zeltplatz, der nördlich von Mora auf einer Halbinsel im See liegt. Zuvor aber werde ich mir ein mega leckeres Abendessen kaufen.
Der nächste Ort, den ich erreiche, ist Rättvik am Siljansee. Hier war ich vor vielen Jahren schon einmal auf einer Motorradtour und ich erinnere mich, dass ich im Zentrum die Erste rechts abbiegen muss, um zum Supermarkt zu kommen.
Es ist Sonntagnachmittag, aber die großen Läden sind trotzdem geöffnet. Ich stelle die Enduro vor einem Coop ab und werde auf das Angebot des Tages aufmerksam: "Ekologisk Lammentrecote", steht auf einer Werbetafel. Wenn das heißt, was ich glaube, dass es heißt, dann erwartet mich hier eine kleine Sensation. Entrecote ist mein Lieblings, aber ich kenne es bisher nur vom Rind, dabei mag ich Lamm sogar noch viel lieber.
Neugierig stiefele ich in den Laden und sehe mir das Fleisch an. Es sieht nicht so lecker aus, wie ich gehofft habe, aber das ist vermutlich das "Ekologisk" in dem Entrecote. Vielleicht schmeckt es ja trotzdem.
Vorsichtshalber kaufe ich noch eine Cabanossi, einen Ziegenkäse und für die Optik ein paar kleine Paprikas dazu. Und zur Feier des guten Wetters gibt es heute zwei Dosen Bier, statt nur einer.
In Mora tanke ich noch einmal voll und fahre dann hinaus zum Campingplatz. Ich habe mir einen abgelegenen Platz am Orsasjön ausgesucht, der mit dem größeren Siljansee verbunden ist. Auf dem großen Ferienplatz in Mora möchte ich nicht zelten, denn gerade weil dort soviel geboten wird, fehlt mir alles, was ich mag.
Es sind etwa 16 km bis nach Våmhus Camping und es ist immer wieder verblüffend, wie schnell einen die tiefe schwedische Wildnis umfängt, sowie man aus einer Ortschaft hinaus ist. Unmittelbar hinterm Ortsschild ist man schon mitten in der Pampa. Das begeistert mich in Skandinavien jedes Mal wieder aufs Neue.
Våmhus ist ein Ort, der ursprünglich aus 14 kleineren Gemeinden bestand, so dass Våmhus heute auf die sagenhafte Größe von 857 Einwohnern angewachsen ist. Damit gibt es jetzt schon mehr als einen Einwohner pro km². In Frankfurt sind es zum Vergleich 2842 auf den km².
Berühmtester Sohn dieser Gegend ist Eric Wickman, der aus Våmhus stammt und als Begründer der Greyhound Lines Inc., der legendären Fernbusse der USA, bekannt ist.
Våmhus Camping liegt am Ende einer kilometerlangen Sackgasse am Seeufer. Eine wunderbar manikürte Wiese, durch hohe Kiefern vom Seeufer getrennt, und davor zwei Holzhütten für Rezeption und Servicegebäude.
Heute brauche ich Strom, denn ich möchte noch einmal alle meine Geräte aufladen, bevor es morgen in die Wälder geht. Ich werfe den Zeltsack in der Nähe einer Steckdose ins Gras, aber bevor ich auch nur einen einzigen Handschlag zum Aufstellen des Lagers tue, muss ich mich umziehen. Ich gehe sonst kaputt in den dicken Motorradsachen.
Aus den Tiefen der Gepäckrolle zerre ich ein T-Shirt und eine Leggings hervor und verschwinde damit im Waschhaus. Wie gut, dass ich meine Klamotten immer eine Nummer zu klein kaufe, auf die Art sind sie nie knitterig und man sieht immer schön adrett aus.
Vom Zelt spanne ich eine Wäscheleine zum Motorrad und binde sie hinten am Gepäckträger fest. Während ich meine Sachen über die Leine hänge, fährt ein Kombi auf den Platz und hält vor der Rezeption. Ein Mann und eine Frau steigen aus und schließen die Rezeption auf.
