Inhaltsverzeichnis
Dalarna 2024
Tag 1 Kiel - Oslo
Tag 2 Oslo - Schweden
Tag 3 Värmland - Dalarna
Tag 4 Vansbro und ein Knytkalas
Tag 5 Nås - Näs Bruk
Tag 6 Avesta
Tag 7 Tällberg am Siljansee
Tag 8 Outback Dalarna
Tag 9 Fäbod Fryksås
Tag 10 Älvdalen
Tag 11 Lofsdalen - Grövelsjön
Platzhalter Dalarna Miniskizze
Schwedentour Dalarna Tagesroute
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Im Älvdalen

Jede Reise hat Tage, auf die man sich besonders freut. Heute ist so einer. Wir fahren nach Älvdalen, Hauptort und Namensgeber der nördlichsten Gemeinde von Dalarna. Worauf ich mich freue, ist die Fahrt durch das menschenleere Flusstal, ein Roadtrip von 110 km. Bevölkerungsdichte: 1 Einwohner/km².

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Vor der Abreise zahle ich an der Rezeption unseren Deckel: Zwei Nächte, zweimal Frühstück, Croissants, Wienerbrød, Kaffee, Elchpizza und Bier: „That's 68 Euro, please.“ Absatzhalter Zeltcamping ist unfassbar günstig, freue ich mich, als ich kurz darauf den Blinker links nach Älvdalen setze. Wir sehen uns zuerst den Ort an, und fahren dann raus ins eigentliche Flusstal weiter nach Norden. Absatzhalter An einem Baum hängt ein handgemaltes Schild, Akta Älgar und warnt vor Elchen. Die Biester können immerhin bis zu 600 Kilo wiegen, während die Honda (156), das Gepäck (20) und ich (84) kaum 260 Kilo dagegenhalten können. Misstrauisch scanne ich den Straßenrand nach Elchen.

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In der Ferne taucht ein Berg auf. Der Hykjeberget ist 594 Meter hoch und besteht aus Porphyr. Mir sagt das nichts, aber ein paar Kilometer weiter wird man es uns erklären.

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Das Besondere am Hykjeberget ist nicht nur sein Gestein, sondern auch die Vegetation. Carl von Linneé, ein schwedischer Naturforscher hat sie 1734 zuerst beschrieben, dort wachsen Süßweide, Ahorn und Veilchen. Absatzhalter „Boah, was du alles weißt. Respekt!“ Absatzhalter „Danke, aber ich hab' zu Hause einen Wikipedia Anschluss. Aber viel mehr als Süßweide und Veilchen interessiert mich, ob man den Wanderweg zum Aussichtspunkt mit der Enduro hochfahren kann.“ Absatzhalter „Äh, ich glaub nicht, dass man das darf.“ Absatzhalter „Ich auch nicht, aber das ist Thema für eine andere Reise.“ Absatzhalter Älvdalen ist eine Kleinstadt von knapp 2.000 Einwohnern. Lustigerweise eine Partnergemeinde von Schönberg in Holstein, unserem Schönberg, das nebenan von Kiel.

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Bekannt ist Älvdalen auch durch seine Museen, ein Hagströmmuseum, wo Gitarren und Akkordeons gezeigt werden, und ein Porphyrmuseum, in dem sie was zeigen? Graue Steine? Ich kann mir nicht vorstellen, wer sich für sowas interessieren könnte, außer vielleicht jemand, der sich gerade von einer Gehirnerschütterung erholt. Absatzhalter Wenigstens sind die Museen leicht zu finden, sie teilen sich den Parkplatz mit dem örtlichen Schnapsladen und einem ICA-Supermarkt. Gerade als ich die Honda auf den Seitenständer sinken lasse, stiefelt eine junge Frau aus dem Schnapsladen und klettert in ihren Pickup. Absatzhalter Sie: Hager, tätowiert, dünn geraucht, vom flacheren Ende des Genpools, Er: Chevy, V8, Smallblock, Single Cab, späte 90er. Absatzhalter Redneck Girl startet den V8 und brennt mit qualmenden Reifen kickdown zur Ausfahrt, biegt in die Dorfstraße ein und heizt davon. Mein erster Eindruck von Älvdalen County und seinen Bewohnern ist schon jetzt reichlich outback_isch. Absatzhalter Mit Redneck Girl, einem meiner All-Time favourite Country-Songs im Ohr betrete ich das Museum, einen durchaus hässlichen 70er Jahre Zweckbau. An der Kasse sitzt ein junger Mann von vielleicht 40 Jahren, offener Blick, lockiges, dunkles Haar, ein Hübscher. Absatzhalter Er schaut von seinem Smartphone hoch und sieht mir neugierig entgegen. Wir begrüßen uns noch kurz mit einem freundlichen „hejhej“, aber dann platzt es schon aus mir heraus. Ich muss das jetzt wissen: Absatzhalter „So you just show here what? Stones?!“, frage ich ebenso ungläubig wie unhöflich. Absatzhalter Für einen Moment sieht er mich erstaunt an, denn Porphyr scheint in der Gegend eine große Sache zu sein, doch rasch fängt er sich wieder und kartet noch einmal nach: And there is an exhibition of Hagström guitars!“, erklärt er mit einem Anflug von Stolz in der Stimme. Absatzhalter Als ob es das irgendwie besser machen würde, denke ich kopfschüttelnd, während ich die VISA-Karte für 70 Kronen Eintritt ans Terminal halte.

