Wingen-sur-Moder
Für heute Morgen hab ich uns Brötchen vorbestellt. Es nieselt, als ich zur Rezeption renne und unsere Tüte hole. Während Pieps in beunruhigender Ernsthaftigkeit ihr Schokobrötchen verschlingt, bin ich gedanklich schon bei der Rheinfähre in St. Goar. Normalerweise hätte ich nur für den Rhein zwei 36er Filmrollen extra eingepackt, aber heute ist der Fluss bloß ein weiteres Hindernis auf dem Weg nach Frankreich.
Neben mir rollt eine Triumph Street Twin aus. Der Fahrer, ein Graubart, ist etwa in meinem Alter. Ich gucke rüber und will Blickkontakt aufzunehmen, will grüßen, reden, was fragen, aber er sieht stur in die andere Richtung. Das ist nicht das erste Erlebnis dieser Art auf einer Motorradreise. Was ist mit denen?
Wenn ich bei uns an der Fähre über den Nord-Ostsee-Kanal stehe und ein anderer Biker rollt an, dann nickt man sich zu, ein kurzes „Moin!“ und vielleicht schnacken wir sogar ein paar Worte, besonders dann, wenn der andere ein Kennzeichen von weiter weg hat.
Die LORELEY VI arbeitet sich mühevoll über den Fluss. Die Strömung auf dem Rhein ist verblüffend heftig. Ich hatte einen ruhig dahinfließenden Strom erwartet, wo Pieps und ich uns auf der Luftmatratze treiben lassen. Stattdessen ist die Strömung so stark, wie ich es zuletzt am Saltstraumen gesehen habe.
„Das macht 3,80 Euro.“ Nach dem Bezahlen bleibt gerade genug Zeit, um ein paar Fotos zu machen, bevor wir in St. Goar anlegen. Ich werfe den Motor an und heize los, sowie die Schranke oben und die Ampel etwas weniger rot ist.
Von St. Goar geht es ein Stück am Rhein entlang, aber die Strecke erfüllt nicht, was ich mir darunter vorgestellt habe. Sie ist zugebaut mit Schienen und Straßen, Tunneln und Überführungen, Camps und Gaststätten. Für Laufkundschaft bleibt kein Meter frei. Der Rhein ist eine Attraktion, jeder will etwas von ihm und außerdem ist da wenig Platz. Ich bin ein wenig ernüchtert. Die beiden 36er Rollen hätte ich nicht gebraucht.
Die Straße klettert in Serpentinen nach oben und führt an einem Schild Pfalzblick vorbei. Ich stelle die Honda ab und stiefele zum Aussichtspunkt. Unten fährt gerade ein Ausflugsdampfer der weißen Flotte vorbei und etwas weiter ist die Burg Pfalzgrafenstein zu erkennen.
Wir halten vor dem nächsten EDEKA. Ich stiefele erwartungsvoll in den Laden und zielstrebig weiter zum Fleischtresen.
„Was darfs sein?“
„Ich hätte gerne zwei Scheiben Entrecôte. Nicht zu dünn geschnitten.“
Wenn sie fragen müssen, was etwas ist, dann haben sie es nicht. So lautet die Regel und sie stimmt auch diesmal. Es ist das zweite Mal, dass sie unser Lieblingsessen nicht haben. Das ist äußerst beunruhigend.
Nach einer kurzen Diskussion mit Pieps schwenken wir um auf marinierten Schweinenacken. Sowas kennen sie hier. Kurz darauf schalte ich schon wieder die Gänge durch in Richtung Frankreich.
kein Willkommen in Frankreich, kein Sie verlassen die Bundesrepublik Deutschland, passen Sie auf sich auf!, nichts. Wir sind einfach nur da.
Eben noch auf einer deutschen Kreisstraße, fahren wir nun schon auf einer französischen Route départementale, der D86.
In der ersten größeren Ortschaft halte ich an einer Tankstelle. In Frankreich gibt es fast nur noch Tankautomaten, aber das kenne ich schon und zücke meine Urlaubs-Kreditkarte. Mit großer Überzeugung und noch größerem Starrsinn tippe ich mehrmals die falsche PIN ein. Beim zweiten Mal drücke ich die Tasten noch fester, als ob das etwas ändern würde. Tut es aber nicht.
Card declined, verkündet das Display mit teilnahmsloser Strenge. Ich merke, wie ich zu schwitzen anfange. Ohne Kreditkarte bin ich in Frankreich erledigt. Zum Glück habe ich eine zweite dabei, die der Automat sogar ohne PIN akzeptiert. Dafür reserviert er sich 150 € von meinem Konto.
Noch an der Ausfahrt vom Intermarché fällt mir die korrekte Geheimzahl wieder ein. In meinem Kopf war ein Zahlendreher. Zur Strafe - aber das kann ich jetzt noch nicht wissen - werden sämtliche Intermarché Tankautomaten meine Karte eine Woche lang nicht akzeptieren, ob mit oder ohne PIN. Strafe muss sein. Für sowas hab ich Verständnis.
Ein schmaler Weg führt am Pausenhof vorbei zum Zeltplatz. Es ist gerade große Pause und der Platz wimmelt vor Schülern. Als die halbwüchsigen Jungs auf der anderen Seite des Zauns die Honda bemerken, winken sie geradezu begeistert zu uns herüber, während ich an ihnen vorbeituckere. Ich winke freundlich und erleichtert zurück.
Hinterm Schulhof liegt eine gepflegte Wiese direkt am Waldrand, weiter unten fließt träge die Moder. Ein blaues Kuppelzelt steht verlassen im Gras, dahinter ein Wohnmobil. Ich schlage unser Lager dazwischen auf.
Es dauert ein paar Minuten, bis ich die Stange mit einer Reparaturhülse und etwas Tesaband repariert habe. Fürs Erste hält das, aber zu Hause muss sich Claudia darum kümmen. Sie ist die Zeugmeisterin und hält die Ausrüstung peinlich genau in Ordnung.
Madame macht zuerst das Waschhaus sauber, leert die Mülleimer und geht dann von Platz zu Platz zum Kassieren. Sie ist sehr freundlich und spricht ausgezeichnet Deutsch. Ich zahle 8,00 € fürs Zelten und 22 ¢ Kurtaxe. Das ist wahrlich eine günstige Übernachtung.
„Möchten Sie für morgen früh Brot vorbestellen?“
„Oh ja, gerne. Wann kommt das denn?“
„Ich hänge es Ihnen so gegen halb acht ans Zelt.“
„Dann möchte ich bitte ein Baguette.“
„Das macht 1,35 Euro.“
Ist das zu fassen? Brötchenservice ans Bett für 1,35 Euro mit frischem Baguette.
PS: Das Camp in Wingen-sur-Moder ist ein wahrer Geheimtipp und ich habe überlegt, ob ich es überhaupt preisen soll, aber bei etwa 20 bis 50 Lesern kann das wohl keinen großen Schaden anrichten und ich sage: „Dieses Camp ist eine Perle.“
zum nächsten Tag...
zurück nach oben