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Nach Malliß
Die Gruppe der Kanuten steht um halb acht auf. Alle junge Akademiker und Kopfmenschen, die sich selbst in der Welt nicht richtig wahrnehmen. Umständlich und laut nehmen sie alles in Beschlag und sprechen klug. Lennart, Sheldon und Koothrappali beim Camping. Nur dass es in echt nicht halb so witzig ist wie in der Serie.
Nach dem Frühstück breche ich das Lager ab und wir fahren weiter. Die düsteren Alleen mit ihren Tunneln aus Laub und Ästen verlieren nie ihre Faszination. Selbst lange Geraden werden so erträglich.
Der erste Ort ist Mirow. Hübsch ist es hier. Ich bleibe auf der Brücke über der Müritz-Havel-Wasserstraße stehen und fotografiere zu den bunten Bootshäusern hinüber. Zwei Schiffe fahren ins Bild und sorgen für einen hübschen Vordergrund.
Dörfer im Osten haben mitunter etwas Tristes an sich, als wäre der Traum von einem besseren Leben irgendwann weggezogen in die Stadt, den Westen, vielleicht nach Berlin, und die, die zurückgeblieben sind, machen tapfer weiter ohne genug Energie, um noch etwas zu verändern.
Die Kirche in der Ferne wächst direkt aus dem Acker.
Das könnte Pritzwalk sein.
Auf den ersten Blick kein Ort, der überströmende Heiterkeit versprüht.
Ein Schild vor der Änderungsschneiderei bewirbt eine Mobile Bettfedern und Matratzenreinigung auf der Festwiese. Aber nur noch diese Woche!
Bei Fossis Kneipe kommt mir ein nagelneuer Fendt 500 Vario entgegen. Die Dorfstraße ist kaum breit genug für das Allradmonster.
Im Grunde ist die Auswahl der Motive auch eine Form von "Ossi Bashing". Ich fotografiere eben nicht die moderne 4-Kammer Kläranlage mit Sedimentabscheider, oder das neue Gaskraftwerk in Lubmin mit seiner Energieeffizienz von 85 bis 90 Prozent, sondern richte meine Kamera auf Lost-Places, auf verfallene Geschäfte, Kinos und Fabriken, weil sie diesen morbiden Charme besitzen, der so fotogen ist.
Eine perfide Form von Medienmanipulation, ebenso wie in Frankreich, wo ich nur das Malerische, das Schöne fotografiert habe.
Am Nachmittag erreiche ich Lenzen, eine Stadt in der Elbtalaue. Ich fahre am Stumpfen Turm vorbei, einem Überbleibsel der Lenzener Stadtmauer.
Im Ort herrscht eine fast unnatürliche Sauberkeit. Kein Müll, kein Stück Papier, nicht einmal eine Zigarettenkippe. Die Lenzener halten ihren Laden in Ordnung. Trotzdem sind viele Häuser halb verfallen, oder wurden mit viel Liebe, aber wenig Geld notdürftig restauriert.
Ein Haus rührt mich besonders an, der alte Laden von Schuhhaus Dahlke. Über der Tür hängt noch das Firmenschild, eine runde Leuchtreklame mit einem Damenpumps im Signet.
Das Schaufenster erzählt die Geschichte weiter. Nach der Wende, als die Lenzener nach Wittenberge oder Ludwigslust zu Deichmann fuhren, wurde das alte Schuhhaus geschlossen. Kurz darauf hat ein Telefonanbieter den Laden für sich entdeckt und Handyverträge verkauft. Goldgräberstimmung im Osten. Doch auch dieser Goldrausch ging vorüber und heute steht der alte Laden von Dahlke wieder leer.
Am Ortsausgang von Lenzen überquere ich die Löcknitz, ein Nebenfluss der Elbe. Auf der Alleenstraße geht es weiter bis nach Dömitz. Ich mache dieselben Aufnahmen, wie beim letzten Mal als ich hier durchgekommen bin, auf meiner Reise nach Tschechien.
Von Dömitz ist es nicht mehr weit bis zum Campingplatz am Wiesengrund in Malliß. Hier werde ich ein letztes Mal unser Zelt aufschlagen, bevor wir morgen nachhause fahren. Das Camp liegt direkt am alten Ziegeleikanal. Am Ende der Brücke ist der Campingplatz schon ausgeschildert.
Die Rezeption ist in einer roten Holzhütte untergebracht. Ich lasse das Motorrad davor ausrollen und trete an die Luke heran. Die Begrüßung ist so freundlich und herzlich, wie man es sich nur wünschen kann.
„Wir haben Sie schon erwartet“, sagt die Wirtin zu meiner Überraschung, denn ich habe mich schon vor Wochen angemeldet.
Auch hier werden die Hygienevorschriften ernst genommen. Zur Unterschrift der Anmeldung stellt sie mir einen Becher voll Kugelschreiber mit der Aufschrift desinfiziert hin. Danach kommt der Kuli in einen zweiten Becher, den Schmutzbecher. Alles gut durchdacht, alles sehr ernst genommen. Ich mag das.
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt Ihren Platz. Das Motorrad können Sie solange hier stehenlassen.“ Wir wandern am Kanal entlang zu den Stellplätzen. Ein Platz ist ganz besonders schön, ein Heckenseparee mit einem schmalen Durchgang. Auf der abgeteilten Wiese steht eine Picknickbank mit Sonnenschirm. Es ist gerade genug Platz für zwei, drei Zelte und Fahrräder.
„Wieviele kommen denn da heute noch“, frage ich misstrauisch. „Wieso? Keiner. Das ist allein Ihr Platz.“
Ich kann mein Glück kaum fassen. Das ist der mit Abstand beste Stellplatz der Reise. Das Gras ist wunderbar weich, ich habe einen eigenen Tisch mit Sonnenschirm und das Motorrad darf auch mit ins Separee.
„Bevor ich es vergesse. Möchten sie morgen früh Brötchen haben? Dann müssten Sie die jetzt bestellen.“ „Oh ja. Gerne. Zwei Stück bitte. Wann kann ich die morgen abholen?“ „Brauchen Sie nicht. Die sind schon an Ihrem Zelt, wenn Sie morgen früh aufwachen. Mein Mann liefert die morgens aus. “
Soviel Gastfreundschaft und Zugewandtheit, wie auf dem Campingplatz am Wiesengrund in Malliß habe ich selten erlebt. Eines weiß ich genau: Dieses Camp bekommt einen Ehrenplatz auf meiner Liste „Die tollsten Campingplätze in ganz Europa, die so schön waren, dass ich da unbedingt mal wieder hin möchte“. Dieser ganz sicher!
Den Abend verbringe ich mit Pieps im Campingrestaurant. Ich unterhalte mich sehr nett mit einem Camperpaar aus Stuttgart, die seit Jahren in Malliß ihre Ferien verbringen.
Es wird dennoch nur ein kurzer Abend. Die Maus ist müde und wird allmählich unleidlich und ich selbst bin auch ziemlich erledigt.
Es ist erst kurz nach Acht, als wir beide im Schlafsack liegen und ich noch ein paar Seiten lese, bevor ich das Licht ausknipse.
„Gute Nacht, Welt. Morgen geht es zurück nach Kiel.“