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Er findet wohl, dass ich nicht das rechte Maß an Begeisterung aufbringe und erklärt weiter: „Porphyr is a vulcanic stone. The amphora behind you is made of it. It is insured for 200.000 Euros“. Die dunkle Vase aus glänzend poliertem Stein wirkt tatsächlich majestätisch und wäre das Prunkstück in jedem Beerdigungsinstitut.

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Dennoch achte ich peinlich darauf, nicht versehentlich dagegenzustoßen. Wenn ich die Monstrosität kaputt mache, gehört sie mir, und ich wüsste wirklich nicht, wohin damit. Absatzhalter In den nächsten Räumen sind Schaukästen aus der Blütezeit des Bergbaus im Älvdalen zu sehen. Jedes Diorama zeigt eine historische Szene aus dem Alltag der Menschen. Absatzhalter Die liebevollen Darstellungen fesseln mich, und selbst Pieps zeigt zum ersten Mal, seit wir hier angekommen sind, so etwas wie Interesse.

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Wir betrachten alles ganz genau, aber das Porphyrmuseum ist eher klein und schon bald sind wir durch. Noch immer sind Pieps und ich die einzigen Besucher, während sich die Menschen gegenüber im Schnapsladen die Klinke in die Hand geben. Absatzhalter „Do you want to visit the Hagström exhibition? There are some really interesting guitars to see“, bietet der Torwächter an, als ich zurück zur Kasse komme. Absatzhalter Er berichtet aus der Blütezeit der Hagström Gitarren, die bis 1982 in Älvdalen von Hand gefertigt wurden, bevor sie die Produktion nach China verlagert haben. Die Geschichte mag durchaus interessant sein, aber von Gitarren verstehe ich noch weniger als von allem anderen. Absatzhalter „Thank you, no, but there is something else, I would like to ask you. What is the best time for Älvdalen when traveling with motorbike and tent?“ Absatzhalter „Exactly this Time now. From 20th of May up to 20th of June. In July it's crazy with Mosquitoes and maybe even Wasps and Horn Flies“ Absatzhalter Horn Flies sind Hirschlausfliegen, eine Art fliegender Zecken, mit denen niemand gern Bekanntschaft macht. Auch deshalb bin ich schon am 22. Mai in Kiel losgefahren: Es ist kühl, es gibt noch kein Geziefer und weniger Wohnmobile. Drei hat gestimmt, Eins und Zwei bisher negativ. Absatzhalter „And what about late Summer?“ Absatzhalter „From 20th of August on is the absolut best Time for Dalarna, when the Colours bloom and the Mosquitoes are mostly gone.“ Absatzhalter „But September … isn't that the rainy Month?“ Absatzhalter „Oh no! That's October. September is fine.“ Absatzhalter Eine kurze Recherche in der Klimadatenbank gibt dem Torwächter Recht. Mai und September sind tatsächlich die besten Monate für Mittelschweden. Ich bedanke mich herzlich, kaufe zum Andenken einen winzigen, polierten Porphyr und steige wieder auf mein Motorrad.

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Älvdalen ist definitiv einen Besuch wert und es war auch schön, ein paar Worte zu wechseln, aber nun ist genug gemenschelt: Wir fahren wieder raus ins Freie. Absatzhalter Die Verlassenheit tut der Seele gut. Ich halte die Honda im sechsten Gang irgendwo in der Nähe der erlaubten 80 km/h und muss jetzt nur noch den Lenker festhalten und den Waldrand beobachten.

