Richtung Ostküste
"Nice Mouse", bemerkt eine Frau im Vorbeigehen und zeigt dabei auf Pieps. "Thank you", erwidere ich überrascht. Das war nun schon die Zweite heute morgen. Pieps ist ganz hingerissen und gibt sich größte Mühe, bezaubernd auszusehen. Wir sitzen beim All Inclusive Buffet und vor mir steht nur ein Kaffee, denn aus irgend einem Grund habe ich noch keinen Hunger.
Am Tisch gegenüber sitzt ein junges Ehepaar und hämmert sich Riesenportionen Joghurt, Müsli und Früchte in die Figur. Ich frage mich, was solche Menschen treibt, sich morgens schon mit irgendwelchem süßen Blubberlutsch vollzustopfen. Später liegen sie dann dem Gesundheitssystem auf der Tasche und wir alle müssen dafür zahlen.
Ich selbst kann um diese Zeit noch nichts Richtiges essen, und um überhaupt etwas in den Magen zu kriegen, hole ich mir als nächstes einen Teller mit Räucherlachs und eingelegten Heringen in Mayonnaise.
Von meinem Platz am Fenster habe ich einen sagenhaften Blick auf das Meer zehn Stockwerke unter mir. Ein stürmischer Wind reißt die Gischt von den Wellenkämmen und sogar auf der riesigen Fähre ist ein leichtes Schaukeln zu spüren.
Ich freue mich so sehr auf diese Reise, darauf, endlich wieder unterwegs zu sein, nur mit Enduro, Zelt und Schlafsack, denn ich bin eindeutig urlaubsreif, auch wenn ich mir von dem Ziel selbst diesmal nicht allzu viel verspreche. Der letzte Urlaub, die Reise nach Tschechien, liegt schon wieder acht Monate zurück und in den vergangenen Wochen bin ich immer dünnhäutiger und reizbarer geworden.
Wir werden bald in Göteborg anlegen und in einer Viertelstunde öffnen sich die Schotten zu den Fahrzeugdecks. Ich gehe in die Kabine und hole den Tankrucksack und die Jacke.
Auf Deck 5 drücke ich den großen grünen Knopf, das Schott gleitet zischend zur Seite und gibt den Weg ins Fahrzeugdeck frei. Während ich noch rätsele, wo die Motorräder stehen, drängen sich zwei Biker an mir vorbei und stiefeln zielstrebig zwischen den Autos hindurch übers Deck. Ich folge ihnen und stehe kurz darauf vor meinem Motorrad. Woher wissen Jungs bloß immer, in welche Richtung sie gehen müssen? Ist das derselbe Instinkt, mit dem ich weiß, welcher Rock zu welchen Pumps passt?
Greeny steht eingekeilt zwischen einem Dutzend schwerer Maschinen und einmal mehr bewundere ich, wie schlank und hochbeinig die Enduro sogar mit Urlaubsgepäck ist.
Wenn ich nur etwas mehr Mumm hätte, würde ich den Typen das selber sagen, lässig hingehen, mit einem Lächeln die Killschalter umgelegen und sie zwingen, fortan nur noch Klapphelme und Strumpfhosen zu tragen, aber das sind ziemlich finstere Typen und ich verzichte zu Gunsten meiner Gesundheit auf die Nummer.
Endlich werden vorne die Motoren gestartet und die ersten Autos setzen sich langsam in Bewegung. Ich kann es kaum erwarten, ins Freie zu kommen, denn mir ist total heiß, obwohl ich unter der Motorradjacke nur ein T-Shirt anhabe, aber es ist ein ungewöhnlich warmer Frühlingstag irgendwo Mitte der Zwanziger.
Wir sind kaum die blaue Stahlrampe runter auf den Pier gefahren, da beginnen die ersten wilden Überholaktionen. Die Biker kurven links und rechts zwischen den Autos hindurch, die in Kolonne zweispurig durch den Hafen rollen.
Ich lasse mich natürlich anstecken und heize munter mit. Manchmal frage ich mich, was mich treibt, denn da vorne an der Ampel zur Stadtautobahn werden wir gleich alle wieder im Pulk zusammen stehen. Ja, denke ich, aber dann steht Svenja vorne.
Ich hefte mich an eine fette GS, denn so wie dieser Typ im Slalom durch die Kolonne fräst, hat er die schwere Maschine wirklich im Griff. Verwegen kurven wir zwischen den Autos hindurch und er scoutet die besten Lücken für uns.
Wir überholen einen schwarzen Mercedes, er rechts, ich links, als es plötzlich einen Knall gibt. Sein linker Koffer ist am Heck des Daimlers hängengeblieben und es ist erstaunlich, dass die schwarze Box nicht abreißt, aber mit Politur alleine geht das nicht mehr weg.
