Inhaltsverzeichnis
Frankreich 2023
Tag 1 Kiel - Bad Pyrmont
Tag 2 Bad Pyrmont - Dausenau
Tag 3 Dausenau - Wingen-s/Moder
Tag 4 Wingen - Camp Hautoreille
Tag 5 Jokertag im Camp Hautoreille
Tag 6 Parc Morvan, Camp Le Paroy
Tage 7/8 Jokertage im Camp
Tag 9 In die Auvergne
Tage 10/11 Auvergne-Tarnschlucht
Tag 12 Zur Quelle des Tarn
Tag 13 Gorges du Tarn bis Ambialet
Tag 14 Tarn bis Moissac
Tag 15 Moissac - Périgord
Tag 16 Jumilhac-le-Grand
Tag 17 Am Canal de Berry
Tag 18 Nevers - Accolay
Tag 19 Tonnerre - Froncles
Tag 20-23 Heimreise
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Frankreichtour


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Wingen-sur-Moder

Für heute Morgen hab ich uns Brötchen vorbestellt. Es nieselt, als ich zur Rezeption renne und unsere Tüte hole. Während Pieps in beunruhigender Ernsthaftigkeit ihr Schokobrötchen verschlingt, bin ich gedanklich schon bei der Rheinfähre in St. Goar. Normalerweise hätte ich nur für den Rhein zwei 36er Filmrollen extra eingepackt, aber heute ist der Fluss bloß ein weiteres Hindernis auf dem Weg nach Frankreich.

Motorradtour nach Frankreich

Da sieht man, was lange Tagesetappen anrichten, zum Genießen und Fotografieren bleibt wenig Zeit, es geht um Minuten und Viertelstunden. Ich mag gar nicht daran denken, an wie vielen Currywürsten wir achtlos vorbeigedüst sind.

Motorradtour nach Frankreich

Als ich an der Bahnunterführung in St. Goarshausen den Blinker links setze, frage ich mich, wie oft die Fähre wohl übersetzt. Ist es ein Schiff oder mehrere? Wie lang mag die Schlange vorm Anleger sein?

Motorradtour nach Frankreich

Minuten später rolle ich auf den Anleger. Dort steht bloß ein einzelner LKW auf einer Extraspur, keine Autos, keine Wohnmobile. Wir werden die ersten auf der Fähre sein. Die LORELEY VI legt gerade am anderen Ufer ab und ist auf dem Weg zu uns herüber.

Neben mir rollt eine Triumph Street Twin aus. Der Fahrer, ein Graubart, ist etwa in meinem Alter. Ich gucke rüber und will Blickkontakt aufzunehmen, will grüßen, reden, was fragen, aber er sieht stur in die andere Richtung. Das ist nicht das erste Erlebnis dieser Art auf einer Motorradreise. Was ist mit denen?

Wenn ich bei uns an der Fähre über den Nord-Ostsee-Kanal stehe und ein anderer Biker rollt an, dann nickt man sich zu, ein kurzes „Moin!“ und vielleicht schnacken wir sogar ein paar Worte, besonders dann, wenn der andere ein Kennzeichen von weiter weg hat.

Die LORELEY VI arbeitet sich mühevoll über den Fluss. Die Strömung auf dem Rhein ist verblüffend heftig. Ich hatte einen ruhig dahinfließenden Strom erwartet, wo Pieps und ich uns auf der Luftmatratze treiben lassen. Stattdessen ist die Strömung so stark, wie ich es zuletzt am Saltstraumen gesehen habe.

Motorradtour nach Frankreich

Der Fährmann ist ein wahrer Meister seines Berufs. Geschickt nutzt er die Strömung und dreht die Fähre driftend im Fluss, bevor er zentimetergenau vor uns anlegt. Das ist was anderes, als am Nord-Ostsee-Kanal, wo der Käpt'n bloß aufpassen muss, nicht einzuschlafen und von einem Schiff der Verkehrsgruppe 6 (über 210 m Länge oder über 27 m Breite) gerammt zu werden.

