Motorradreise nach Bornholm Inhaltsverzeichnis Tag 1 Kiel - Møn Tag 2 Møn - Ystad Tag 3 Ystad - Bornholm
Ystad - Bornholm
Nichts geht über den seidig weichen Lauf eines kalten Dieselmotors. Vermutlich ein Ducato, der Viscolüfter läuft ununterbrochen.
Pieps und ich schlafen noch tief und fest, als kurz nach Sonnenaufgang das erste Wohnmobil am Zelt vorbeinagelt.
Macht nichts, wir müssen ohnehin bald los nach Ystad, um das Schiff nach Bornholm zu erreichen.
Wie ich das mag, die ersten Kilometer morgens auf dem Motorrad, die Luft noch ganz frisch, auf dem Gepäckträger hinter mir das Zelt und vor mir die Landstraße. Behutsam fahre ich den Einzylinder warm.
Wir sind satte drei Stunden zu früh in Ystad, aber das macht nichts aus. Lieber warte ich stundenlang am richtigen Platz, als schwitzend mit rotem Kopf zu fahren, ein Auge auf der Zeit und eines auf dem Navi.
Die Wartespuren sind leer, alle Tore geschlossen, dahinter ein Automaten Check-In.
Hier sitzt kein netter Mensch mehr in seinem winzigen Schalterhäuschen und locht die Tickets, stattdessen automatische Kennzeichenerkennung, Laserscanner für den Barcode auf dem Ticket und vollautomatische Schranken. Der Personalmangel ist überall.
Solange das System funktioniert, das Ticket lesbar ist und der Computer weiß, dass Motorräder ihr Kennzeichen gerne hinten tragen, ist alles ok.
Ob man hier irgendwo einen Kaffee bekommt?
„Excuse me, is there a café around?“, frage ich einen LKW-Fahrer. Er spricht kein Englisch, aber zeigt wortlos mit dem Arm in Richtung Terminal.
Coffee versteht wohl jeder, auch ohne Englisch, und Trucker besonders. Genau wie Motorradreisende.
Das Terminal ist kalt und seelenlos, wie so viele Fährterminals.
Vor dem Souvenirshop steht auf einer Tafel: „OPEN. Hungry? Thirsty? WELCOME“.
Laut dem Schild an der Tür ist der Laden „Öppet - open“. Ist er aber nicht. Die Tür ist zu und da ist keiner, doch zumindest ist da ein Kaffeeautomat.
„Automatenkaffee ist besser als keiner“, sage ich mir.
„OUT OF ORDER“, erwidert der Automat.
Inzwischen haben sich die Tore am Check-In geöffnet und ich fahre mit Greeny in die Box. Hinter mir eine schier endlose Schlange von Autos, die auch alle auf die Fähre wollen und warten, dass ich endlich durchfahre.
Nervös nestele ich das Ticket aus dem Tankrucksack und halte es vor das magische rote Auge des Scanners. Es piept, auf dem Display erscheint Lane 21 und die Schranke zum Hafengelände öffnet sich.
Spur 21 ist die Motorradspur. Die Fähre ist noch nicht in Sicht, aber die Hafenarbeiter für die Verladung stehen schon bereit, warten und rauchen. Einer von ihnen entdeckt Greeny und kommt herüber.
Er ist jünger als ich, was schon seit einigen Jahren keine Kunst mehr ist, und möchte wissen, ob ich zum Endurofahren nach Bornholm will.
Auf der Landkarte oben in meinem Tankrucksack zeigt er mir eine gute Stelle zum Endurofahren. Er bemerkt wohl meinen fragenden Blick und zerstreut meine Zweifel:
„If there is a sign 'Not allowed' just go ahead. There never is trouble. No Police. We ride there all the time.“
Ich habe selten ein besseres Argument gehört, ein Verkehrsdelikt zu begehen und bin fest entschlossen.
Die Menge wir plötzlich unruhig. Im Hintergrund schiebt sich die Express 5 in den Hafen, die größte Schnellfähre der Welt.
Das Biest hat 53.000 PS, schafft 74 km/h und sieht aus wie Raumschiff Enterprise.
Dahinter könnte man Wasserski laufen. Mit tausend Mann!
Außer Greeny sind nur zwei schwere Cruiser und ein Liegerad als einzige Zweiräder an Bord. Es ist Anfang September und die Saison geht ihrem Ende entgegen.
Beste Zeit für Bornholm, habe ich gehört.
Im Hafen steht auf riesigen Leuchttafeln SWITCH VEHICLE ALARM OFF, aber so wie das Schild in unserer Teeküche Tassen in die Spülmaschine!!! hat es auch hier keinerlei Effekt auf gar nichts:
Dreckige Tassen bleiben auf den Tischen stehen, und aus dem Autodeck dröhnt nach der ersten großen Welle das ohrenbetäubende Konzert der Auto-Alarmanlagen.
Die Express 5 fräst sich geradezu durchs Wasser und spuckt uns in Rønne nach 80 Minuten Full Speed, einem Kaffee und zwei Croissants wieder aus.
Mit 10.000 Einwohnern ist Rønne die größte Stadt Bornholms und so etwas wie die inoffzielle Hauptstadt der Insel.
Im Reiseführer steht, sie sei 'in fast jeder Hinsicht das Zentrum der Insel', was ziemlicher Unsinn ist, weil Rønne am Meer liegt und kein bisschen im Zentrum. Doch für Rønne interessieren wir uns heute ohnehin noch nicht, zuerst müssen wir uns ein Camp aussuchen.
