In den Schären
Das Regengebiet hat sich verzogen, was bleibt ist blauer Himmel mit einer Handvoll Wolken. Nichts treibt mich besser an, als kalter Wind und Regenschauer, aber darauf muss ich heute verzichten und schon trödele ich herum und brauche ewig, bis ich endlich startklar bin.
Wie an jedem Morgen suche ich mir zuerst eine nette Tankstelle zum frühstücken. Anders als in Großbritannien, wo es an jeder Ecke einen Tearoom gibt, findet man in Skandinavien nur selten ein Café. Außer man heißt Svenja und sieht Tankstellen als natürlichen Lebensraum des Endurofahrers an, was nicht erstaunlich ist, wenn man auf HotDogs und Automatenkaffee steht und die Enduro einen 7,7 Liter Adventuretank hat.
In Tanumshede sehe ich die große Felsplatte mit den Felsritzungen schon von weitem. Ich stelle die Enduro auf dem Parkplatz des Museums ab und gehe zu Fuß in den Park.
Die Felszeichnungen von Tanum wurde 1994 in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen und das angeschlossene Vitlycke Museum bietet viele Informationen über das Leben in der Bronzezeit, die so aufbereitet sind, dass man sich den Alltag dieser Menschen bildlich vorstellen kann.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis an die Küste. Voraus erkenne ich schon die glatten Felsen, die für Schären so typisch sind. In Grebbestad sehe ich zum ersten Mal das Meer. Die RV 163 führt direkt am Wasser entlang und vom Motorrad aus habe ich einen tollen Blick auf die Schärenlandschaft.
Ich lenke die Enduro auf den Parkplatz einer Kirche und schlüpfe hastig in die Regenkombi. Wenn diese Wolken aufplatzen, dann brauche ich jeden Schutz, den ich kriegen kann. Hoffentlich steht die Zeltwiese nicht schon unter Wasser, wenn ich dort ankomme.
Kaum sitze ich wieder auf dem Motorrad, beginnt das Unwetter, so wie Unwetter beginnen: Starker, böiger Wind kommt auf, dann wird es ganz still und Augenblicke später fallen dick und schwer erste vereinzelte Regentropfen. Kurz darauf bricht der Himmel auf und ein gewaltiger Wasserfall ergießt sich auf die Straßen und auf jeden, der auf ihnen unterwegs ist.
Nach 2 km erreiche ich Hunnebostrand und rette mich unter das Dach einer Shell Tankstelle. Wie ein tropfendes Tiefseemonster watschele ich in den Shop und nehme einen der beiden Stehtische in Beschlag, fest entschlossen, den Regensturm bei Kaffee und Hotdogs auszusitzen.
Meine Geduld geht zu Ende bevor es der Regen tut und nach zwei Bechern Kaffee und einem Hotdog sitze ich wieder auf der Maschine und fahre weiter auf der RV 174 Richtung Kungshamn. Mehr als 50 km/h sind bei diesem Sturzregen kaum drin und wenn ich mich nicht sehr täusche, dann habe ich schon wieder nasse Oberschenkel.
Die Regenkombi ist nicht mehr dicht und die Membrane der nagelneuen Motorradhose hat eine Minute später ebenfalls die Fühler gestreckt. Trotzdem bin ich bester Laune, immerhin habe ich ein halbes Kilo Lammkotelett im Tankrucksack.
Ein Ferienresort reiht sich an das nächste, Campingplatz an Campingplatz. Die Schärenküste ist so touristisch, wie Vårmland einsam ist. Besonders Norweger machen hier gerne Ferien. Es sind nur wenige Kilometer von der Grenze und für Norweger ist es hier geradezu lachhaft billig, was mehr über die Preise in Norwegen aussagt, als über die in Schweden.
Endlich erreiche ich Kungshamn. Das Visier ist so beschlagen, dass ich kaum etwas erkennen kann und sowie ich es ein wenig öffne, ist die Scheibe auch von innen nass. Da vorne ist die Zufahrt zum Campingplatz. Ich setze den Blinker links und fahre den Anstieg hoch zur Anmeldung. In Regenkombi mit Helm auf flüchte ich in die Rezeption.