Deutlich langsamer fahre ich das letzte Stück durchs Hafengelände bis zur Ausfahrt und stelle mich vor der roten Ampel brav hinten an. "Immer diese Heizer", schimpfe ich entrüstet in meinen Helm und bin heilfroh, dass mir selbst nicht so ein shice passiert ist.
Göteborg ist etwa doppelt so groß wie Kiel und doch ist es nach Stockholm die zweitgrößte Stadt Schwedens. Anders als in Kiel aber, ist der Autoverkehr sogar am Sonntagmorgen erstaunlich dicht.
Konzentriert und hellwach fädele ich mich im starken Verkehr auf die Stadtautobahn ein und bin kurz darauf auf der A40 in Richtung Osten unterwegs. Die Innenstadt liegt kaum hinter mir, schon lässt der Verkehr nach und ich rolle entspannt auf der erstklassig ausgebauten Autobahn dahin.
Heute will ich bis nach Lenhovda fahren, eine Kleinstadt etwa 100 km vor Oskarshamn, von wo ich morgen mit dem Schiff nach Gotland übersetzen werde. Für die Etappe von Küste zu Küste durch Schweden habe ich eine Route auf Nebenstraßen ausgearbeitet und sie mit Garmin Basecamp sorgfältig in mein kleines GPS-Gerät übertragen.
Jetzt bin ich gespannt, wie sich diese Art der Navigation bewährt, denn mir fehlt noch jede Erfahrung damit. Bisher bin ich ausschließlich mit Karte und Kompass gefahren und habe immer gegen diese neumodischen Technik gewettert.
Auf der Stena Germanica gibt es keine Wechselstube und ich habe noch keine Landeswährung in der Tasche, denn Schweden ist kein Euroland, obwohl es laut Beitrittsvertrag zur EU verpflichtet ist, ihn über kurz oder lang einzuführen. Die pfiffigen Schweden vermeiden das bisher, indem sie ein bestimmtes Kriterium zur Einführung des Euro absichtlich nicht erfüllen.
Der geschickteste Weg, um an Devisen zu kommen, ist immer noch, mit der EC- oder Kreditkarte an einem Geldautomaten die Landeswährung zu ziehen. Die erste kleine Stadt auf meiner Strecke heißt Kinna und da gibt es sicher einen Geldautomaten.
Mein Weg führt mitten durch den kleinen Ort und im Zentrum gibt es mehrere Banken zur Auswahl. Ich parke direkt vor dem Geldautomaten der Swedbank und überschlage kurz die Kosten für die nächsten Tage. Mit 3.000 Kronen sollte ich die nächste Zeit auskommen, das sind etwa 330 Euro. Das Meiste will ich ohnehin mit der VISA-Karte bezahlen.
Mit dem Korb in der Hand gehe ich in den Laden und bin verblüfft, sowas habe ich zuvor erst einmal erlebt und das war in Dänemark: Ein Laden, der nicht mit Äpfeln und Tomaten beginnt, sondern gleich mit der Fleischabteilung.
Schon im zweiten Regal entdecke ich meine geliebten Entrecotes. Ganz Dame greife ich nach dem kleinsten Paket. Hoffentlich rächt sich das heute abend nicht, denke ich, während ich misstrauisch auf das mickerige 400 g Päckchen starre.
Better safe than sorry, sage ich mir und lege zur Vorsicht ein Päckchen Coleslaw dazu. Gutes Essen gehört so sehr zu meinen Reisen, dabei könnte ich mir auch ein Essen im Restaurant gönnen, aber das wäre nicht dasselbe. Ich möchte abends vorm Zelt sitzen und Fleisch braten. Keine Ahnung, warum mir das so wichtig ist, aber ich liebe es und es gehört dazu.
Die Strecke, die ich geplant habe, ist wirklich klasse. Einsame Nebenstraßen durch eine leicht hügelige Landschaft, durch Wälder und an vielen kleinen Seen vorbei. Insgeheim hatte ich genau das gehofft, aber trotz sorgfältiger Planung kann man sich vorher nie ganz sicher sein.
Einen kleinen Nachteil hat die Fahrt über Nebenstraßen aber doch, denn ich vermeide nicht nur Städte und Hauptstraßen, sondern auch die meisten Tankstellen. Vier Stunden nachdem ich den Hafen in Göteborg verlassen habe, komme ich an einer Tankstelle vorbei. Eine einzelne Zapfsäule mit Diesel und Super, daneben der Automat und ein Mülleimer.
In Ruhe mache ich mich mit dem Automaten vertraut. Zum Umschalten der Sprache drückt man die deutsche Flagge auf dem Display, schiebt die VISA-Karte in den Schlitz, PIN eingeben, OK drücken und danach die Nummer der Säule wählen, 1-Super, 2-Diesel. Die Pumpe springt an und ich lasse das Benzin in den Tank laufen. Die Enduro hat nur 3 l auf 100 km verbraucht.