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Auf solchen Strecken fällt jeder Stress, jede Anspannung und jeder miese Gedanke von mir ab. Ich glaube, das ist so ein typisches Schwedending. Die 24 PS der Honda reichten mühelos, mich um die Urlaubskasse, den Führerschein und eventuell sogar das Motorrad selbst zu bringen. Absatzhalter Ich bin auf dem Weg nach Sveg, ein Roadtrip von 110 km. Nach einigen Kilometern ist eine Sehenswürdigkeit ausgeschildert, Långö Liebruk, ein altes Eisenwerk, das mit dem Porphyrwerk zusammengearbeitet hat. Ich biege auf einen Sandweg ein und folge ihm durch immer dichteres Gras bis zu einem falunroten Blockhaus.

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In Långö Liebruk haben einst 300 Leute gelebt, mit einer eigenen Schule, einem Laden und einem Bürgerhaus. Auf dem Gelände verteilt stehen einzelne verwitterte Infotafeln. Viele sind kaum noch zu erkennen.

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Auf überwachsenen Pfaden stapfe ich durch das hohe Gras und mache pflichtschuldig ein paar Fotos, aber ich kapiere nicht recht, was es hier zu sehen gibt und gehe zurück zum Motorrad. Mit mehr Dampf als nötig heize ich den Grasweg zurück zur Straße und fahre weiter nach Norden.

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50 km nach dem Museum überqueren wir die Grenze nach Jämtland. Das Län hat etwa die Größe von Kroatien und bedeckt damit 12% Schwedens, hat aber nur 133.000 Einwohner. Jede Menge nix los hier.

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Trotz seiner Verlassenheit gibt es im Grenzgebiet zwischen Dalarna und Jämtland, hier im Nichts von Nirgendwo viel zu entdecken. Kein zweites Hallstatt, aber dafür kleine Dinge, die wir ganz für uns haben.

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Von Zeit zu Zeit kreuzt ein Scooterweg die Fahrbahn und verschwindet auf der gegenüberliegenden Seite im Unterholz. Im Norden gibt es ein weites Netz von Pisten für Schneemobile, die mit einem liegenden Andreaskreuz markiert werden. Die Pisten hier werden vom Älvdalens Snöskoterklubb unterhalten, der für die Benutzung eine Gebühr verlangt.

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Eine Saisonkarte kostet 800 Kronen, etwa 70 Euro. Leider darf man die Strecken nicht mit der Enduro fahren. Das ist streng verboten und wäre ohnehin fast unmöglich, weil die Pisten durchs Terräng geroutet sind, also auch über zugefrorene Seen und mitten durchs Moor. Man sollte es gar nicht erst versuchen. Ich wünschte bloß, ich wüsste das schon heute.

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Auf dem langen Weg nach Sveg liegt unterwegs nur ein Dorf, Lillhärdal. Bis dort sind es noch 37 km. Der Benzintank der Honda reicht bis nach Sveg, aber unser Tank für Kaffee, Fett und Fastfood ist schon auf Reserve und reicht gerade noch bis Lillhärdal. Hoffentlich gibt es dort was für uns, und nicht nur Moose und Flechten. Absatzhalter Wann immer man in Schweden auf einem Parkplatz anhält, und sei es der kleinste Randstreifen im Nirgendwo, liegt garantiert irgendwo eine leere Snus-Dose. Eine sehr outback_ische Unart des Nordens.

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Snus ist eine Art Kautabak, nur dass man ihn nicht kaut, sondern einen winzigen Tabaksbeutel zwischen Lippe und Zahnfleisch klemmt, der ganz allmählich sein Nikotin ins Zahnfleisch sabbert. Absatzhalter Das Zeug ist in der gesamten EU illegal. Außer hier. Schweden hat bei den Beitrittsverhandlungen mit seiner langen Tradition argumentiert und so eine Sonderregelung im EU-Vertrag erwirkt.

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Kurz darauf rollen wir nach Lillhärdal ein. Zu sagen, der Ort wirke etwas heruntergekommen ist kein Übertreibung, wenn überhaupt, ist es das 'Etwas', nicht das andere. Allein der Supermarkt wirkt wie aus dem Ei gepellt, aber vielleicht ist es nur der Kontrast zum restlichen Dorf.

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Ich stelle die Enduro ab und gehe mit Pieps in den Laden. So wie es bei uns häufig einen Vorkassenbäcker gibt, haben sie hier ein Vorkassencafé, ein kleines. Auf dem Tresen steht eine Tortenhaube mit selbstgebackenen Keksen, es gibt eine Kaffeemaschine und einen Würstchengrill. Absatzhalter Wir stehen am Tresen und studieren die Bilder an der Wand, auf denen die verschiedenen Sorten von HotDogs abgebildet sind, nur um dann dasselbe wie immer zu nehmen: „Two Risted HotDogs, please.“

