Inhaltsverzeichnis Frankreich 2023 Tag 1 Kiel - Bad Pyrmont Tag 2 Bad Pyrmont - Dausenau Tag 3 Dausenau - Wingen-s/Moder Tag 4 Wingen - Camp Hautoreille Tag 5 Jokertag im Camp Hautoreille Tag 6 Parc Morvan, Camp Le Paroy Tage 7/8 Jokertage im Camp Tag 9 In die Auvergne Tage 10/11 Auvergne-Tarnschlucht Tag 12 Zur Quelle des Tarn Tag 13 Gorges du Tarn bis Ambialet Tag 14 Tarn bis Moissac Tag 15 Moissac - Périgord Tag 16 Jumilhac-le-Grand Tag 17 Am Canal de Berry Tag 18 Nevers - Accolay Tag 19 Tonnerre - Froncles Tag 20-23 Heimreise
Jumilhac-le-Grand
Die alten Bäume werfen Schattenspiele in unser Schlafzimmer.
Ich ziehe den Reißverschluss auf und sehe hinaus.
Vor dem Zelt plätschert die Isle, daneben steht die Enduro, und mittendrin Pieps und ich und ein nie enden wollender Urlaub bis zum Horizont. Ich fange an, diesen Ruhestand zu mögen.
Das Zelt bleibt heute stehen.
Seit Monaten freue ich mich auf den schönen Platz #5 im Camp La Chatonniére.
Den gebe ich nicht so schnell wieder her.
Wir wollen eine weitere Nacht am Ufer der Isle zelten.
Wir machen jetzt einen kurzen Abstecher ins Waschhaus und dann fahren wir ins Dorf und besorgen was zu essen. Pieps und ich sind uns einig, man muss nicht andauernd „immer nur duschen, duschen, duschen und dabei noch Wasser in sein Ohr krieg'n, näh?!“
Ich sattele die Honda, lege den Tankrucksack auf und tuckere den kurzen Kilometer hinauf ins Dorf. Auf dem Boulevard du Périgord rollen wir nach Jumilhac-le-Grand hinein.
Der unübersehbare Mittelpunkt des Dorfes ist Château de Jumilhac, ein großes Märchenschloss mit vielen Türmchen, Erkern und einer dicken Mauer drumherum. Alles in prächtigem Zustand.
Was ich an Jumilhac-le-Grand so sehr mag ist auch die Abwesenheit von organisiertem Tourismus, von Trubel und Massenauftrieb.
Das prächtige Schloss, Château de Jumilhac hat nicht einmal einen Wikipedia Eintrag. Ist das zu glauben? Wo heute jede Ruine aus fünf bemoosten Steinen und dem Überrest eines Bergfrieds einen eigenen Wikipedia Artikel hat?
Im Dorf gibt es zwei Cafés, ein Restaurant, die Metzgerei von Didier Moyrand und seiner Frau, daneben die alte Bäckerei und ein Stück die Straße rauf einen Proxi Marché, vollgestopft mit allem, was die Bewohner von Jumilhac vielleicht brauchen könnten. Allein die Abwesenheit von Souvenierläden spricht eine deutliche Sprache.
Die Boucherie von Didier hat heute geschlossen, es ist Montag. Ich parke die Honda vorm Café am Schloss und setze den Helm ab. Im Schatten einer Platane sitzt eine Gruppe alter Knacker beisammen, das hagere Kinn auf den hölzernen Krückstock gestützt. Auf dem Tisch eine Flasche Pastis, ein Krug Wasser und viele Gläser.
Neugierig beobachten sie, wie ich den Helm absetze. Ich schnappe einige Brocken ihrer Unterhalung auf, „Mademoiselle“ und „Moto“. Ich fühle mich geschmeichelt wegen des Frolleins, auch wenn es vielleicht eher mit ihren Augen und dem Pastis zu tun hat, wippe ich dennoch gleich beschwingter hinüber zum Proxi Marché.
Der kleine Laden ist ein wahres Labyrinth aus Gängen, Regalen und Kartons voller Ware. In der Getränkeabteilung, die für ein Geschäft dieser Größe überraschend viel Raum einnimmt, greife ich mir ein Leffe Blonde, während Pieps sich „welche von die Vääsiche mit ohne Haare“ wünscht.
Keine Ahnung, was das für Früchte sind, aber sie sehen tatsächlich aus wie unbehaarte Pfirsiche. Dazu kaufen wir drei Aprikosen, nur weil die so schön gelb leuchten.
