Inhaltsverzeichnis
Norwegen 2022
Tag 1 Kiel - Oslo
Tag 2 Oslo - Lillehammer
Tag 3 Peer Gynt Vegen
Tag 4 Jotunheimvegen
Tag 5 Slettefjellvegen
Tag 6 Slådals- u. Einunndalsvegen
Tag 7 Trontoppen u. Gammeldalen
Tag 8 Røros
Tag 9 Aursjøvegen
Tag 10 Trollstigen
Tag 11 Geiranger, Gamle Strynfjell
Tag 13 Stabkirche Urnes
Tag 14 Tindevegen - Snøvegen
Tag 15 Hardangervidda
Tag 16 Vrågåvegen
Tag 18 Vikersund - Oslo - Kiel
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Jotunheimvegen

Ich ziehe das Zelt auf und lasse einen Moment lang die Aussicht auf mich wirken. Unter mir das ruhige Wasser des Sees, drüben der dunkle Wald und über allem dieser makellos blaue Himmel mit noch zwei Wochen Urlaub voraus. Wenn Campen immer so perfekt wäre, hätte ich meine Wohnung längst gekündigt.

Motorradtour nach Norwegen

Es ist noch früh und außer uns ist kein Mensch zu sehen. Die Wohn­mobile haben noch ihre silbrig glänzende Verdunkelung vor den Fenstern. „Meine Güte“, denke ich, „welch ein Morgen.“

Motorradtour nach Norwegen

Heute ist ein besonderer Tag. Seit Monaten schon freue ich mich auf die heutige „Piste des Tages", den Jotunheimvegen, eine 45 Kilometer lange Hochgebirgspiste durch Jotunheimen, das Heim der Riesen.

Dabei liegen noch viele weitere abenteuerliche Pisten vor uns, aber diese ist besonders. Jotunheimen, allein dieser Name, diese Geschichte. Endurowandern im Heim der Riesen.

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Bis zum Schluss hatte ich gefiebert, ob die Wintersperre rechtzeitig aufge­hoben würde. Den Status der Piste konnte man auf jotunheimvegen.no verfolgen und was hab ich gejubelt, als die Strecke in diesem Jahr schon Mitte Mai freigegeben wurde.
(Notiz an mich: Checken, ab wann die Wintersperre wieder einsetzt)

Zwei Kilometer hinter dem Camp beginnt schon der Jotunheimvegen. Eine Tafel erklärt, dass die Maut Kr.110 für Autos und Fahrzeuge über 3.5t kostet, etwa 11 Euro. Für Enduros beträgt die Maut Kr.0. Das sind – je nach Wechselkurs – etwa 0,00 Euro.

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Der Weg voraus sieht so einladend aus, wie eine Piste nur aussehen kann. Ich lege den Gang ein, lasse die Kupplung kommen und wir schottern los. Was uns hier wohl erwartet? Ob die Piste meiner Schwärmerei überhaupt gerecht werden kann? Von Jotunheimen erhoffe ich mir alles, was gestern auch Peer Gynt geboten hat, aber viel rauer, wilder und einsamer.

Die Piste ist frisch geschottert und der tiefe Gravel fährt sich bestens, aber irgend etwas scheint mit der Honda nicht zu stimmen. Immer wenn ich in der Kurve Gas gebe, rutscht mir das Hinterrad weg.

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„Mist!“, denke ich. Das kann ich jetzt echt nicht gebrauchen, dass mir hier mitten in der Pampa das Motorrad kaputt geht. Aufmerksam fahre ich weiter. Jetzt scheint wieder alles in Ordnung, aber zack!, da ist es wieder: In einer engen Linkskurve gebe ich im Zweiten Gas und das Hinterrad versucht außen zu überholen. Vielleicht das Schwingenlager?

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Während ich noch über die Unwägbarkeit japanischer Technik sinniere, taucht vor uns die Bomstasjon auf. Auf einem Schild steht es noch einmal: MOTO gratis/free. Ohne meine Kreditkarte zu präsentieren kurve ich im eleganten Schlenker kostenfrei um die Schranke herum.

