Gendarmerie Nationale
Es ist kurz nach sechs. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Ich sitze verschlafen im offenen Zelt und warte darauf, dass mein Kaffeewasser heiß wird. Zuerst muss ich einmal richtig wach werden, bevor ich das Zelt abbauen und alles auf dem Motorrad verstauen kann. Pieps ist dabei selten eine Hilfe.
Als ich dran bin, zeige ich auf ein besonders knuspriges Exemplar: „Une Baguette Tradition, s'il vous plaît.“ Die Bäckersfrau nimmt eines und fragt, ob sie es durchschneiden soll. Sie hat wohl das Motorrad gesehen. „Oui. volontier“, ja, gerne. Jetzt passt es sogar in den Tankrucksack.
Neben der Bäckerei steht das Café le National. In so einem haben Pieps und ich vor Jahren einmal gefrühstückt. Das war in Villefort.
Das halbierte Baguette verschwindet im Tankrucksack und wir fahren weiter. Die Morgensonne strahlt über uns und es ist auf angenehme Weise noch etwas kühl. In Tonnerre ist heute Wochenmarkt. Den lassen wir uns nicht entgehen.
Er spricht mit ruhiger Stimme zu mir, ich verstehe aber nur „Moto“ und „Bénédiction“ Dabei berührt er mich sanft am Arm und sieht mich gütig an. Dann geht er weiter. Bin ich etwa gerade gesegnet worden? Ich glaube ja und bleibe einigermaßen überwältigt zurück.
Noch unter dem Eindruck dieses ungewöhnlichen Reisesegens schlendere ich auf den Markt. Am Verkaufsstand einer Charcuterie köchelt in einer offenen Pfanne Linsensuppe mit dicken Würsten.
„Deux, s'il vous plait“, sage ich und zeige auf das Fleisch. Er greift mit seiner großen, haarigen Pranke in den Topf und holt zwei Stücke heraus. Keine Gabel, keine Handschuhe. Mir gefällt das, es ehrt das Lebensmittel als etwas Natürliches und Kostbares. In OP-Handschuhen serviertes Essen wirkt weniger appetitlich, so als wäre damit etwas nicht in Ordnung. Zufrieden verstaue ich die Beute im Tankrucksack neben dem Baguette und fahre weiter.
Der nächste Ort ist Apremont-sur-Allier. In Frankreich heißen Orte, die an einem Fluss liegen immer ...sur-Flussname, aber ich glaube, man kann den Fluss auch weglassen und nur Apremont sagen, denn manche Ortsnamen werde sonst ungebührlich lang.
Die Straße führt noch eine Weile am Ufer des Canal Latéral à la Loire entlang, bis wir an eine große Route Départementale kommen und ich wieder Fahrt aufnehme.
Nach vier Kilometern erreiche ich die Stelle, wo der Canal Latéral die Loire überquert. Von unten sieht die Brücke aus wie ein beliebiges Viadukt, aber tatsächlich ist es eine große Wanne voller Wasser, in der Schiffe die Loire überqueren können.
Ein schnittiges, weißes Sportboot wird gerade durchgeschleust. Auf einem Schirm an Deck steht der Name des Vermieters Les Canalous. Hausboottouren sind in Frankreich eine große Sache. Es gibt ein schier unendliches Netz aus Kanälen und Flüssen und vor allem darf man sie ohne Bootsführerschein fahren.
Auf einer Brücke über die Loire, für die der erste Stein schon 1767 gesetzt wurde, rollen wir nach Nevers hinein. Der Ort bietet eine mittelalterliche Kulisse, die eindrucksvoll anzusehen ist. Mittendrin thront die Kathedrale Saint-Cyr-et-Sainte-Julitte und strahlt erhaben in der Sonne.
Man wäre nicht erstaunt, würden plötzlich d’Artagnan und die Musketiere, Athos, Porthos und Aramis durchs Bild reiten, die Degen gezückt, die Mäntel weit wehend im Wind.
Bevor ich wieder in die Einsamkeit des ländlichen Frankreich hinausfahre, will ich volltanken und Luft prüfen. Da vorne ist eine Tankstelle. Ich schalte runter und fahre unters Dach der Station.
Sie haben einen dieser neuen Luftprüfer, die man immer häufiger sieht, seit die kleinen mobilen Dinger ständig geklaut wurden. Dieser sieht aus wie ein mannshoher Kühlschrank mit Knöpfen und einem Schlauch. Und einem Bezahlterminal, denn Luft kostet hier 50 Cent. Man kann bar oder mit Karte zahlen.
Während ich noch neben der Honda knie, nur um festzustellen, dass mit dem Luftdruck alles in Ordnung ist, rollen zwei dunkelblaue BMWs an die Tanksäule. Motorradpolizisten der Gendarmerie Nationale. Als Teil der französischen Streitkräfte unterstehen sie dem Verteidigungsministerium. Ob die wohl in der Stimmung sind, Patches zu tauschen?
Über mein Kleiderkonto, nicht das bei Bonprix, sondern das beim Land Schleswig-Holstein, habe ich für die Reise extra ein paar Uniformpatches bestellt. Viele Polizisten haben die Wände ihrer Bureaus voll mit Patches aus aller Welt, die sie auf Reisen mit anderen Cops getauscht haben. Ich nicht. Ich mach das heute zum ersten Mal.
Ich überreiche jedem einen Satz unserer Patches. Die sind deutlich größer, aber leider nicht so schmuck, wie die aufwendig gestalteten Gendarmerie Abzeichen. Trotzdem sind wir alle drei zufrieden mit unserem Tausch.
Wir sprechen noch eine Weile übers Motorradfahren, übers Reisen und über meine Eindrücke von Frankreich. Weil keiner die Sprache des anderen beherrscht, ist es eine etwas holprige Unterhaltung, aber wir kommen voran. Die BMWs sind sauschnelle Motorräder und die Beiden wollen wissen, wie sich die Knobby Tires der Enduro auf Asphalt fahren. „Très bien“, lüge ich gekonnt und meine „geht so“.
Plötzlich erwacht ihr Funk zum Leben und die Beiden brausen nach einem kurz hingeworfenen „Au revoir, bon journee“ vom Hof. „Tschüss, ihr Beiden. Passt gut auf euch auf. Da draußen sind eine Menge Verrückter unterwegs.“
Ich sattele die Honda mit dem korrekten Luftdruck und dem Baguette im Tankrucksack und fahre los. Unser nächstes Ziel ist ein guter Picknickplatz im Schatten, wo wir unser Tischtuch ausbreiten können. Und die Koteletts.
Sagt Pieps
Ich möchte jetzt ein wenig lesen und Pieps will noch einmal zum Spielplatz, weil sie „noch was klär'n muss mit den ein' rothaarigen Jungen".
Bis Morgen, Leute...
zum nächsten Tag...
zurück nach oben