Ab in den Süden
Schon kurz vor neun? Jetzt aber los! Mit dem Handtuch überm Arm stiefele ich gut gelaunt durch das kleine Wäldchen dem Waschhaus entgegen. Kein Wunder, dass ich so voller Tatendrang bin, das waren mal eben 12 Stunden Premiumschlaf.
Ich gehe die Straße entlang zum zweiten Waschhaus. Es ist gerade frisch renoviert und fast schöner, als mein Badezimmer zu Hause. Ja, polnische Handwerker, die können was.
Es gibt nur einen einzigen großen Waschraum und man kann nicht erkennen für wen. Ein Mann kommt herein, "hejhej", und sieht mich erstaunt an. Ich stehe gerade vor dem Spiegel und bin an der Stelle, an der ich beschließe, heute so gut wie fast völlig ungeschminkt zu bleiben, obwohl ich nach nur zwei Tagen Outdoor Leben schon mehr Sommersprossen im Gesicht habe als Pippi Langstrumpf.
Für heute habe ich eine Tour um den Südteil der Insel geplant, der Norden ist morgen dran. Beide Touren werden auch durch Visby führen, wo ich im ICA-Maxi mein geliebtes Entrecote kaufen will. Meine Ausgaben für Fleisch und Bier dürften ungefähr dem Kulturhaushalt des Landes Bremen entsprechen, was aber mehr über Bremen aussagt, als über mich.
Immer wieder fallen mir alte Windmühlen auf, die vereinzelt in der Landschaft stehen. Es gibt sie in zwei Ausführungen, eine aus Stein gemauerte und eine zweite Sorte aus Holz, die an der Rückseite einen Stiel hat, um sie in den Wind zu drehen. Angeblich gibt es auf Gotland noch über 130 Windmühlen und viele sind erstaunlich gut erhalten.
Was ist nur los mit mir? Die sicherste Diagnose lautet: Svenja hat Hunger. Das kenne ich schon von früheren Reisen, Hunger macht mir schlechte Laune, obwohl ich mich momentan gar nicht hungrig fühle, aber die Koteletts von gestern abend sind nun schon 16 Stunden her und es wird höchste Zeit, dass es etwas zu essen gibt.
Das Dumme ist nur, hier gibt es nichts, bloß Felder und Wiesen und ab und zu eine Kuh, aber die muss man da stehenlassen, wo sie sind und darf sie nicht anrühren. Moment, was war das eben? Stand da eben wirklich eine Imbissbude vor dem Bauernhaus? Hier, mitten in der Pampa? Zweifelnd sehe ich in den Rückspiegel und versuche etwas zu erkennen.
Ich fahre zurück und stelle die Enduro vor einer Scheune ab, wo bereits zwei Trecker, ein Moped und ein Volvo Pickup stehen. Tatsächlich, ein nagelneuer Imbiss, Hanssons lilla Kök. Daneben, unter dem Dach der Scheune, Tische und Stühle, an denen die Treckerfahrer sitzen und Pommes Frites essen mit einer Hingabe, wie das eben nur Landarbeiter können, oder Svenja.
Aus der Imbissbude sieht mich eine alte Dame aus hellblauen Augen freundlich an. Sie ist sicher keinen Tag jünger als 90, aber man erkennt sofort , dass sie zu ihrer Zeit eine Granate gewesen sein muss. Egal wie alt manche Menschen werden, ein Teil ihrer Schönheit vergeht wohl nie und für einen Moment kann ich die hübsche, junge Frau erkennen, die sie einmal war, lange bevor ich geboren wurde.
Als sie merkt, dass ich kein Schwedisch spreche, geht sie los und holt ihre Tochter dazu, eine energische Bauersfrau in Gummistiefeln, Schürze und Kopftuch, die ausgezeichnet Englisch spricht. Bei ihr gebe ich meine Bestellung auf: Paniertes Schnitzel mit Pommes Frites und Mayonnaise und dazu möchte ich Kaffee trinken.
Ich setze mich an den Tisch neben die Landarbeiter, schreibe Tagebuch und warte aufs Frühstück. Es dauert eine ganze Weile, bis zuerst der Kaffee kommt. Sie hat ihn extra frisch gekocht, entschuldigt sich die nette Bauersfrau und stellt eine Thermosflasche, einen Becher und eine Kanne Milch auf den Tisch. Das Porzellan ist wunderhübsch und meine Laune ist längst wieder gut.
Ich esse mich satt und trinke vier oder fünf Becher Kaffee, bis ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich nicht weiß, ob der ganze Kaffee überhaupt für mich alleine war, aber jetzt ist es zu spät, die Kanne ist leer. Meine Güte, war der Kaffee gut und diese Mayonnaise erst.
Satt und zufrieden steige ich wieder aufs Motorrad und setze meine Tour um den Südteil der Insel fort. Nach wenigen Kilometern bin ich wieder ziemlich durchgefroren. Die Menschen sprechen darüber, dass es das kälteste Maiende seit Menschengedenken ist und tatsächlich ist es nur 4° C wärmer, als es am Nordkap war.
Mich erstaunt das nicht im Geringsten, ich nenne das den Svenja Effekt. Der hat schon vor zwei Jahren in Irland dafür gesorgt, dass die Iren den nassesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung erlebt haben. Selbst Schuld; was lassen die mich auch ins Land?