Wow, ist das nobel hier. Die Anmeldung erinnert eher an eine Hotellobby, sehr aufgeräumt, sehr edel, sehr elektronisch. Eine junge Dame tippt meine Daten in den Computer und überrascht mich damit, dass ich nur 175 Kronen zahlen soll. Vermutlich ist die Konkurrenz groß unter den Campingplätzen.
Deprimiert schaue ich durch das große Panoramafenster hinaus auf die Pfützen, in die der Regen prasselt. Momentan ist noch nicht daran zu denken, ein Zelt aufzubauen. Nach einer Viertelstunde lässt der Regen soweit nach, dass ich mir zumindest schon einmal die Zeltwiese ansehen möchte.
Eine breite Wiese allerbestes Campinggras, die ich wie immer ganz für mich alleine habe. Wenn ich da an den ätzenden Platz in Bad Schandau denke, wo kaum ein Grashalm wuchs und jeder Zentimeter mit Zelten vollgestellt war. Da ist mir die nasse Wiese in Schweden doch lieber. Der Boden ist mit Wasser gesättigt, aber noch stehen keine Pfützen im Gras.
Hastig mache ich mich daran, das Zelt aufzubauen. In der Regenkombi mit den dicken Motorradsachen darunter bin ich ziemlich unbeweglich, aber besser das, als ziemlich nass zu sein. Der Trick dabei, wenn man ein Zelt bei Regen aufbaut, ist Geschwindigkeit und ein Mikrofasertuch.
Während ich das Innenzelt aufstelle regnet es fröhlich hinein, aber sowie ich das Überzelt drauf habe, werfe ich den Tankrucksack und das Rackpack hinein, lasse Helm, Regenkombi und Stiefel in der Apsis, krieche ins Zelt und schließe den Reißverschluss hinter mir. Ab jetzt habe ich Zeit und kann alles in Ruhe machen.
Eigentlich sollte ich jetzt noch die Motorradkette schmieren, aber dazu habe ich partout keine Lust, das kann ich auch mogen früh erledigen. Viel wichtiger ist, dass ich vergessen habe, Bier zu kaufen. Ich! Werde ich allmählich alt?
Ich ziehe die Regenjacke über, schlüpfe in meine Stiefel und mache mich mit Pieps auf zum Supermarkt. Der Laden gehört zum Campingplatz und gerade als wir dort ankommen, holt eine junge Frau die Eisreklame herein und will anfangen, den Laden zu feudeln.
"Excuse me, is it still open?", frage ich leicht panisch.
"Another five minutes."
"I forgot to buy beer", erkläre ich meinen last minute Einkauf. "First time in my life", ergänze ich murmelnd.
Ich kaufe mir zwei Dosen Carlsberg, das hier nur 3,5% Alkohol hat. Wenn es so stark wie unser Bier wäre, 4,5%, dann dürfte es nur im Systembolaget verkauft werden. An der Kasse lege ich noch ein Sandwich Eis für Pieps dazu.
Im strömenden Regen haste ich zurück zum Zeltplatz. Auf halbem Weg komme ich an der Camperküche vorbei und stelle mich für einen Moment unter. Ein junges Paar, etwa Mitte 20, ist gerade dabei French Toast zu machen. Sie brät das Brot an, während er den Tisch deckt.
Die Beiden sind so süß miteinander, man kann richtig spüren, dass sie noch an die Liebe glauben. In ein paar Jahren werdet ihr euch gegenüber sitzen, jeder mit seinem Anwalt, und dann wird euch nichts zu gemein, nichts zu niederträchtig sein, um Sorgerecht, Unterhalt, Geld und Besitz an euch zu raffen.
Und während der gesamten Verhandlung wird euch der Satz: "Aber wir haben uns doch mal geliebt", durch den Hinterkopf schwirren. Aber keine Sorge, bis dahin habt ihr noch ein paar wundervolle, glückliche Jahre vor euch. Genießt sie!
Mit dem fröhlichen Gedanken, dass mir so etwas nie wieder passieren kann, außer Pieps verklagt mich auf Unterhalt, gehe ich in bester Laune zurück zum Zelt. Was ist schon ein bisschen Regen, wenn man Lammkoteletts, Fetakäse und zwei Dosen Bier hat?
"Die tun nix, die quaken nur, näh?!", möchte Pieps aufgeregt wissen. Nein, Mäuschen, die tun nix und wir beide, wir schlafen jetzt. Gute Nacht, Welt.
zum nächsten Tag...
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