Oslo – Lillehammer
Langsam kämpfe ich mich aus den Tiefen der Kissen wieder an die Oberfläche. Die Augen noch geschlossen höre ich das Rauschen der Lüftung, das gedämpfte Brummen des Schiffs und den lieblichen Gesang der Amseln. Amseln? Auf einem Schiff? Auf hoher See?
„Pieps, aufwachen! Frühstück wartet. Wir müssen ans Buffet.“
„Lass mech", knurrt es aus dem Kissen. „Ich will noch schlaf'n.“
„Aber es gibt Bacon. Knusperspeck und Spiegeleier.“
Hüpft in einem Satz aus dem Bett: „Fäähtich! Wir könn' los.“
„Erst anziehen und Zähneputzen?!“
„Menno...“
Ich schalte den Fernseher ein und drücke den Kanal der Bugkamera. Voraus liegt ruhiges Meer und ein rosa Sonnenaufgang wie aus dem Reiseprospekt.
Um Punkt sieben entriegelt ein älterer Ober von innen die Eingangstür. Ein wahrer Profi, denn er macht sogleich einen eleganten Sidestep, sonst wäre er von den Türen erdrückt und von der Stampede niedergetrampelt worden, vorneweg Pieps und ich.
Der Eindruck täuscht nicht. Es ist voll heute Morgen. Auf allen Tischen stehen Kärtchen mit dem Hinweis, dass man seinen letzten Kaffee gerne draußen trinken dürfe, um den Platz wieder frei zu machen. Das Schiff ist mit etwa 2.500 Passagieren ausgebucht.
Es ist voll am Buffet, aber trotzdem werden die Wannen mit Knusperspeck, Eiern, Würstchen und hundert anderen Leckerein niemals leer. Marmelade vermutlich auch nicht, aber da sind wir keine Experten.
Da steht Hopsa, the Africa Single. Beladen mit 20 Kilo Urlaubsgepäck und as hochbeinig as can be. Ich löse den Ratschengurt, mache die Honda startklar und rufe auf dem Garmin den Track des Tages auf „02_Oslo-Lilleham". Die letzte Silbe von Lillehammer fehlt. Das alte Oregon 450 kann nur 16 Zeichen im Dateinamen darstellen.
Im letzten Moment, kurz bevor es losgeht, hasten zwei Damen im besten Alter zu den V-Stroms und die zugehörigen Graubärte zu ihren BMW GS. Die Erleichterung, endlich ihre Maschinen gefunden zu haben, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. „Jetzt aber fix, Leute“, sage ich und schüttele hochnäsig den Kopf, so als könne mir so etwas nie passieren. Kann es wohl und ist es auch schon, aber das können die ja nicht wissen.
Von vorne fällt Tageslicht ins Deck. Die Bugklappe ist offen und die ersten Motoren werden gestartet. Der Wagen vor mir fährt los und ich tuckere langsam hinterher. Über Lautsprecher kommt die Durchsage, dass wir gleich Ausweis und Bordkarte vorzeigen müssen.
Nach wenigen Metern beschwert sich das Garmin, dass es keine Satelliten mehr sehen kann. Im selben Moment heizen wir mit 90 km/h unter Tage auf einen Abzweiger zu. Links oder rechts? Keine Ahnung.
Ich lenke die Honda auf eine Circle-K Tankstelle mit 7-Eleven Supermarkt. Wir brauchen eine Flasche Wasser. Zum Trinken? Nein, es geht mehr um die Flasche, die wir jeden Tag für den Rest der Reise nachfüllen wollen. Oder bis ich sie offroad verliere und wir eine neue kaufen müssen.
Gjövik (T+E) steht in Rot auf meinem Reiseplan. T+E steht für Tanken und Einkaufen. Der Track führt direkt über den Parkplatz vom REMA 1000, einer Supermarktkette, die in Dänemark und Norwegen zu Hause ist.
Voller Vorfreude stiefele ich mit Pieps in den Markt. Ich liebe es, in fremden Ländern Lebensmittel zu kaufen und Neues zu entdecken. Auf dieser Reise soll es Lachs geben. In Norwegen wird zehnmal soviel Lachs gefangen wie in Kanada. Wenn wir hier keinen Lachs essen, wo dann?!
Die Eier klemme ich unters Gepäckgummi und den übrigen Einkauf verstaue ich im Tankrucksack. Bis zum Campingplatz sind es noch 60 km. Die Camps an der E6, an denen wir heute vorbeigerauscht sind, waren alle rappelvoll. Pfingsten eben. Ich hoffe nur, dass wir auf Ringen Camping noch einen Platz kriegen. Vieles ist zu Pfingsten ausgebucht.
Kurz vor Lillehammer verlassen wir die E6 und winden uns im Nu auf einer hübschen Kurvenstrecke durch die norwegische Landschaft.
„And I was afraid it could be overcrowded“, lache ich sie an.
„Oh no. Camps next to the E6 are always crowded, but here in the middle of nowhere we're never fully booked“ erklärt sie mir.
Wir dürfen unseren Platz frei aussuchen. Die Zeltwiese haben wir ganz für uns. Bester Laune lade ich das Gepäck ab und pieke den ersten Zelthering dieser Reise in norwegische Erde. Das Gras ist dicht und saftig, kaum zwei Klicks unter Golfrasen Qualität. Ich bin glücklich und Pieps ist es auch.
„Nur gieb's jetz' ebwa immer nur Füsch?“
„Das ist Lachs, das Entrecôte Norwegens, mein Schatz.“
„Onktrikoot is' mein Lieblings! Aber ich will die Knusperhaut.“
„Auch das, Mäuschen, auch das.“ Tiefer Seufzer.
Als ich vom Abwaschen zurückkomme sind es bloß noch 8 °C. Pieps und ich machen uns bettfertig. Für diese Temperaturen ist unser Schlafsack noch zu warm und ich breite ihn nur als Bettdecke über uns aus.
Morgen beginnt das Abenteuer. Nur wenige Kilometer von hier geht es auf den Peer Gynt Vegen, die erste Piste dieser Reise zum Endurowandern. Genau deshalb habe ich Ringen Offroad Camping für unsere erste Nacht in Norwegen ausgesucht.
Zufrieden ziehe ich die Daunendecke hoch bis zur Nasenspitze und kuschele mich ein. Ich bin gespannt, was uns morgen erwartet. Pieps schläft bereits tief und fest.
„Gute Nacht, Welt.“
zum nächsten Tag...
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