Es gibt 14 Campingplätze auf Bornholm, von denen drei in der engeren Auswahl sind.
Vom ersten verspreche ich mir am wenigsten, er liegt bei Privatleuten in ihrem Apfelgarten und hat weder WC noch Warmwasser. Den besichtige ich nur, weil er so unkonventionell ist.
Auf dem Navi sind wir richtig, aber im echten Leben kommen mir Zweifel.
Wir sind mitten in der Pampa.
Wo soll hier ein Camp sein?
Der Track auf dem Garmin zeigt zu Leuten aufs Grundstück hinterm Haus.
Zögerlich tuckere ich die Auffahrt hoch.
In den USA würde ich das nicht machen, aber Dänen sind freundlich.
Hier sag ich notfalls, ich hätte mich verfahren.
In Amerika wäre ich da längst erschossen.
Im Garten verteilt stehen himmelblaue Sitzbänke vor einer kleinen Hütte, die vorne offen und mit einem Grasdach versehen ist. Das ist Køkken, die Küche für Camper. An einer Wand wachsen sogar Pfirsiche.
Bornholm ist schließlich die Sonneninsel. Sie hat die meisten Sonnenstunden in ganz Dänemark und ein beinahe schon mediterranes Klima.
Ich lasse Greeny stehen und wandere durch den verwunschenen Garten.
Es gibt einen Froschteich und geheime Plätze hinter Bäumen und Hecken.
Überall wächst und blüht es in allen Farben und das Gras ist wunderweich.
Welch ein Paradies. Hier bleiben wir.
Auf einem Zettel an der Haustür steht, man möge sich die schönste Stelle aussuchen und aufbauen. Bezahlen könne man, wenn die Leute abends von der Arbeit nach Hause kommen.
So richtig zu schätzen weiß man das nur, wenn man schon in Deutschland gecampt hat, wo ein Wald aus Verboten mit mehreren Ausrufezeichen (!!!) allgegenwärtig ist und diese etwas spezielle nordkoreanische Fröhlichkeit verbreitet. Tatsächlich ist das ein Grund, weshalb ich bei uns nur selten campe.
Wir sind einfach ätzend. (Gruß geht raus nach St. Blasien im Schwarzwald, wo der Lattenschammes, der den Müllplatz bewacht sogar meine Mülltüte durchsucht hat, bevor sie in den Container durfte.)
Für eine Reise hatte ich als Fotoprojekt geplant, sämtliche Verbotsschilder in den Camps zu fotografieren und eine Fotostrecke davon zu machen. Das Ergebnis war so deprimierend, dass ich es nie veröffentlicht habe.
Ekkodalens Naturcamping ist das Gegenteil. Ein Schild an der Sandkiste sagt nur, man solle nach dem Spielen das Netz wieder drüberlegen: „Please put the net back when your kids have used the sandbox. The cats think it is a big, nice cat-toilet.“ Dahinter statt drei Ausrufezeichen nur ein fröhlicher Smiley. Was die wohl denken mögen, wenn sie mal in den Schwarzwald campen fahren.
Die Küche ist mit Gasbrenner, einer Spüle, Töpfen, Pfannen und Geschirr komplett ausgestattet, aber wir brauchen nichts, weil wir alles dabei haben.
Tatsächlich gibt es im Camp kein WC, aber sie haben eine Trockentoilette. Ohne zu sehr in die Einzelheiten zu gehen, spielen darin ein Plastikbeutel, ein Eimer voller Sägespäne und eine große Suppenkelle die Hauptrollen. Doch eine Dusche gibt es, wenn auch mit eisig kaltem Tiefenwasser. Gut für die Haut und den CO² Index, schlecht für Svenja.
Bevor ich die Zeltküche anwerfe, checke ich Greeny durch. Es ist alles o.k. Der Ölstand stimmt und die Kette ist noch immer saftig. Bei Abwesenheit von Regen hält der Ölfilm mindestens 500 km.
Gegen Abend kommen die Leute von der Arbeit und finden Pieps und mich in ihrem Apfelgarten vor. Als ich nach der Reise Claudia von ihnen erzähle, beschreibe ich ein sympathisches Ehepaar alt gewordener Hippies, die im Garten hinterm Haus mit viel Liebe und großer Hingabe einen alternativen Campingplatz betreiben. Einfach sehr nette Leute.
Wir einigen uns, dass ich erst bei Abreise bezahle, denn noch steht gar nicht fest, wie viele Nächte Pieps und ich auf der Insel bleiben werden.
Es ist ein drückend warmer Tag um die 30 °C.
Das Zelt steht im Schatten, was es erträglicher macht, aber um den Kreislauf nicht noch zusätzlich zu belasten, gibt es bloß ein leichtes Abendessen und alkoholfreies Bier.
Als der letzte Knochen abgenagt ist, nehme ich die Bratpfanne und gehe abwaschen. Pieps hatte versprochen zu helfen, aber die kleine Maus ist nirgends mehr zu sehen. Welch ein Zufall
Für die nächsten Tage habe ich Motorradtouren über Bornholm geplant, die uns zu sämtlichen Sehenswürdigkeiten führen sollen. Heute haben wir außer dem Fährhafen in Rønne und der gut ausgebauten Strecke über die Insel bis zu unserem Camp im Apfelgarten noch nicht viel gesehen.