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S01/E02 - In Wismar
„Guten Morgen.“ „Guten Morgen.“
So macht man das hier, wenn man sich begegnet.
Es ist kurz vor acht und wir sind unterwegs Brötchen holen.
„Ein Croissant und eins von denen, bitte.“ „Das sind Weizenbauern.“ „Die sehen lecker aus. So eins will ich.“
Zufrieden trage ich die Brötchentüte zurück zum Zelt. Ich freue mich aufs Frühstück. Wir haben sogar Butter.
Ich erinnere mich an grandiose Hotelfrühstücke, an Buffets mit Pancakes, Knusperspeck und Rührei.
Vor Jahren habe ich einmal empört eine miese Bewertung abgegeben, weil es am Buffet nur drei Sorten Wurst gab. Was hab ich mich aufgeregt.
Und jetzt? Wir haben nicht einmal Wurst. Nur Kaffee und Brötchen und sind dabei doch hochzufrieden.
Nach dem Frühstück mache ich die Enduro startklar und fahre los. Alleen, Äcker, Felder und jede Menge Platz. Mecklenburg ist unser am dünnsten besiedeltes Bundesland. Ungefähr wie Bulgarien.
Was mich an einem Urlaub in Deutschland am meisten stört - neben dem hektischen Straßenverkehr - ist, dass alles so vertraut ist. Straßen und Schilder, Menschen und Geschäfte: Alles wie zuhause, alles hundertmal gesehen. Man ist eben nicht in der Fremde. Oh, sollte ich mich irren, aber das kann ich jetzt noch nicht wissen.
Wismar ist UNESCO Welterbe, aber deshalb sind wir nicht hier, sondern wegen der Soko Wismar, den Kollegen Timmermann, Stine und Lars. Und natürlich wegen Udo, der die schmissige Titelmelodie zur Serie geschrieben hat.
Durch die sympathische Krimiserie bin ich überhaupt erst aufmerksam geworden auf die alte Hansestadt an der Ostsee. Was man dort im ZDF sieht, ist echt hübsch.
Die Fälle sind kintopp, aber die Art, wie die Kollegen miteinander sind, ist schon sehr norddeutsch echt. Außerdem glaube ich, dass Pieps ein bisschen in Lars Pöhlmann verliebt ist.
Tatsächlich fahre ich erst einmal am „Dienstgebäude“ der Soko vorbei. Im Fernsehen sieht es größer aus. Ich wundere mich, weit und breit keine Kollegen zu sehen. Und über dem Tor fehlt das große Schild POLIZEI, das da sonst hängt. Sind die umgezogen? Ich mache trotzdem ein Foto.
Auch andere Passanten fotografieren das Tor mit der goldenen Inschrift. Sicher ebenfalls Fans der Serie. Die frag ich mal, ob ich hier richtig bin:
„Entschuldigen Sie bitte, das hier ist doch Soko Wismar, oder?“ „Was soll des sai? Des kenna mir ned.“
Die Else guckt mich an wie ein Bus ohne Licht und auch ihr Mann hat offensichtlich keinen blassen Schimmer, wovon ich spreche. Schwaben, wenn ich nicht irre.
Diese Dorfdackel haben natürlich NULL Ahnung von echter Polizeiarbeit. Die wollten bloß diesen alten Kasten knipsen, nur weil vor 100 Jahren im Innenhof Szenen für Nosferatu gedreht wurden. So wie es aussieht, ist da neuerdings ein Museum drin. Ein Museum! In einer Polizeidienststelle!
Ist denn gar nichts mehr heilig?
Ich mache noch ein paar Aufnahmen und verlege mit Hopsa und Pieps runter zum Seehafen.
Hier wird hauptsächlich Massengut umgeschlagen, Kali und Salz, Stahl und Schrott, aber auch Holz und Torf.
Für einen Seehafen ist er eher klein, aber gerade deshalb gibt es viel zu sehen, weil die Kais nicht so weit entfernt liegen.