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Die Piste klettert und schon nach wenigen Kilometern sind wir in etwa 1.000 m Höhe über der Baumgrenze. Umso merkwürdiger ist das kleine Birkenwäldchen am Wegesrand. Die Bäume sehen tot aus. Was ist da los? Halten Birken Winterschlaf, oder sind die wirklich erledigt?

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Die Landschaft ist so rau und wild wie in meiner Vorstellung. An den Hängen liegen erste Schneefelder und es weht ein eisiger Wind übers Fjell. Mir ist schweinekalt.

Viele, viele Kilometer schottern wir so übers Fjell. Hinter jeder Kuppe liegt eine neue dramatische Aussicht. Der Jotunheimvegen begeistert mich. Endurowandern in Norwegen, so hatte ich mir das vorgestellt. Dazu dieses traumhafte Wetter. Ob das hier immer so schön ist?

In der Ferne am Ende einer langen Geraden sehe ich etwas. Da ist was auf dem Weg. Ich kneife die Augen zusammen. Das scheint eine Gruppe Wanderer zu sein, die uns auf der Piste entgegen läuft. Die gesamte Wandergruppe ist einheitlich in Beige gekleidet. Vielleicht ein Verein, oder eine von diesen Rentnergangs auf ihrer jährlichen Pfingstwanderung.

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Ich nehme Gas weg, um die Pensionäre nicht unnötig zu erschrecken. Merkwürdig, die sind alle verdammt langbeinig. Und plötzlich erkenne ich, wer uns da entgegenkommt: Rentiere! Deshalb tragen alle Beige.

Es ist ein ganzes Rudel mit Jungen. Elche sehe ich nie, aber Rentiere laufen mir im Norden fast andauernd vors Motorrad. Zuletzt in Finnland.

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Rentiere finde ich total sympathisch, nicht nur weil sie uns die Weihnachts­geschenke bringen, sondern auch weil sie mitunter so unbeholfen und dusselig wirken. Man muss sie einfach mögen.

Mit leise blubberndem Motor bleibe ich stehen und sehe fasziniert zu, wie das Rudel die Richtung wechselt und die Beigen samt Anhang auf die Sommerweide traben.

Langsam fahre ich weiter. Die raue Fjell Landschaft ist faszinierend, auch wenn man bei diesem Wetter beinahe vergisst, welch lebensfeindliche Umgebung hier oben im Winter ist.

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Wenige Kilometer vor dem Ende des Jotunheimvegen komme ich an das Ufer des Vinstre. Am Wasser steht malerisch ein dunkelrotes Holzhaus in der Landschaft, dahinter blaues Wasser und weiß gesprenkelte Berge, ein wahres Postkartenmotiv.

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Hoffentlich kriege ich später aus dem Screenshot des Videos ein gutes Bild heraus, denn ich habe nur die Action Cams und bin ohne meinen Fotoapparat unterwegs.

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Die Piste führt sanft hinunter zum See. Wir überqueren einen reißenden Bach, der gerade erst von Schnee und Eis befreit ist. Unter großem Getöse rauscht das eisige Wasser in den See.

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Die Piste klettert noch einmal steil nach oben. Am Wegesrand liegen dicke Schneefelder, die letzten Überbleibsel des vergangenen Winters. Der Kontrast zum Himmelsblau ist fast zu schön um wahr zu sein.

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Vor uns taucht die Bomstasjon auf. Hier endet der Jotunheimvegen. Ich fahre entschlossen auf die Schranke zu und gerade als ich im letzten Moment eine Notbremsung einleiten will, geht die Schranke hoch und wir sind durch.

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Am Berg voraus sind schon die Autos auf der RV 51 zu sehen, eine der Traumstraßen durch Jotunheimen. Ich rolle an die Einmündung heran und warte kurz auf eine Lücke im Verkehr, bevor ich nach Süden einbiege und der Straße in Richtung Beitostølen folge.