Motorradtour nach Frankreich

Ein Gebühr-Gebühr Mann wandert mit der Bauchtasche rum und kassiert:
„Das macht 3,80 Euro.“ Nach dem Bezahlen bleibt gerade genug Zeit, um ein paar Fotos zu machen, bevor wir in St. Goar anlegen. Ich werfe den Motor an und heize los, sowie die Schranke oben und die Ampel etwas weniger rot ist.

Von St. Goar geht es ein Stück am Rhein entlang, aber die Strecke erfüllt nicht, was ich mir darunter vorgestellt habe. Sie ist zugebaut mit Schienen und Straßen, Tunneln und Überführungen, Camps und Gaststätten. Für Laufkundschaft bleibt kein Meter frei. Der Rhein ist eine Attraktion, jeder will etwas von ihm und außerdem ist da wenig Platz. Ich bin ein wenig ernüchtert. Die beiden 36er Rollen hätte ich nicht gebraucht.

Die Straße klettert in Serpentinen nach oben und führt an einem Schild Pfalzblick vorbei. Ich stelle die Honda ab und stiefele zum Aussichtspunkt. Unten fährt gerade ein Ausflugsdampfer der weißen Flotte vorbei und etwas weiter ist die Burg Pfalzgrafenstein zu erkennen.

Motorradtour nach Frankreich

Ich knipse ein, zwei Fotos und fahre zügig weiter. Wir müssen noch fürs Abendessen einkaufen. Pieps und ich sind uns einig: Heute muss es Entrecôte geben.

Wir halten vor dem nächsten EDEKA. Ich stiefele erwartungsvoll in den Laden und zielstrebig weiter zum Fleischtresen.

„Was darfs sein?“
„Ich hätte gerne zwei Scheiben Entrecôte. Nicht zu dünn geschnitten.“

Wenn sie fragen müssen, was etwas ist, dann haben sie es nicht. So lautet die Regel und sie stimmt auch diesmal. Es ist das zweite Mal, dass sie unser Lieblingsessen nicht haben. Das ist äußerst beunruhigend.

Nach einer kurzen Diskussion mit Pieps schwenken wir um auf marinierten Schweinenacken. Sowas kennen sie hier. Kurz darauf schalte ich schon wieder die Gänge durch in Richtung Frankreich.

Motorradtour nach Frankreich

Die Straßen werden klein und kleiner, dann ein Ortschild, weiß mit rotem Rand, Rolbing. Wir sind in Frankreich! Und wieder einmal habe ich den Grenzübertritt nicht mitbekommen, kein blaues EU-Schild mit Sternen,
kein Willkommen in Frankreich, kein Sie verlassen die Bundesrepublik Deutschland, passen Sie auf sich auf!, nichts. Wir sind einfach nur da.

Eben noch auf einer deutschen Kreisstraße, fahren wir nun schon auf einer französischen Route départementale, der D86.

Beschreibung In der ersten größeren Ortschaft halte ich an einer Tankstelle. In Frankreich gibt es fast nur noch Tank­automaten, aber das kenne ich schon und zücke meine Urlaubs-Kreditkarte. Mit großer Überzeugung und noch größerem Starrsinn tippe ich mehrmals die falsche PIN ein. Beim zweiten Mal drücke ich die Tasten noch fester, als ob das etwas ändern würde. Tut es aber nicht.

Card declined, verkündet das Display mit teilnahms­loser Strenge. Ich merke, wie ich zu schwitzen anfange. Ohne Kreditkarte bin ich in Frankreich erledigt. Zum Glück habe ich eine zweite dabei, die der Automat sogar ohne PIN akzeptiert. Dafür reserviert er sich 150 € von meinem Konto.

