Inhaltsverzeichnis Dalarna 2024 Tag 1 Kiel - Oslo Tag 2 Oslo - Schweden Tag 3 Värmland - Dalarna Tag 4 Vansbro und ein Knytkalas Tag 5 Nås - Näs Bruk Tag 6 Avesta Tag 7 Tällberg am Siljansee Tag 8 Outback Dalarna Tag 9 Fäbod Fryksås
Von Oslo nach Schweden
Das Frühstücksbuffet lasse ich diesmal aus. Das war der Plan, und nun stehen wir doch wieder in der Warteschlange am Eingang. Soviel zur Prinzipientreue. Eine Lautsprecheransage mit Reklame fürs Buffet hat mich, als notorische Auf-jedes-Werbebanner-Klickerin doch noch umgestimmt.
Das Buffet ist reichhaltig und gut, aber für mich lohnt es sich heute nicht. Es ist schlicht zu voll. Ich finde die Ruhe nicht, die ich beim Frühstück mag. Also stehe ich nach einem Becher Kaffee, zwei Spiegeleiern und einer Extraportion Knusperspeck für Pieps schon wieder draußen an Deck.
Wir sind schon im Oslofjord, der vom Skagerrak 118 km bis in die City von Oslo führt. Auf diese Weise kommt man 200 km weiter nördlich an Land, als mit der Fähre von Dänemark nach Kristiansand. Auf dem Weg zum Nordkap ein wichtiges Argument.
An der engsten Stelle im Fjord liegt irgendwo unter uns in 90 Metern Tiefe das Wrack des Schweren Kreuzers Blücher. Die Blücher wurde 1940 bei der Invasion Norwegens durch eine Küstenbatterie und Torpedos der Festung Oscarsborg versenkt, ironischerweise von den 28 cm Krupp Geschützen, die die deutsche Krupp AG 1893 dorthin verkauft hatte.
Das Kriegsschiff war kleiner als die Fantasy, hatte aber mit 131.821 PS dreimal soviel Leistung und war mit 61 km/h deutlich schneller als die Norwegenfähre. Das Wrack der Blücher gilt als Seekriegsgrab und darf daher nicht mehr gehoben werden.
Nach einem letzten Blick ins dunkle Wasser gehe ich wieder unter Deck.
Nun beginnt die nervigste Phase der Überfahrt: Alles ist gegessen, erledigt und gepackt, aber es dauert noch zwei Stunden, bis wir anlegen und ich endlich losdüsen darf.
Ich weiß nicht mehr recht, was ich mit mir anfangen soll und gehe schon jetzt die Treppe runter zum Cardeck.
Das schwere Schott ist noch fest verschlossen. Dennoch hämmere ich von Zeit zu Zeit ohne große Erwartung und ohne dass sich etwas tut auf den Türöffner. Irgendwann, erst kurz vorm Anlegen ist der dicke, grüne Knopf scharfgeschaltet und das Schott gleitet zischend zur Seite.
Sowie ich mein Motorrad startklar gemacht habe, sehe ich mir in Ruhe die Nachbarschaft an.
Zwei wahre Schätze stehen da, eine Honda CX500, die Güllepumpe und davor der legendäre Witwenmacher, eine Kawasaki 500 H1, ein Dreizylinder-Zweitakter. Kawasaki Motorräder faszinieren mich. Ich wünschte, sie würden endlich eine starke, richtig böse Einzylinderenduro bauen, die ich ungesehen bestellen würde. Tun sie aber nicht.
Als um kurz nach zehn endlich die Luke aufgeht und Tageslicht ins Deck fällt, bin ich schon aufgeregt, wie ein Rennpferd in der Startmaschine. Wenn ich könnte, wie ich wollte aber kann ich nicht.
Im Stop & Slow-Go paddeln wir zentimeterweise über das Hafengelände zur Grenzkontrolle. Motorräder werden durchgewunken, aber dem Stau der vielen Autos entkommen auch wir nicht.
Das Geniale am Terminal der Colorline ist die einzigartige Anbindung an die E18. Der Anleger hat einen eigenen Autobahnanschluss. Sowie man durch den Zoll ist, geht es direkt auf die Bahn.
Allerdings haben sie die Autobahn kurzerhand komplett unter Tage verlegt.
Während ich im Berufsverkehr aus der Hölle sechsspurig durch die Tunnel düse, meldet das Garmin nüchtern Satellitenverbindung verloren. Diesmal bin ich vorbereitet und weiß, welchen Schildern ich folgen muss, denn selbst unter Tage gibt es in Olso Kreisverkehre und Autobahnabfahrten.
Es ist kein Vergnügen, mit dem 250er Ackermofa auf der Autobahn zu fahren, aber in Norwegen sind nur 110 km/h erlaubt, und wir schwimmen zügig mit, ohne dass der Einzylinder sich zu Tode dreht.
Bloß die derben Michelin Anakee Wild wundern sich vermutlich über den glatten Asphalt, aber das soll sich bald ändern.
Nach 32 Kilometern Autobahn sind wir raus aus dem Ballungsraum Oslo.
In Björkelangen halte ich vor einem REMA 1000 und decke uns mit Lachs für heute Abend ein.
Ich verstaue den Fisch im Tankrucksack und fahre weiter Richtung Schweden.
Den Track habe ich zuhause schon vor Monaten akribisch auf kurviger.de geplant, aber die Details der Streckenführung habe ich längst vergessen. So bin ich einigermaßen erstaunt, als der lila Strich auf dem Display, der den Track markiert plötzlich nach rechts ins Unterholz weist. Runter vom Riksväg 21 in den Wald?