Wir schlendern rüber zum Alten Hafen, da wo die Kutter liegen und man Fischbrötchen kaufen kann. Soko Chef Ernst Reuter und seine Kollegen machen das, wenn sie ungezwungen einen Zeugen befragen wollen. Bei Rollmops und Bismarckhering werden dann ganz beiläufig die heiklen Fragen gestellt: „Woher kannten Sie das Opfer?“
Wir kennen niemanden, den wir befragen könnten, aber vielleicht können Pieps und ich ein paar Rollmöpse verhaften.
Ich studiere die Angebote auf dem Kai und suche den Kutter mit den leckersten Gerichten aus. Der eine hat sogar Fotos auf der Speisekarte.
Wir gehen näher heran und stellen uns an die Reling.
Der Kutter mit der leckersten Karte ist zugleich ein ziemlich abgeranzter, alter Kasten und statt eines norddeutschen Seebären mit Troyer und Matrosenmütze steht ein missmutig dreinblickender Inder an der Friteuse.
Dieser Kutter ist der Einzige am Kai, der nicht nur lokalen Seelachs, Hering und Rollmops im Angebot hat, sondern auch einige exotische Leckereien.
Unbestrittene Königin der Speisekarte ist die Neptunplatte. Da ist alles drin, Calamari, Backfisch, gebackene Garnelen und sogar frittierte Muscheln.
Wie sie das wohl machen?
„Moin. Einmal die Fischplatte Neptun, bitte.“
Sekunden später weiß ich, wie sie das machen. Man öffne die rostige Kühltruhe, nehme eine tiefgefrorene Tüte Golden Seafood heraus und schaufele den Inhalt ins kochende Fett. Voilà!
Nach wenigen Minuten hebt der Koch den Korb aus der Friteuse, kippt den Inhalt auf ein Papptablett und ertränkt das alles in Knoblauchsauce und flüssiger Mayonnaise. Pieps ist entzückt.
Zur Ehrenrettung der indischen Marine muss ich allerdings zugeben, dass die Neptunplatte ausgezeichnet schmeckt, auch wenn viel knusprige Panade an Bord ist und etwas weniger Fisch. Auf den Kuttern nebenan gibt es frisch gefangenen Dorsch und Hering aus der Ostsee. Wie mir solch ein Anfängerfehler passieren konnte. Dabei kenne ich doch die Grundregel: Iss niemals dort, wo draußen Fotos der Gerichte hängen.
Es ist interessant, dem Treiben im Hafen zuzusehen, weniger auf dem Wasser, da ist nichts los, aber an Land. Ich höre jeden mir bekannten deutschen Dialekt und sogar Holländer und Amerikaner.
Ich lasse das Motorrad am Alten Hafen stehen und spaziere durch das Wassertor hinüber in die Altstadt.
Auf dem Marktplatz steht die Wismarer Wasserkunst, das Wahrzeichen der Stadt. Es ist in der Eröffnungsszene von Nosferatu zu sehen.
Als ich Wismar verlasse, beginnt es wie irre zu regnen. Welcher Ort wäre besser geeignet, einen Wolkenbruch abzuwettern, als ein großer EDEKA mit Fleischtresen und Entrecôte? Erst in der Obstabteilung merke ich, dass ich wieder ohne Maske unterwegs bin. Ich zerre meine aus der Tasche und lege sie unter den missbilligenden Blicken einer Verkäuferin hastig an.
Ein ENTRECÔTE, zwei Ziegenkäse und eine Flasche Rotwein später verstaue ich den Einkauf im Tankrucksack. Der Regen hat aufgehört. Auf nassen Straßen tuckere ich aus Wismar hinaus.
Die nächste Station unserer Tagestour ist Dorf Mecklenburg. Wikipedia sagt, der Ort sei Teil der Metropolregion Hamburg. „Hah!“, denke ich. Das hättet ihr wohl gerne. Wenn das hier wirklich etwas mit der Metropolregion Hamburg zu tun hätte, wären wir gar nicht hier. Unser Ziel ist das örtliche Kreisagrarmuseum, alte Trecker und so Zeugs. Überprüft das eigentlich keiner, was die Leute in Wikipedia schreiben?
