Inhaltsverzeichnis Frankreich 2023 Tag 1 Kiel - Bad Pyrmont Tag 2 Bad Pyrmont - Dausenau Tag 3 Dausenau - Wingen-s/Moder Tag 4 Wingen - Camp Hautoreille Tag 5 Jokertag im Camp Hautoreille Tag 6 Parc Morvan, Camp Le Paroy Tage 7/8 Jokertage im Camp Tag 9 In die Auvergne Tage 10/11 Auvergne-Tarnschlucht Tag 12 Zur Quelle des Tarn Tag 13 Gorges du Tarn bis Ambialet Tag 14 Tarn bis Moissac Tag 15 Moissac - Périgord Tag 16 Jumilhac-le-Grand Tag 17 Am Canal de Berry Tag 18 Nevers - Accolay Tag 19 Tonnerre - Froncles Tag 20-23 Heimreise
In Tonnerre
Es ist nahezu unmöglich, keine Meinung über Tauben zu haben. Entweder man liebt sie, weil es solch schöne, intelligente Tiere sind, oder man hasst sie, weil sie einem den Balkon vollshicen und mich heute Morgen um sechs mit ihrem notgeilen Gegurre aus dem Schlaf balzen. Tauben. Ich lieb die nicht.
Weil aber jedes Schlechte auch sein Gutes hat, sind wir schon früh um sieben auf der Landstraße unterwegs. Wir wollen uns die Stelle ansehen, wo bloß eine schmale Mauer den Fluss Le Cure vom Canal d'Accolay trennt. Dazu müssen wir nur ein Stück die Straße runterfahren.
Ich bleibe auf der Brücke stehen und sehe hinunter. Gerade tuckert ein Schiff durch den Kanal. Daneben der Fluss ist mit Schlingpflanzen und Algen überwuchert. Die will man sich nicht um die Schraube wickeln. Zumindest verstehe ich jetzt, warum die Gemeinde Deux Rivières heißt.
Im Licht der Morgensonne schlappt ein Wanderer die Straße entlang. Die weiße Jakobsmuschel an seinem Rucksack verrät, auf welchem Weg er wandelt. Mit stoischem Gleichmut trottet er die Rue du Canal hinunter, „schlapp, pock, schlapp, pock...“ Ein friedlicher Anblick.
Die Region, durch die wir heute fahren, nennt sich Bourgogne-Franche-Comté.Eine Region ist wohl vergleichbar mit unseren deutschen Bundesländern. Frankreich hat achtzehn davon, wovon fünf in Überseegebieten liegen, wie Französisch-Guayana oder Guadeloupe.
Die Bourgogne - ich glaube, man muss nicht immer den vollen Namen sagen und kann Franche-Comté einfach mal weglassen - ist besonders für ihren Weinbau bekannt. Das wird mir in dem Moment klar, als wir an einem Schild Bourgogne CHABLIS vorbeifahren.
Chablis ist der Wein, den ich bei ALDI immer stehenlasse, weil er zu teuer ist. Ich weiß natürlich, dass eine Flasche Spitzenwein auch bis zu 3,99 € kosten kann, aber zwölf?
Was müssen das für Banausen sein, die sowas kaufen?! Dafür gibt es ja schon ein Entrecôte!
Der nächste größere Ort ist Tonnerre. In dem Leporello, in dem ich in Stichworten die ganze Reise notiert habe steht Tonnerre
(T+E) Quelltopf.
Das rote T+E bedeutet tanken und einkaufen. Sehenswürdigkeit sind ebenfalls rot gedruckt. Keine Ahnung, was mich da genau erwartet, die Planung ist schon zu lange her. Ich lasse mich überraschen.
Tatsächlich: Ein kreisrundes Becken mit klarem Quellwasser, das aus der Tiefe nach oben steigt. Ringsherum verläuft ein überdachter Laubengang. Hier haben die Leute früher Wäsche gewaschen, oder vielleicht auch sich selbst, so genau habe ich das nicht verfolgt.
