Inhaltsverzeichnis Dalarna 2024 Tag 1 Kiel - Oslo Tag 2 Oslo - Schweden Tag 3 Värmland - Dalarna Tag 4 Vansbro und ein Knytkalas Tag 5 Nås - Näs Bruk Tag 6 Avesta Tag 7 Tällberg am Siljansee Tag 8 Outback Dalarna Tag 9 Fäbod Fryksås
Bridge Closed
Die Girlanden hängen noch, als ich aus dem Zelt zum Festplatz hinüber schaue, wo wir gestern beim Knytis gesessen haben. Heute geht unsere Motorradreise weiter nach Osten, wo Dalarna an Gävleborg grenzt.
Der erste Ort an diesem Tag wird Nyhammar sein, total Population 654. Im Grunde ein Dorf, aber in einem Län, in dem die größte Stadt, Borlänge auch bloß 40.000 Einwohner hat, durchaus ein Platz von Interesse.
Mit der Enduro geht es auf einer Staubstraße 20 km durch den Wald am Seeufer entlang.
Ein Teil der Strecke nach Nyhammar ist nicht asphaltiert und wieder dauert es eine Weile, bis ich das richtige Tempo habe.
Welches ist das richtige, mein Tempo?
Will ich motocrossen und driften, oder ruhig genießen und Endurowandern?
Crossen macht Spaß, dritter Gang, hohe Drehzahl, Staub aufwirbeln, ein wenig Show, doch andererseits ist es völliger Blödsinn, nicht nur weil ich Urlaubsgepäck auf dem Motorrad habe, sondern weil man die schöne Strecke kaum wahrnimmt. Man starrt bloß konzentriert auf die zehn Meter Dreck vorm Motorrad und versucht möglichst keinen Crash zu bauen.
Das wäre, als würde man versuchen, eine Packung feinstes Niederegger Konfekt in Rekordzeit aufzufressen: Immer drei auf einmal in den Hals schieben und halb zerkaut runterwürgen: „ 22, 23, fertig! Erster!“
Eine solche Premium Endurostrecke langsam zu fahren, macht aber auch keinen Spaß, dann kann ich auch Fahrrad fahren. Also halte ich die Honda meist zwischen 50 und 70 km/h im vierten oder fünften Gang. Nur wenn unvermittelt weicher Sand kommt, schalte ich runter und gebe kräftig Gas: Sand geht nur mit Power oder im ersten Gang, wie beim Trial. Aber dann dauert es ewig und so viel Zeit hat ja kein Mensch.
Nach 20 Kilometern feinster Piste und unsinnigster Gedanken, biege ich auf den Riksväg 50 ein. Perfekter Asphalt führt vierspurig geradeaus, eine willkommene Abwechslung, um auf der langen Etappe ein paar schnelle Kilometer gutzumachen.
Am Horizont taucht ein Rastplatz auf. Ob die ein Frühstück für uns haben?
Ich nehme Gas weg, schalte vom sechsten Gang bis runter in den zweiten und rolle auf den Parkplatz.
Der Motor tickt leise, als ich ihn abstelle.
Unter einem Rastplatz stelle ich mir aus Deutschland ein großes Gebäude vor aus Glas und Beton, dazu diese gewisse Hektik, viel Verkehr und jede Menge Ölflecken. Rasthaus Langssjön dagegen wohnt in einem Holzhaus mit Kaffeegarten.
An der Außenwand hängen jede Menge Auszeichnungen Langssjön - läns bästa rastplats mit einer Jahreszahl. Acht Jahre in Folge prämiert als Dalarnas bester Rastplatz.
Die Kaffeestube ist gemütlich mit viel Holz und dem aromatischen Duft von Kaffee und Gebäck. Oh ja, hier bleiben wir.
Ich bestelle Smörgås, ein Brot mit Shrimps, Eiern und Mayonnaise.
Es ist dick mit prallen, rosa Garnelen belegt. Kaffee darf man nachschenken, so oft man möchte, ich liebe das. Zuhause dagegen rufen sie für jede Tasse erneut 2,80 EUR auf.