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Die Frau hinterm Tresen ist viel kleiner, etwas rundlicher und wesentlich jünger als ich. Während die Hotdog Brötchen im Toaster sind frage ich: Absatzhalter „What is it like in winter time here in the middle of nowhere?“
„Last winter was cold, minus thirty and one meter of snow.“ Absatzhalter Ich würde mich gerne weiter unterhalten, aber eine Gruppe Waldarbeiter kommt herein, Männer in matschigen Stiefeln und Schnittschutzhosen voller Sägespäne. Sie holen einige große Pakete im Laden ab und tragen sie raus zu ihrem Pickup. Absatzhalter Pieps und ich mampfen zufrieden unsere HotDogs und sehen zu, wie die Frau an der Kasse mit den Waldarbeitern scherzt. Man kennt sich hier. Sowie ich die Maus notdürftig von Ketchup, Senf und Mayonnaise gereinigt habe, fahren wir weiter. Bis nach Sveg sind es noch 30 Kilometer. Absatzhalter Die letzte Etappe bis nach Sveg gibt noch einmal alles an Verlassenheit, Einsamkeit und freier Strecke, das so typisch ist für Mittelschweden. Umso überraschter bin ich, als wir aus dem Wald hervorbrechen und urplötzlich an einer mehrspurigen Kreuzung mit Ampelanlage, Supermarkt und zwei Tankstellen stehen. Es ist Rot.

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Mir steht dabei immer dieses Bild vor Augen: Ein Trapper kommt ins Dorf, munitioniert seine Vorräte auf und verschwindet wieder in der Wildnis: „Ein Sack Mehl, ein Sack Bohnen, zehn Kilo Speck, zwanzig Liter Petroleum und dreihundert Schuss für die Winchester.“ Absatzhalter Kein Film zeigt das besser als 'Wie ein Schrei im Wind' von 1966 mit dem grandiosen Oliver Reed. Absatzhalter Ich parke die Honda vor dem Supermarkt und stiefele in den Laden. Wenn ich stiefeln sage, meine ich genau das: Die Motorradhose habe ich schon in Älvdalen in die Gummistiefel gesteckt. So, wie man in den Blue Ridge Mountains von Virginia seinen Colt offen trägt, kann man hier im Jämtland die Gummistiefel offen tragen, ohne allenthalben nur verwunderte Blicke und belustigtes Stirnrunzeln zu ernten.

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Diese Trapperin und ihre treue Maus Pieps munitionieren ihre Vorräte bei ICA in Sveg auf: „Ein Entrecôte, ein Päckchen Burger Patties, vier Dosen Bier, ein Knoblauchbrot und ein Paket Sesamkekse!“ Absatzhalter Die Wasserflaschen fülle ich im Damenklo am Wasserhahn auf, bevor ich alles zurück zum Motorrad trage. Gerade als ich den Einkauf verstaue, kommt eine junge Frau zu uns rüber und zeigt lachend auf ihre Stiefel. Sie trägt die gleichen Tretorn Sarek wie ich und fährt ebenfalls eine Enduro: „Best Boots for Biking in Sweden“, sagt sie und stiefelt in den Laden. Absatzhalter Bevor wir die Siedlung verlassen und wieder ins Kanu steigen, fülle ich den Tank der Honda bei Circle-K noch einmal randvoll. Das Wetter ist grandios, als wir aus Sveg hinaus die letzten 25 Kilometer bis zum Zeltplatz fahren.

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Auf Google Maps habe ich einen Lagerplatz entdeckt, wo wir zelten können. Er liegt auf einer Landzunge am Ufer des Svegssjön.

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Wenn ich gehofft hatte, den Platz am See für uns allein zu haben, dann werde ich enttäuscht, denn da stehen schon drei Wohnmobile, eines davon mit Kennzeichen aus Bautzen, ein Wohnwagen und ein VW Lupo mit Hamburger Kennzeichen. Die guten Plätze am Ufer sind schon belegt, und so stelle ich unser Zelt in der zweiten Reihe auf.

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Noch bevor der zweite Zelthering im Boden steckt, habe ich den ersten Mückenstich und kurz darauf zwei und drei. Der Platz ist absolut mücken­ver­seucht. Das ältere Ehepaar aus dem Wohnwagen nebenan, Locals, die hier regelmäßig campen, versichern mir, dass es der schlimmste Mücken­sommer seit langem sei. Absatzhalter Schuld daran sei ausgerechnet der harte Winter. Es habe lange Schnee gelegen und in den Schmelzwasserpfützen wachsen die Mückenlarven nun zu prächtigen Stichlingen heran.

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Mein Geheimrezept gegen Mückenstiche ist dasselbe seit meiner Kindheit: Unverdrossen kratzen und dabei proletig fluchen …

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.