Slettefjellvegen
Das Camp schläft noch, als ich am Morgen das Zelt öffne und hinaus auf den See gucke. Das Wasser liegt glatt wie ein Spiegel. Nur eine emsige Biene und ein paar Wasservögel stören die Ruhe. Meine Güte, ist das friedlich hier.
Etwa vier Kilometer hinter Ryfoss steht eine Stabkirche am Straßenrand. Høre Stavkirke ist eine der weniger bekannten norwegischen Stabkirchen, zumindest habe ich noch nie von ihr gehört.
Wir haben Glück, kein einziger anderer Tourist, kein Reisebus und kein Kreuzfahrer sind zu sehen. Ich stelle die Enduro auf den Seitenständer und stiefele durch das uralte Tor vorbei am Runenstein über den Friedhof zur Kirche.
„Isn't it possible to go inside and have a look?“
„No, it is closed. Guided tours will start in 2023, but I will get us the key.“
Die Baumstämme, aus denen Høre Stavkirke erbaut worden ist, sind im Jahr 1180 gefällt worden. Manche Stämme sind mit aufwendigen Schnitzereien verziert.
„They look somehow mongolic to me.“
„Yes. But I don't know why.“
Ich bedanke mich überschwänglich für die private Führung und würde gerne ein Trinkgeld geben. In solchen Situationen bin ich völlig unsicher, ob das angemessen ist, oder eher eine Kränkung. So versuche ich dem netten Gärtner einen Schein zuzustecken, aber er lehnt entschlossen, beinahe entrüstet ab. Das sei seine Arbeitszeit und dafür könne er nicht doppelt bezahlt werden.
Der grundehrliche und sympathische Friedhofsgärtner widmet sich erneut seiner Motorsense, während ich die Honda starte. Der Slettefjellvegen wartet, jedenfalls hoffe ich das.
Welch eine Enttäuschung. Aber damit muss man wohl rechnen, wenn man schon Anfang Juni in Norwegen unterwegs ist. Heute ist der siebente Juni und diese Landschaftsroute liegt noch im Winterschlaf.
Die Frage ist bloß: Wie doll ist der geschlossen? Völlig? Nur ein bisschen? Oder vielleicht haben sie bloß vergessen, das Schild reinzuholen? Ich lege den Gang ein und lasse die Kupplung kommen. Bloß nicht zögern, eine Piste wie diese erkennt Schwäche sofort.
In engen Kehren geht es auf Schotter weiter bergan. Eine tolle Strecke und kein bisschen geschlossen. Noch sieht alles gut aus.
Bis ich vergnügt um eine Kurve schottere und den Schlagbaum entdecke. Ab hier ist wirklich gesperrt. Ich könnte vorsichtig drum herumtrialen, aber das gehört sich nicht und kann Ärger bedeuten. Damit fällt die Piste des Tages heute aus, aber zumindest habe ich es versucht.
Diese Art der Baustellenquerung ist typisch norwegisch. Anstatt eines aufwendigen Ampelsystems mit Baustellensicherung fährt ein Lotse vorne weg und führt die Kolonne an sämtlichen Baggern und Baugruben sicher vorbei.
Da hab ich die erste günstige Gelegenheit genutzt und ihn zwischen zwei Baggern mit Vollgas überholt. Meine Güte, welch ein Theater.
Das ist lange her, doch der Typ von der Baustellensicherung guckt mich so böse an, als ob bei denen im Aufenthaltsraum noch heute mein Steckbrief hängt. „Ja, ja, keine Sorge. Ich bleib brav dahinter.“
Es dauert eine ganze Weile, bis der Gegenverkehr endlich durch ist und wir uns wie die Entenküken brav hinter Mama Ledebill einreihen. Der Typ im Lotsenauto fährt provozierend langsam und mehr als einmal bin ich kurz davor schwach zu werden und ihn mit einem gezielten Gasstoß aufzurauchen, aber heute habe ich mich im Griff.
Der Gastraum ist auf traditionell nordische Weise völlig überheizt. Oh, ich liebe das. So kann ich in der Pause meine Wärmeakkus wieder aufladen. Eigentlich würde ich lieber etwas Herzhaftes essen, „Haben Sie Schnitzel Pommes?“, aber auf norwegischen Hütten gibt es Süß. Pieps entscheidet sich für Vafler med jordbær und ich bestelle Kaffe. Das zweite ,E´ im Getränk unterschlagen die Norweger gerne.
Als ich mich wieder aufs Motorrad schwinge und Pieps im Tankrucksack verschwindet, fühlen wir uns beide bestens unterhalten und aufgewärmt. Die Fahrt übers Fjell kann weitergehen.