Ich bin der visuelle Typ, mich interessieren der Anblick und ein Foto davon. Die Abschnitte auf Wikipedia, in denen Jahreszahlen, Latein und Formeln vorkommen, lasse ich aus. Wenn ich eine Managementversion brauche, klicke ich auf Motorrad-Kulturreisen. Kulturelles fällt in deren Zuständigkeitsbereich, die wissen auch das Kleingedruckte. Wer die Super-RTL Version möchte, liest bei mir.
Tonnerre liegt auf dem Jakobsweg. Einer der Wegweiser mit dem Symbol der Jakobsmuschel steht direkt am Quelltopf. Es sind noch 2095 km bis Saint Jacques de Compostelle. Meine Güte, noch ein langer Weg.
Gegen Mittag entdecken wir einen nagelneu angelegten Picknickplatz. Hier werde ich uns das karierte Tischtuch ausbreiten. Wir haben Baguette und zwei Stücke geräucherten Schweinespeck.
Noch bevor die Diskussion losgeht, welches das größere Stück ist und wer mehr Anrecht auf die Schwarten hat, überlasse ich Pieps die freie Wahl. Es ist mehr als genug da.
Inzwischen sind wir in der Champagne angekommen. Nur Trauben, die aus dem Weinbaugebiet Champagne kommen, dürfen sich später einmal Champagner nennen. Alles andere ist Söhnlein Brillant.
In der Landschaft stehen überall Champagnersträucher umher und ein Weingut reiht sich an das nächste. Manche kommen eher dezent daher, andere auf ziemlich breiten Reifen.
Camping Des Deux-Ponts, Camp Zweibrücken liegt zwischen der Marne und dem Canal entre Champagne et Bourgogne. Darüber führen zwei Brücken, je eine, und ich denke, daher hat das Camp den Namen.
An der Rezeption hält direkt vor uns ein Wohnmobil, ein Doppelachser mit Klimaanlage. Ein Monsieur steigt aus und rüttelt an der Tür, aber die ist verschlossen. Man möge sich selbst einen Platz suchen und gegen Abend noch einmal wiederkommen zum Einchecken.
Der Platz bietet einzelne Hecken-Separees, auf denen man ganz für sich steht, und wenn man nur ein Zelt und ein Motorrad hat, ist da jede Menge Platz. Am wichtigsten aber ist jetzt Schatten. „Puh, ist mir heiß.“
Der Platz gehört der Gemeinde Froncles. Es ist ein Camping Municipal. Wohl deshalb kostet die Übernachtung nur unglaubliche 5,82 €, doch das Beste ist die Ruhe: Keine Musik und keine Party People.
Zum Abendessen haben wir Baguette, einen Käse, etwas Speck und ein Töpfchen Bulgursalat mit Auberginen. Das erste vegane Essen der Reise, aber als Elternteil trage ich Verantwortung und möchte, dass Pieps lernt, wie es auch anders geht.
Frankreich war heute wieder ganz besonders wunderbar. Verdirbt mich die Reise vielleicht endgültig dafür, je wieder in den Norden fahren zu wollen, nach Norwegen, Schweden oder Finnland? Je wieder klamm und dreckig? Je wieder in Regenkombi das Zelt aufzubauen? Die Nässe und Kälte der Hardangervidda stecken mir heute noch in den Knochen der Erinnerung.
Andererseits warten im Norden Outdoor, Abenteuer und Lagerfeuer. Dazu die grandiose Verlassenheit, wenn man nicht gerade nach Geiranger oder zum Trollstigen fährt.
Nun, wir werden sehen. Und ihr so?
Was wir heute sonst noch gelernt haben: Wenn ein grün-blau schimmeliger Roquefort Käse zwei Tage bei 30° im Tankrucksack verbracht hat, macht ihn das nur noch besser.