Am Nachmittag fahre ich ein paar Kilometer auf der RV30, einer großen Überlandstraße, aber schon bald biege ich auf die Nebenstraße nach Berg ab. Die schmale Straße windet sich durch die Wälder. Es ist ein traumhaft schöner Tag und dies ist eine fantastische Strecke.
Es sind noch ungefähr 30 km bis zum Campingplatz in Lenhovda. Es war gar nicht so einfach, in dieser Gegend einen Campingplatz zu finden. Er sollte so gelegen sein, dass ich am nächsten Morgen die frühe Fähre nach Gotland erwische, ohne mitten in der Nacht aufstehen zu müssen.
Besonders vielversprechend sah der Platz im Internet allerdings nicht aus. Er war als rote Nadel aufgepoppt, nachdem ich in Google Maps 'Camping in der Nähe von Lenhovda' eingetippt hatte. Umso überraschter bin ich, als ich mit dem Motorrad auf den Kiesweg zur Rezeption einbiege.
Makellos manikürte Rasenflächen, ein kleiner Bach und ein Fischteich im Stadtpark von Lenhovda, der auch als Campingplatz genutzt wird. Oh, habe ich das gut getroffen und das Allerbeste: Außer mir ist hier niemand, ich bin der einzige Gast.
Eine Rezeption im klassischen Sinne gibt es nicht, aber nebenan ist das Versammlungshaus von Lenhovda und es kommt auch gleich eine ältere Frau, die sich um mich kümmert. Sie erklärt mir, dass ich mein Zelt aufstellen soll, wo es mir gefällt.
Ein freundlicher älterer Herr kommt dazu, es ist ihr Ehemann, und schließt für mich das kleine rote Waschhaus auf, damit ich nicht ganz nach vorne zum Haupthaus laufen muss. Er berechnet 120 Kronen und wünscht mir einen schönen Aufenthalt, jedenfalls glaube ich das, denn er kann so wenig deutsch oder englisch, wie ich schwedisch kann.
Ich mag dieses Land und seine ruhigen Menschen. Einen Schweden muss man sich in etwa so vorstellen, wie einen langsamen Deutschen, bloß in Nett und ohne die Besserwisserei.
Bevor ich mein Zelt aufbauen kann, muss ich aus diesen Klamotten raus. Es sind 28° im Schatten und die Motorradhose klebt an meinen Beinen. Zum Glück habe ich das Winterfutter der Endurojacke zu Hause gelassen, jedenfalls halte ich das jetzt noch für ein Glück.
Ich öffne die rote Ortlieb Tasche und zerre ein schwarzes Shirt und eine kurze Leggings heraus. Damit mache ich mich auf ins Waschhaus, um mich umzuziehen. In dem kleinen Raum ist es heiß wie in einer Sauna und ich bekomme die blöde Motorradhose partout nicht runter. Schwitzig klebt sie an meinen schneeweißen Beinen fest und um sie loszuwerden muss ich sie auf Links drehen und regelrecht abreißen. Schwitzen mag ich noch viel weniger als Frieren, jedenfalls denke ich das jetzt noch.
An alles Mögliche habe ich gedacht, an Entrecote, an Bier und an Coleslaw, nur Wasser habe ich nicht genügend. Als das Zelt steht, ziehe ich meine Ballerinas an und schlendere in aller Ruhe nach Lenhovda hinein. Im Supermarkt im Dorf besorge ich mir eine Flasche kaltes Wasser mit Zitronengeschmack und gehe zurück zum Campingplatz.
Der Park grenzt an einen See und ein sandiger Uferweg führt im Bogen zurück zu meinem Zelt. Auf halbem Weg liegt ein Bootssteg im Schatten der Bäume und ich setze mich einen Moment ans Wasser und lasse meine Beine ins Wasser baumeln.
Als ich zurück am Zelt bin, werfen die Bäume bereits lange Schatten, Zeit fürs Abendessen. Ich zerre die Isomatte aus dem Zelt und baue meine kleine Campingküche auf. Es dauert gar nicht lange, bis das Entrecote im heißen Fett vor sich hinbrutzelt.
Heute werde ich früh schlafen gehen. Ich erledige noch den Abwasch, trinke den letzten Schluck Bier aus und lege mich dann ins Bett. Minuten später bin ich schon fest eingeschlafen.
Es ist kurz nach Mitternacht, als ich erneut wach werde. Ein ungewöhnlich starker Wind bläst gegen das Zelt, ganz gleichmäßig und ohne Böen, aber dafür kann ich im Gesicht spüren, wie kalt er ist. Seit dem schlimmen Sturm in Wales habe ich mir angewöhnt, immer, wirklich immer auch die Sturmleinen zu spannen und nur deshalb schlafe ich beruhigt wieder ein, denn sonst müsste ich jetzt raus aus dem warmen Schlafsack in die Dunkelheit.
Morgen früh geht es auf die Fähre nach Gotland und noch während ich an die Überfahrt denke, schlafe ich wieder ein...
zum nächsten Tag...
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