Allmählich könnten Pieps und ich eine Pause gebrauchen. Das Café in Bygdin ist geschlossen, aber einige Kilometer weiter taucht neben der Straße ein Bauernhof auf. "Geitost og Kafe" steht auf einer Holztafel. Ziegenkäse und Kaffee, das wollen wir.

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Der Bauer hat an der Straße eine kleine Verkaufshütte aufgestellt. Neugierig trete ich an das Fenster heran. Vorne hängen dicke Würste, im Hintergrund steht eine Kaffeemaschine und auf dem Tresen ein Teller mit gefüllten Crêpes, jedenfalls halte ich sie dafür.

„Die sin' bestümmt mit Nutella gefüllt, näh?“
„Ne, das glaub ich nicht. Dafür ist die Füllung zu rosa. Ich frag mal.“

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Ein Mädchen kommt aus dem Farmhaus herüber. Ich bestelle Kaffee und möchte wissen, was in den Röllchen ist. Die Kleine spricht Englisch, aber bei der Füllung der Crêpes muss sie passen: „I'll get my Dad.“

Der Papa ist ein freundlicher Hühne und erklärt mir, dass die Pfannkuchen mit Forelle gefüllt seien. Ich bestelle eine und frage nach den Sorten Geitost, die sie hier verkaufen. Er sieht mich ratlos an: „I'll get my Wife.“

Inzwischen haben Pieps und ich die ganze Familie in Arbeit, drei Kinder, den Papa und die Mama. Ich erfahre, dass der Kvit Geitost, der weiße Ziegenkäse ein besonders guter ist und kaufe ein Stück.

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Mit unserer Beute ziehen wir uns an einen Platz vor der Hütte zurück. Die Röllchen sind ganz weich und fett mit Forelle und Seterrømme gefüllt, einer dicken norwegischen Schlagsahne. Meine Güte, sind die lecker. Pieps ist so begeistert, dass ich zweimal Nachschub holen muss. Für den Preis mit Forelle, Käse und Kaffee hätten wir auch im Kieler Ratskeller essen können - mit Wein - aber das ist Norwegen und uns ist es das wert.

Satt und zufrieden steige ich wieder aufs Motorrad und fahre weiter. Bei der Planung habe ich viele bekannte und weniger bekannte Pisten wie Perlen an einer Schnur zu einer Rundreise aufgezogen. Daneben aber auch kurze Strecken, die irgendwo ein paar Kilometer offroad versprechen. Auf Google Maps waren die mitunter kaum zu entdecken, aber auf den topographischen Karten in Kurviger konnte ich sie routen.

„'Kurviger konnte sie routen'. Was immer das bedeutet,“, denke ich, als ich vor der Schranke am Beginn eines namenlosen Waldweges stehe. Der Baum steht offen, aber das fette verchromte Vorhängeschloss daran sagt mir, dass er regelmäßig wieder verschlossen wird.

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Jetzt aber ist der Weg frei und ich tuckere zögerlich in den Wald hinein. Hoffentlich ist die Schranke auf der anderen Seite auch offen und noch hoffentlicher ist die erste noch offen, falls wir vor der zweiten umkehren müssen.

Auf dem Weg liegen Borke, Zweige und kleine Äste. Es duftet nach Wald. Hier wurde Holz gemacht. Zum Glück ist es trocken, sonst wären die Fahrspuren der schweren Maschinen nicht so einfach zu fahren.

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Es geht steil bergan und ich muss immer wieder Zweigen und kleinen Ästen ausweichen. Plötzlich liegt eine große Fichte quer über dem Weg. „Mist, das ist ein Problem.“

Ich steige ab und sehe mir die Stelle an. Diesen einen Baum könnten wir schaffen, wenn ich die Spitze ein wenig zur Seite ziehe, aber es hat keinen Sinn: Dahinter liegen so weit das Auge reicht weitere Bäume. Ein kolossaler Windbruch. Vermutlich waren sie gerade dabei, die gefallenen Bäume aus dem Wald zu holen und sind erst bis hierhin gekommen.