Ein Mann kommt aus der Küche und füllt frischen Kaffee nach.
Martin Sander ist der Besitzer des Rastplatzes Langssjön.
Ich spreche ihn auf die zahlreichen Auszeichnungen an, und er berichtet, dass er den Platz noch erweitern lässt mit einem großen, neuen Gebäude, Wohnmobilstellplätzen, einem größeren Parkplatz und mehr Flächen für LKW. Kurz gesagt: Alles das, was jetzt so schön ist, soll schöner werden.
Ich bewundere ihn für seinen Mut und seine Energie, aber die gemütliche Kaffestugan mit den selbstgebackenen Keksen, von denen Pieps sich gerade zwei als Nachtisch hintern Knorpel schiebt, werde ich vermissen.
Ich wünsche ihm viel Erfolg bei seinem Vorhaben und mache mich wieder auf den Weg. Im Wegfahren erkenne ich bereits Anzeichen des Neubaus und bin froh, dass ich noch die alte Kaffestugan erlebt habe.
An einer Kreuzung muss ich vor einem STOP-Schild halten, wie es in der Einsamkeit Schwedens, wo niemand ist, wohl nur deutsche Touristen tun.
Für einen Moment bin ich von der Szenerie ganz hingerissen, weil sie mir so typisch erscheint: Ein Holzhaus in genau dem richtigen Gelbton, nicht zu grell und nicht zu gelb, davor blaue Straßenschilder, grüne Bäume und darüber blauer Himmel. Schweden!
In meinem Reiseplan steht als nächster Stichpunkt: Säter (hölzerne Altstadt). Mir fällt meine Planung wieder ein. Auf Wikipedia hieß es dazu:
»Säter ist eine Ortschaft (Tätort) in der schwedischen Provinz Dalarnas län und Hauptort der gleichnamigen Gemeinde. [ ] Die zentralen Teile von Säter stellen eine der am besten erhaltenen Holzstädte Schwedens dar.«
Wegen dieser Holzhäuser habe ich unseren Weg durch den Ort geroutet. Tatsächlich stehen links und rechts ausschließlich malerische Holzhäuser in den typischen Farben Falunrot, Gelb und Grau, an denen ich mich nie sattsehen kann, weil es wie in Bullerbü aussieht.
Andererseits ist der Wikipedia Artikel über Säter bloß vier Sätze lang, weil es außer diesen Holzhäusern und dem jährlichen Samba-Karneval nichts gibt, worüber man schreiben könnte, außer einer ätzenden Baustelle, über die ich durchaus ein paar wohlgesetzte Worte zu sagen hätte.
Der dritte Ort des Tages ist Hedemora. Wir müssen einkaufen und ich halte vor dem örtlichen ICA Supermarkt. Im Laden gibt es eine heiße Theke mit einigen äußerst sehenswerten Bratenstücken, aber über sowas steht bei Wikipedia natürlich kein Wort.
Ich stelle mich am Tresen an und warte, bis ich dran bin:
„I'd like to have a huge Chunk of these“, sage ich und zeige auf eines der Exponate in der heißen Vitrine: „Much Meat, little Bones, please!“
Die Verkäuferin nimmt einen Braten und steckt ihn in eine dieser Tüten, in die man sonst Grillhähnchen tut. Glücklich trage ich die Beute zur Kasse und sammele unterwegs noch drei kleine Dosen Carlsberg 3.5% ein und für Pieps ein Marzipanbrot von Anthon Berg.
Nach dem Einkauf sind wir Getriebene: Noch ist der Braten heiß, das Bier kalt und das Marzipanbrot da. Mit frischer Energie lenke ich das Motorrad aus Hedemora hinaus in die Landschaft.
Nichts gibt derart Power, wie der Duft von knusprigem Schweinebraten im Tankrucksack.
Und nichs saugt einem die Freude so aus, wie ein GESPERRT Schild kurz vor dem Ziel. In Frankreich hieß es Route Barrée, und hier Bron vid Nas Bruk väg 705 avstängd 1/5-31/8. Die Brücke bei Näs Bruk ist gesperrt. Wie ich diese Schilder hasse. Näs Bruk, genau da wollen wir hin, da ist unser Campingplatz.