Pieps und ich stehen total auf Trecker, Bagger und Lokomotiven, aber Traktoren wie diese haben wir noch nie gesehen, Kettentraktor T100M, Stalin Traktorenwerk Tscheljabinsk, Sowjetunion. Ein Kettenmonster mit 13,5 Litern Hubraum. Welch ein cooles Teil. Pieps und ich sind in unserem Element. Wir setzen die Masken auf und eilen zur Kasse.
Auch hier alles unter Corona Bedingungen. Ich muss Namen und Adresse an der Kasse hinterlegen, damit sich mögliche Infektionsketten später zurückverfolgen lassen.
Heute geht diese Gefahr gegen Null. Außer uns interessiert sich an diesem Montagnachmittag nämlich keine Sau für alte Trecker, wie den AKTIVIST. Manchmal frage ich mich wirklich, wie andere Menschen ihre Prioritäten im Leben setzen.
In den Hallen gibt es jede Menge alter Maschinen und Ausstellungsstücke aus der ehemaligen DDR zu sehen. Schautafeln erklären, was eine LPG war, eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft.
Wie ich es verstehe, eine Art DDR Bauernhof, der allen gehört und keinem. Zuerst nehmen sie dir alles weg, Maschinen, Geld und Land, und dann schuftest du umsonst für die Gemeinschaft. Klingt nicht sehr verlockend. Allerdings bin ich auch ein Kind des Westens und des Kapitalismus. Gute Arbeit, gutes Geld, gutes Leben, Konsum und Wohlstand. Nur so kann ich mir Reisen mit Motorrad, Zelt und Entrecôte leisten. Von nichts kommt nichts. Von mir stammt die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen ganz sicher nicht.
Als wir alles angesehen, besichtigt, fotografiert und bewundert haben, satteln wir auf und fahren zurück zum Campingplatz. Sowie ich aus Dorf Mecklenburg raus bin, habe ich die Straße für mich allein. Die Gegend ist unglaublich verlassen.
Es macht Spaß, nach Hause zu kommen, wenn das Zelt bereits steht. Ich ziehe mich um, schnappe mir was zu Lesen und wandere mit Pieps hinunter an den See. Pieps will ihren berühmten Köpper üben und ich werde sie dabei gebührend bewundern.
Nicht, dass es in all den Jahren jemals auch nur ansatzweise zu einem Sprung gekommen wäre. Jedesmal hat irgendwas das in letzter Sekunde verhindert. Einmal musste die Maus im letzten Moment auf die Toilette, ein andermal waren da „total große Füsche“, dann war das Wasser zu tief, zu flach, zu irgendwas. Doch heute sind die Bedingungen perfekt, das Wetter, das Wasser, einfach alles. Heute soll es geschehen.
Wieder einmal habe ich die Rechnung ohne eine gewisse Maus gemacht. Es ist zum Mäusemelken. Wird dieser sagenumwobene Kopfsprung jemals stattfinden?
Pieps allerdings lässt sich von derlei kleinen Rückschlägen nicht beirren. Die Maus schwadroniert, als sei sie soeben allein durch den Ärmelkanal geschwommen und dabei unterwegs zweimal auf den Grund getaucht. „Mit ohne Nase zuhalten.“
Nach soviel Wassersport ist man völlig ausgehungert und ich muss mich ranhalten, um überhaupt etwas von dem köstlichen Entrecôte abzukriegen.
Morgen beginnt für uns der Trans Euro Trail. Ich habe die Strecke vom Schweriner See bis an die polnische Grenze in vier Tagesetappen geteilt. Wir endurowandern einen Abschnitt, legen einen Jokertag mit Ausflügen in die Umgebung ein und fahren am dritten Tag weiter. Einen Tag Enduro, einen Tag Besichtigung.
Wie der Trail wohl ist? Sand, Matsch, Schotter oder Gras? Und wieviel Asphalt? Sind wir mit unseren Heidenau K60 ausreichend bereift? Oder brauchen wir gröberes Werkzeug?