Noch an der Ausfahrt vom Intermarché fällt mir die korrekte Geheimzahl wieder ein. In meinem Kopf war ein Zahlendreher. Zur Strafe - aber das kann ich jetzt noch nicht wissen - werden sämtliche Intermarché Tank­automaten meine Karte eine Woche lang nicht akzeptieren, ob mit oder ohne PIN. Strafe muss sein. Für sowas hab ich Verständnis.

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Wenige Kilometer weiter laufen wir in Wingen-sur-Moder ein. Was uns hier wohl erwartet? Das Camp grenzt nämlich unmittelbar an den Schulhof einer Mittelschule, dem Collége Suzanne Lalique-Haviland. Vor meinem inneren Auge geistern Bilder französischer Banlieues, von ausgebrannten Autowracks und Jugendlichen in schwarzen Hoodies.

Ein schmaler Weg führt am Pausenhof vorbei zum Zeltplatz. Es ist gerade große Pause und der Platz wimmelt vor Schülern. Als die halbwüchsigen Jungs auf der anderen Seite des Zauns die Honda bemerken, winken sie geradezu begeistert zu uns herüber, während ich an ihnen vorbeituckere. Ich winke freundlich und erleichtert zurück.

Hinterm Schulhof liegt eine gepflegte Wiese direkt am Waldrand, weiter unten fließt träge die Moder. Ein blaues Kuppelzelt steht verlassen im Gras, dahinter ein Wohnmobil. Ich schlage unser Lager dazwischen auf.

Motorradtour nach Frankreich

Als ich die Zeltstange leicht auf Spannung bringe, plötzlich ein Knacks und das Zelt fällt zusammen. Die Stange ist gebrochen. Ein Ermüdungsbruch. Das Alter. Bin ich die nächste?

Es dauert ein paar Minuten, bis ich die Stange mit einer Reparaturhülse und etwas Tesaband repariert habe. Fürs Erste hält das, aber zu Hause muss sich Claudia darum kümmen. Sie ist die Zeugmeisterin und hält die Ausrüstung peinlich genau in Ordnung.

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Inzwischen hat es zur Stunde geklingelt, die Schüler strömen zurück ins Schulgebäude und im Nu ist es still im Camp hinter der Schule. Obwohl, nicht ganz. Mehrere dicke Brummer schwirren schwerfällig durch die Luft. Ich sehe genauer hin: Maikäfer! Die Bäume am Waldrand hängen voll fetter Maikäfer.

Motorradtour nach Frankreich

Eine Rezeption hat der Platz nicht. Nur die Wiese und ein altes, aber pikobello gepflegtes Waschhaus. Am frühen Abend kommt ein älterer Renault Clio auf den Platz geheizt. Eine alte Dame steigt aus, um die 70, kurzes graues Haar, energisches aber freundliches Auftreten.

Madame macht zuerst das Waschhaus sauber, leert die Mülleimer und geht dann von Platz zu Platz zum Kassieren. Sie ist sehr freundlich und spricht ausgezeichnet Deutsch. Ich zahle 8,00 € fürs Zelten und 22 ¢ Kurtaxe. Das ist wahrlich eine günstige Übernachtung.

„Möchten Sie für morgen früh Brot vorbestellen?“
„Oh ja, gerne. Wann kommt das denn?“
„Ich hänge es Ihnen so gegen halb acht ans Zelt.“
„Dann möchte ich bitte ein Baguette.“
„Das macht 1,35 Euro.“

Ist das zu fassen? Brötchenservice ans Bett für 1,35 Euro mit frischem Baguette.

Motorradtour nach Frankreich

So, ihr Lieben. Pieps und ich essen jetzt und ihr müsst nach Hause gehen: „Gute Nacht, Welt. Bis morgen.“


PS: Das Camp in Wingen-sur-Moder ist ein wahrer Geheimtipp und ich habe überlegt, ob ich es überhaupt preisen soll, aber bei etwa 20 bis 50 Lesern kann das wohl keinen großen Schaden anrichten und ich sage: „Dieses Camp ist eine Perle.“

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.