Die Piste des Tages, der Slettefjellvegen war leider gesperrt, aber trotzdem warten heute noch einige Kilometer Dirt Road auf uns. Bei der Planung ist mir eine interessante Piste aufgefallen, der Brekkevegen, ein Abschnitt der Kreisstraße 2636, der in Kehren auf Sand bergab zum Fluss Otta fürt. Die Piste endet im kleinen Örtchen Lalm an der Rv 15.
Voller Begeisterung heizen wir auf der Honda Africa Single die Piste runter. Mit Power auf die Kehre zu, auskuppeln und voll auf die Hinterradbremse steigen, dann passiert nämlich Nichts!
Zum Abschalten des ABS muss ich kurz anhalten und den Motor abstellen. Jetzt geht es wieder. Wozu ist das überhaupt gut, dieses ABS, wenn man damit nicht richtig bremsen kann? Schon auf dem Jotunheimvegen wären wir einmal beinahe übers Ziel hinausgschossen.
Der letzte Kilometer hinunter nach Lalm ist asphaltiert. Ich rolle auf der Straßenbrücke über die Otta und biege auf die Rv 15 ein. Die Piste des Tages, der Brekkevegen war zwar nur 5 km lang, hat aber trotzdem Spaß gemacht. Eine interessante kleine Piste zum Endurowandern.
Es sind noch 45 km bis nach Lom, wo wir heute unser Zelt aufschlagen wollen. Die Rv 15 verläuft nah am südlichen Ufer der Otta, aber die Strecke ist dicht befahren mit Autos, Wohnmobilen und LKW. Nein, Spaß macht die nicht, aber wir wollen ankommen und ich gleite mit stoischer Ruhe im Verkehr mit, ohne zu überholen oder überholt zu werden.
Aber noch etwas anderes gibt es in Lom: Einen Supermarkt mit einem Grill, wo sich knusprige Hühner überm Feuer drehen, um einmal krosche Grillhähnchen zu werden. Zumindest war das bei meinen letzten beiden Besuchen in Lom so.
Angeblich gibt es diesen Grill nicht mehr, sagen zumindest meine Freunde, die Motorrad-Kulturreisenden aus Österreich. Keine knusprigen Hühner mehr behaupten die.
„Gibt es wohl noch!“
„Gibt es nicht mehr!“
„Wir werden sehen. Chicken Challenge?
„Chicken Challenge!
Siegesgewiss lasse ich die Enduro vor dem Supermarkt in Lom ausrollen. Ich freu mich schon darauf, wie ich huldvoll die Glückwünsche zum Sieg der Challenge entgegennehme und schreite gut gelaunt durchs Drehkreuz hinein in die Tiefe des Ladens.
Bananen! Was soll sowas? Ich überlege kurz, ob ich mich auf einen Höhrfehler berufen soll und es ja eigentlich um eine Schinken-Challenge ging, aber ich weiß, wann ich gerade mal nicht gewonnen habe.
Bananen. Ausgerechnet. Hmpff
Zu Beruhigung der Gemüter kaufe ich zum Abendessen ein Paket Lachs, an dem ein Grizzly ersticken würde. Pieps nickt wohlwollend, als ich die Packung an der Kasse aufs Laufband lege.
Direkt nach mir versucht sich eine - noch - ältere holländische Dame am Automaten. Sie hat Schwierigkeiten, ist aber auch zu störrisch, sich von mir helfen zu lassen. Pieps neunmalkluge Kommentare sind dabei nicht eben hilfreich. Dann nicht. Ich starte die Honda und tuckere hinüber zu unserem gebuchten Zeltplatz.
Das Gras auf der Wiese ist fett und saftig, dass man fast keine Isomatte bräuchte, wenn der Boden vom Winter nicht noch so kalt wäre.
Das Getöse hat aber auch sein Gutes, die Rv 55, die keine 40 m hinterm Zelt vorbeiführt, ist kaum zu hören. Der Fluss übertönt alles, bis auf die schwersten LKW, die sich mühsam die Steigung hochschalten.
Auch wenn die Piste des Tages ausgefallen und durch einen 5 km kurzen Brekkevegen ersetzt worden ist, war es trotzdem ein schöner Reisetag. Die private Führung des Friedhofsgärtners in der Stabkirche hat mir besser gefallen als eine vom Profi. Aber das kann ich jetzt noch nicht wissen.
Später am Abend, als wir beide längst unsere Snoopy Nachthemden anhaben, Pieps in ihrem Pixiebuch liest und ich Reisetagebuch schreibe, denke ich, welch ein Glück wir doch haben. Wir sind jung und gesund, haben eine kleine Enduro, ein Zelt und eine Bratpfanne und noch fast zwei Wochen Urlaub in Norwegen vor uns. Besser gehts nicht, oder?!
Morgen wartet ein neues Abenteuer auf uns.
„Gute Nacht, liebe Welt.“
zum nächsten Tag...
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