Ich kann mich kaum erinnern, wann wir zuletzt Obst gekauft haben, aber heute ist so ein Tag dafür.
Im Grunde sind wir hier fertig, aber ich will nicht gleich nach Hause fahren. Wir drehen noch eine Runde und ich probiere die Straße, die neben dem Schloss nach unten an den Fluss führt.
Die alte Steinbogenbrücke hinter den letzten Häusern des Dorfes ist ein hübsches Fotomotiv. Von hier kann man die Rückseite der Burg sehen. Meine Güte, die haben ihren Laden perfekt in Schuss, die Jumilhacer, denke ich anerkennend.
Ich mache eine Aufnahme Schloss von hinten und fahre zurück ins Camp. Allein die Zufahrt auf den Campingplatz ist sehenswert. Sie haben große, bunte Blumenkübel mit prächtigen Pflanzen aufgestellt und in jedem steckt ein Sonnenschirm von Langnese. Auch Pieps ist das nicht entgangen: „Nur, kann ich jetz' enklich ma' Eis?“
Vor der Rezeption, die ebenso wie die Wachhunde im tiefen Mittagsschlaf liegt, ist die Schranke geschlossen. Mittagsruhe. Das Eis muss warten. Ich lasse das Motorrad stehen und wir gehen vorerst zu Fuß nach Hause.
Die Stellplätze im Camp bieten kühlen Schatten, sonst wäre es im Zelt nicht auszuhalten. Ich lege mich auf die Isomatte und schließe die Augen. Vom Fluss weht eine leichte Brise durchs Zelt. Ich merke, dass ich sanft davon dämmere.
„Nur, kann ich jetz' ein von die Vääsiche mit ohne Haare?“ schalmeit es in mein Ohr. Das Reisen mit Kindern ist so bereichernd.
Bis auf den kleinen Radaubruder ist es wunderbar still im Camp. Eine Reihe höher steht ein Ehepaar aus Großbritannien mit ihrem Wohnwagen, etwas weiter ein Wohnmobil aus Holland und zwei der Mietbungalows sind ebenfalls belegt. Ansonsten war meine Reservierung völlig unnötig, aber ich wollte unbedingt in der ersten Reihe am Fluss stehen und am liebsten auf „unserem" Platz #5.
Das Gegenbeispiel war Flåm in Norwegen, wo ich ohne anzuhalten nach einem Blick weitergefahren bin. Wer tut sich sowas an, frage ich mich?
Da zu campen, wo die Wohnmobile dicht gepresst Schulter an Schulter stehen, die Satellitenschüsseln preußisch exakt ausgerichtet auf ASTRA 19,2 Grad Ost. Hauptsache WLAN, die Tagesschau und ein nettes Klo?
Jetzt fehlen nur noch Pieps und ich, die aus ihrem Zelt in zweiter Reihe direkt in die Auspuffrohre der Fiat Ducatos gucken, denn die besten Plätze sind häufig der weißen Ware vorbehalten.
Corona und der daraus resultierende Campingboom haben dem Campen regelrecht etwas angetan. Es ist im Grunde kein Campingboom, sondern mehr oder weniger ein reiner Wohnmobilboom, der uns Zeltcamper auf die billigen Plätze verbannt. Mehr und mehr Campingplätze ersetzen Gras durch Schotter, weil es leichter zu pflegen ist und das hohe Drehmoment des Diesels keine Matschlöcher in die Wiese gräbt.
Von alledem wissen sie in Jumilhac-le-Grand noch nichts.
Der Touristenstrom fährt vorbei, ohne überhaupt vom Gas zu gehen, oder aus dem Fenster zu gucken.
Manchmal ist ein Ort eben schön, weil da nix ist.
Seit neuem gibt es an der Rezeption des Camps auch kleine Snacks und sogar bière pression, Pressbier, Bier vom Fass. Sie haben ausgerechnet Leffe Blonde, mein Lieblingsbier in diesem Sommer.
Ich bestelle uns ein Cassoulet mit Kartoffeln, Speck und Wurst, das in einer Holzschachtel kochend heiß aus dem Ofen serviert wird.
Und in noch einer
Das war heute kein Reisetag, aber dafür ein 1a Ferientag. Hier möchte ich wieder herkommen, nach Jumilhac-le-Grand und ins Camp la Chatonniere. Beim nächsten Mal aber wieder mit Greeny. Die kleine grüne Kawasaki KLX250 war schon eine Weile nicht mehr hier und freut sich sicher drauf.