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Nein, hier geht es für uns nicht weiter. Wir müssen umkehren, aber das ist nicht so einfach. Die Africa Single mit dem Wilbers Fahrwerk ist so hochbeinig, dass ich nur mit den Fußspitzen auf den Boden komme und keinen Druck aufbauen kann. Um ein Haar lege ich die Enduro beim Rückwärts-Tippeln auf die Seite, aber dann stehen wir in Gegenrichtung. Mit etwas mehr Gas, als notwendig oder angemessen wäre, düse ich den Weg zurück. Nichts lenkt so sehr von einer Niederlage ab, wie ein entschlossener Gasstoß weg vom Ort des Geschehens.

Auf der Landkarte habe ich gesehen, dass dieser Weg eine Abkürzung über den Berg ist. Die offizielle Straße führt außen herum und ist einige Kilometer länger.

Mit Erleichterung fahre ich unter der offenen Schranke hindurch und biege auf die Straße ein, die uns außen um den Wald herumführt.

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Die Strecke führt oberhalb eines Sees am Hang entlang. Auf den Wiesen stehen braune Kühe und mampfen das fette grüne Gras. Ein wenig erinnert mich der Anblick an das Allgäu in Bayern.

Dass der Campingplatz des Tages im Gegensatz zur Piste des Tages kein Highlight sein würde, hatte ich schon bei der Planung befürchtet, aber dass xxx Camping eine solche Dauercamperfestung sein würde, unterbietet meine Erwartungen noch einmal.

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Es ist die Sorte Dauerplätze, wo der Wohnwagen nur noch als innerste Keimzelle umfangreicher Bastelarbeiten aus Sperrholz und Spanplatten dient, kaum dass noch eine Ecke des Wohnwagens durchscheint. Der Rest ist ein Alptraum aus Spaxschrauben und Gartenzwergen.

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So ätzend der Rest des Platzes auch ist, für Reisecamper gibt es eine sehr schöne Halbinsel am Ende des Camps, die ein Stück in den See hinein ragt. Wir stellen unser Zelt am Ufer auf und sind wieder versöhnt. Schön ist es hier. Außer uns steht nur ein einzelnes Wohnmobil am Ufer. Ein älteres Ehepaar sitzt auf Campingstühlen und genießt die Aussicht.

Gerade als ich den Tag noch einmal Revue passieren lasse und denke, dass der Jotunheimvegen bisher das Highlight der Reise war, kommt ein roter Campervan mit deutschen Kennzeichen auf die Peninsula gefahren.

Es fährt ans Ufer, setzt zurück und parkt exakt vor meiner Nase. Statt auf den See blicke ich jetzt in ein schwarzes Diesel Auspuffrohr. Ein Mann steigt aus, Typ Silberrücken mit Glatze, Spitzbauch und Mottoshirt.

Ist das versteckte Kamera?

„Du willst ja wohl nicht ernsthaft da stehenbleiben, oder?!“
„Ich will hier angeln.“

„Ein Irrer“, denke ich, aber er hat wohl gemerkt, dass es mir Ernst ist und klettert wieder hinters Lenkrad, wobei ihn sein Spitzbauch nicht wenig behindert. Der Motor wird gestartet und der Angler fährt ein Stück vor. Jetzt genießt das ältere Ehepaar die Aussicht auf einen roten Fiat Ducato. Manche von diesen WoMo Typen haben echt 'ne Meise, denke ich.

Das war ein sagenhaft schöner Reisetag. Endurowandern mit einer Prise Kühlschrank, mit Forelle, Rentieren und Ziegenkäse. Ich stelle die Pfanne auf den Kocher und lasse das erste Stück Lachs ins heiße Fett gleiten.

So kann die Reise weitergehen.

„Gute Nacht, Welt, gute Nacht, Pieps.“





zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.