Ich nehme mein Portemonnaie und gehe hinüber zur Anmeldung, wo ich die Beiden kennenlerne. Offensichtlich ein Paar, das zusammen alt geworden ist. Er lustig mit dem Schalk in den Augen, Sie geschäftstüchtig mit Grübchen aus Stahl.
"Do you have a Camping Card", möchte sie von mir wissen. Es ist das erste Mal, das jemand danach fragt und das Elend beginnt: Sie nimmt die Karte, die ich beim ADAC in Kiel gekauft habe, zieht sie durch den Leseschlitz der Tastatur und ... Error. Ein Dutzend Versuche, aber die Karte ist partout nicht lesbar.
Ob ich nicht ohne Camping Card...? Nein, kann ich nicht. Dieser Platz besteht auf einer gültigen Karte und wenn man keine hat, dann muss man eben eine kaufen. Shice Campingverbände. Was habe ich im Laufe der letzten Jahre nicht alles für Campingkarten besessen und kein einziges Mal wurde eine verlangt, bis auf heute.
So zahle ich also 150 Kronen für eine neue Karte und 210 Kronen fürs Zelten, macht zusammen 40 Euro für 20 m² Wiese. Schweden 1, Svenja 0.
Ich bin ziemlich sauer und der Mann ist zu mir umso freundlicher, weil ihm das nickelsüchtige Verhalten seiner Else sichtlich peinlich ist, aber es nützt nichts, ich muss zahlen. Vielleicht finde ich später eine Möglichkeit zum Ausgleich, beruhige ich mich.
Diese Gelegenheit scheint sich früher zu ergeben, als ich gedacht habe, denn beim Auspacken meiner Küche merke ich, dass die Gabel weg ist. Mist, die habe in Sala auf der Spüle liegen gelassen. Dabei war das eine besonders kleine und leichte Kuchengabel. Nie würde ich mit einer vollwertigen Essgabel reisen, die Biester wiegen Tonnen und ich nehme auch kein extra Messer mit, dafür reicht mein Gürtelmesser.
Ich gehe mit Pieps in die Camperküche und sehe mich um, vielleicht finde ich eine Gabel, die ich für den Rest der Reise ausleihen kann. Ich ziehe die oberste Schublade auf und Volltreffer: Sie ist gefüllt mit einem Sammelsurium verschiedener Einzelteile aus einem Dutzend unterschiedlicher Bestecke. Vermutlich alles im Lauf der Jahre von schusseligen Campern hier vergessen. Wie dämlich kann man sein, denke ich verächtlich und requiriere eine klassische vierzinkige Gabel.
Schweden 1, Svenja 1.
In der Abendsonne vorm Zelt baue ich meine Campingküche auf und mache mich daran, ein 1a Premiumessen für Pieps und mich zu kochen. Die Paprikas schneide ich klein und werfe sie in die Pfanne zu den Entrecotes. Während die bunte Pfanne brät, mampfen Pieps und ich den Ziegenkäse in uns hinein, um die Zeit zu überbrücken, bis das Fleisch fertig ist.
Ich sitze in der Abendsonne, pieke mit der requirierten Gabel Fleisch und Paprika auf, trinke in kleinen Schlucken lauwarmes Bier und nasche nebenher von dem fetten Ziegenkäse. Ein wahrhaft vollkommener Abend.
Nachdem ich mich so satt gegessen habe, dass ich keinen Bissen mehr herunterbringe, gehe ich mit Pieps hinunter zum Strand. Ein langer Bootssteg führt auf den See hinaus und Pieps möchte unbedingt an ihrer Kopfsprungtechnik feilen. Köpper üben, wie sie sagt.
Seit unserer Nordkapreise im letzten Sommer übt die kleine Maus daran. Nicht, dass es jemals zu einem einzigen Sprung gekommen wäre, nein, irgend etwas kam bisher immer dazwischen.
Als die Sonne endlich untergeht, liege ich mit feuchten Haaren im Schlafsack und studiere die Landkarte. Nach meiner Planung liegt eine besonders schöne Strecke vor mir. Wenn ich alles richtig bedacht habe, gibt es morgen ein Stück Schotterpiste, das fast 100 km lang ist.
zum nächsten Tag...
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