Inzwischen bin auch ich die typische Navi Fahrerin, die ich nie sein wollte: Ich folge stur der Linie auf dem Display und habe keine Ahnung, wo ich überhaupt bin. Irgendwo auf der südlichen Hälfte Gotlands, I would suppose.
Immer wieder wechsele ich die Fahrspur und bin dabei jedes Mal etwas ängstlich, weil man beim Überfahren der Mitte leicht ins Schlingern kommt und mit der ganzen Fuhre im Dreck liegt, ein Klassiker des Endurowanderns.
Vorsichtig fahre ich den unbekannten Weg weiter, bis die Fahrt ganz plötzlich vor dem Weidegatter einer Rinderkoppel endet. Das Garmin routet auf der anderen Seite weiter, aber ich habe Angst, das Gatter zu öffnen und zwischen den Rindern umherzudüsen. Wer weiß, wieviel Zeit mir auf der anderen Seite bleibt, das Tor zu öffnen, bevor die Biester angerannt kommen und sich für die ganzen Entrecotes rächen wollen.
Manchmal ist Feigheit eben doch der bessere Teil der Tapferkeit. Ganz hingerissen von soviel Vernunft wende ich die Enduro und fahre auf dem Ochsenweg zurück.
Das sind genau die Strecken, auf denen die 250er Enduro sich wohl fühlt und ich habe dabei nie das Gefühl, zu wenig Leistung an Bord zu haben. Man müsste schon richtig gut fahren können, um die 22 PS der KLX hier voll auszufahren.
In Klintehamn tanke ich voll und gehe in den Tankstellenshop, um mich aufzuwärmen. Nur um einen Grund zu haben, mich hier drinnen länger aufzuhalten, bestelle ich einen Becher Kaffee, auch wenn ich nicht vorhabe, viel davon zu trinken.
Welch ein schöner, sonniger Tag, aber trotzdem ist es noch immer schweinekalt. Schon nach wenigen Kilometern bin ich wieder völlig durchgefroren. Mit 7° C ist es auf Gotland nur ein Grad wärmer, als im Innern meines Kühlschrank.
Mir fällt die Passage aus dem Reiseführer ein, die mich so begeistert hat: "Gotland, die Sonneninsel Schwedens, hier wachsen sogar wilde Orchideen."
Orchideen? Am Arsch! Ich bin 52 und falle noch immer auf diesen Werbeshice rein. Wie neulich mit dieser einen sauteuren Antifaltencreme, die angeblich... Ach, lassen wir das.
In Visby stelle ich das Motorrad auf dem Großparkplatz am Südtor ab und gehe ein paar Schritte in die Stadt hinein. Die Menschen in der Fußgängerzone sehen genauso missmutig aus wie ich, einige tragen Daunenjacken oder Mäntel.
Als ich in den Laden komme, ist der Berg mit den Fleecedecken schon deutlich geschrumpft. Zufrieden gehe ich mit dem Korb nach hinten durch zur Fleischabteilung und stelle mich an dem Tresen mit der Aufschrift "Gourmet" an.
Zuvor muss ich eine Nummer ziehen und warten, bis ich aufgerufen werde. Sowas kenne ich sonst nur aus der KFZ-Zulassungsstelle in Kiel, aber unter Gourmets ist das in Schweden wohl so üblich, und dazu zählen Pieps und ich uns voll und ganz.
Nach einem kurzen Umweg über Getränke und Süßigkeiten sitze ich kurz darauf schon wieder auf dem Motorrad und fahre zurück nach Ljugarn. Mit der fetten Beute im Tankrucksack kommen mir die 45 km sogar noch länger vor als gestern. Ich düse durch den Wald bis vor mein Zelt und bin froh, als ich den Reißverschluss hinter mir zumachen kann.
Heute werde ich in der Apsis braten und das Außenzelt dabei geschlossen halten, ich muss nicht unbedingt aufs Meer glotzen, viel wichtiger ist es, aus dem Wind heraus zu sein. Die Motorradhose lasse ich an und kuschele mich zusätzlich in die Fleecedecke ein.
Heute essen wir im Bett. Die Steaks sind wirklich ein Gedicht und schmecken so gut, wie sie aussehen. Danach habe ich keine Lust, noch abwaschen zu gehen. Stattdessen wische ich das Geschirr lediglich mit ein paar Tempos aus, dem Schweizer Messer der Küchenhygiene und manchmal auch der persönlichen. Das reicht und so bleibt vielleicht noch etwas von dem guten Geschmack in der Pfanne.
Es gibt kaum etwas Gemütlicheres, als im Zelt zu liegen und zu lesen. Ab und zu nippe ich an meinem Bier und bin ansonsten völlig versunken in Swan Song.
Gerade plündern die Protagonisten des Romans die Reste eines Supermarktes, in der Hoffnung auf ein paar Konservendosen, aber sie können natürlich nicht wissen, dass sich in dem Laden dieser eine Oberirre versteckt, der mit diesem bösen Zwerg an der Kette.
Mit der Beleuchtung aus dem Generator stellen sie anderen Überlebenden eine Falle, um sie auszuplündern und in einem unfairen Wettkampf grausam zu massakrieren. Aber vielleicht kann Black Frankenstein ja endlich mal zeigen, was er drauf hat. Die Spannung ist jedenfalls kaum auszuhalten.
Bridget Jones, pah...!
zum nächsten Tag...
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