Getreu meiner Maxime, jede Sperrung zu ignorieren, bis es partout nicht weitergeht und auch mit der Enduro kein Durchkommen mehr ist, heize ich an dem Schild vorbei. Vielleicht komme ich heimlich über die Brücke, wenn die Bauarbeiter gerade mal nicht hinsehen?
Mit jedem Mal werden die Schilder penetranter: Brücke gesperrt, kein Durchkommen, Ende Gelände,
Sofort umkehren!
Ich fahre unbeirrt weiter und tue so, als wenn ich total cool bin, bin ich aber nicht, denn in Wahrheit habe ich Shice, vor allem weil der Tank bald einen Refill gebrauchen könnte.
Doch was geschieht?
Im letzten Moment, unmittelbar vor dem Camp weist ein Schild nach links: Falkudden Camping. Wir sind da! Meine Güte, und ich wäre beinahe doch noch umgekehrt. Aber eben nur beinahe
Die Rezeption vom Camp Falkudden wohnt in einem hübschen Holzhaus in Falunrot mit weißen Fenstern, einer echten Pippi Langstrumpf Villa, die das Schweden Klischee beinahe schon übererfüllt.
Als ich vom Motorrad steige, steht der Campchef schon draußen und sieht mir entgegen.
Der Arrow Titan Proletenauspuff meiner Honda Africa Single ist auch kaum zu überhören.
Ich entschuldige mich auf Englisch, dass ich kein Schwedisch spreche, aber das macht nichts: Nico und seine Frau sind aus Holland und haben Camp Falkudden erst vor drei Jahren übernommen.
Ich bezahle für zwei Nächte und frage, wo ich das Zelt hinstellen soll. Es gibt eine große Wiese, aber Nico hat für uns einen besonderen Platz im Sinn. Wir dürfen direkt an der Badestelle zelten, wo sonst keiner steht. Ich habe den leisen Verdacht, dass er Pieps bloß von den anderen Campern fernhalten will, aber das lässt sich mit Bordmitteln kaum beweisen.
Falkudden Camping ist Motorfree, Fahrzeuge müssen auf dem Parkplatz an der Rezeption stehenbleiben, aber ich darf die Honda mitnehmen bis zum Fahrradständer am Badeplatz.
Von hier geht es zu Fuß weiter. Ich nehme den Zeltsack und folge Nico auf einem schmalen Grasweg bis auf die Liegewiese am Strand. Flauschiges Gras, unser eigener Picknicktisch und eine tolle Aussicht auf den Bysjön, der in Wahrheit eine Erweiterung des Dalälven ist.
„Schönster Zeltplatz von allen!“, denke ich, während ich den ersten Hering in die Erde drücke. Sonst mag ich es nicht, wenn meine Enduro woanders steht, aber heute ist es ok, weil wir praktisch allein im Camp sind und sonst nicht auf der Liegewiese zelten dürften.
Es ist ein Déjà-vu, schon einmal hatten wir einen sehr ähnlichen Zeltplatz: Am ersten Tag unserer Motorradtour durch Litauen im Kemp Ventaine am Kurischen Haff. Da durfte sogar Greeny mit auf die Liegewiese und es war überhaupt alles sehr schön und besonders.
Wir haben sogar eine eigene Feuerstelle, doch was ich bei unseren coolen Lagerfeuerplänen nicht bedacht habe ist, dass es nachts nur dreieinhalb Stunden dunkel wird. Und da schlafen wir.
Zeit fürs Abendessen.
Der Schweinebraten hat alles das, was wir mögen: Er ist saufett, war deutlich zu lange im Feuer und ist so groß, dass selbst Pieps am Ende ganz zufrieden ist.
Heute war ein kleiner Reisetag, aber immerhin sind wir fast 200 Kilometer Motorrad gefahren, davon 40 km Enduro, haben Landschaft gesehen, ein Smörgås mit Shrimps und Mayonnaise gegessen, Fotos gemacht und ein Zelt aufgeschlagen.
Schweden. Im Grunde brauche ich nicht mehr.