Auf dem Tagesplan, der ausgedruckt und als Leporello gefaltet in meinem Moleskine klebt, steht in brauner Schrift fett: 11 km. Jetzt erinnere ich mich: Die schwedische Grenze wollte ich endurogerecht auf Schotter queren. „Ein genialer Plan“, lobe ich mich selbst und gebe engagiert Gas.
Die 11 km sind eine dieser schwedischen Waldautobahnen, auf denen man problemlos entlangschottern kann, ohne dass besondere Anforderungen an Enduro, Reifen oder Fahrkönnen gestellt würden.
Die groben Enduroreifen sind hier reine Folklore, zumindest bei trockenem Wetter.
Im Grunde fährt man bloß auf einer rubbeligen Straße durch den Wald, aber mich macht schon das glücklich: Endlich wieder Endurowandern.
Das ist übrigens nicht das Bremslicht der Honda, sondern mein neues LED-Rücklicht, nachdem die normalen Glühlampen ständig durchgebrannt sind und der Tausch der Glühbirne selbst KFZ-Meister zum Fluchen bringt. Ihr müsstet erstmal das Bremslicht sehen
Einige Bäume weiter verkündet ein blauweißes Schild Riksgrense Sverige. Ich halte kurz an und mache ein Foto, aber mehr ist nicht zu tun, keine Ausweiskontrolle, kein Zoll. Ich könnte in der Gepäckrolle 20 Syrer über die Grenze schleppen und vier Kisten Jack Daniels im Tankrucksack und keiner würde es merken. Tu ich aber nicht, schon weil das 49l Rack Pack auch so bereits ziemlich voll ist durch den dicken Winterschlafsack und die warmen Wollsachen für den Norden.
Immer wieder gibt der Wald den Blick frei auf die malerische Landschaft. Dunkle Grüntöne, der warme Farbton der Baumstämme am Wegesrand und das tiefe Blau der Seen. Im Grunde mache ich immer wieder dasselbe Foto, aber bei diesem Licht ist Schweden so schön, dass ich es festhalten möchte, denn ich weiß: Die können hier auch ganz anders, und dann will man hier nicht sein.
Woran man sich gewöhnen muss ist, dass diese wilden Enduro, Offroad, TET und Schotterstrecken ein Teil des ganz normalen Straßennetzes sind. So stehen mitten im Wald offizielle Hinweis- und Verkehrsschilder, die auf den ersten Blick nicht ins Bild passen, aber doch genau hier hergehören. So wie Pieps und ich auf unserer Enduro!
Während ich die helle Piste am See entlang Richtung Skillingsfors fahre, bin ich in absoluter Hochstimmung. Schweden ist ein wunderbares Land zum Endurowandern, und von Kiel aus gesehen liegt es vor der Haustür. Für diese Reise habe ich mir fest vorgenommen, Schweden endlich lieben zu lernen. Bisher war mir das nicht leichtgefallen.
Im ländlichen Schweden, wie hier in Skillingsfors ticken die Uhren anders als in der Großstadt. Ein Mann auf einem ATV grüßt freundlich, als ich vor ihm auf den Parkplatz vorm COOP rolle. In einer Kiste am Lenker stehen Einkaufstüten. Es wirkt nicht, als sei er in besonderer Eile.
Heute ist der 22. Mai, früh im Jahr für Mittelschweden, aber ich will den Mücken und den Wohnmobilen ausweichen, auch wenn es dafür noch kalt werden kann. Über WoMos und Moskitos kann ich bisher nichts sagen, aber das mit der Kälte sind heute 28 °C im Schatten.
Wir erreichen Gräsmark. Nun ist es nicht mehr weit bis zum ersten Camp der Reise,
Naturcamping Lagom, Stugor, Camping & Vadrarhem. Bei der Planung machte das Camp im Netz einen prima Eindruck, Camping, Hütten und sogar eine Jugendherberge.
Ich setze den Blinker und biege ab ins Camp, aber schon an der Zufahrt steht eine handgeschriebene Tafel, die, wenn es nach mir ginge, hier gar nicht stehen sollte:
„STÄNGT - CLOSED - GESLOTEN. We have our Wedding.“
Geschlossen? Wegen Hochzeit?
Was geht uns das an?
Wie egoistisch können Menschen noch sein?
Pieps und ich wollen jetzt hier zelten.
Doch so leicht lassen wir uns nicht ausbooten! Mit Power crosse ich den staubigen Weg hoch zur Rezeption. Vielleicht stimmt es die Brautleute um, wenn ich in einer mächtigen, eindrucksvollen Staubwolke hier lande.
Vor einem Partyzelt, das mit Girlanden geschmückt ist, steht das Paar, das heiraten will. Sie sind weder besonders alt, noch besonders jung, aber doch alt genug, um es besser wissen zu können.
Könnte ich schwedisch, würde ich ihnen die Hochzeit einfach ausreden, aber vermutlich sind das Buffet und der Pastor schon bestellt und nun mögen sie ohnehin nicht mehr absagen. Ob ich trotzdem hier zelten darf? Nein. Darf ich nicht.
Mit aller Überzeugung, die ich aufbringen kann wünsche ich den Beiden viel Glück und rausche davon. In zehn Jahren hätten sie es mir gedankt, sinniere ich, spätestens bei der Berechnung des Versorgungsausgleichs. Ob Eheberatung wohl eine geschützte Berufsbezeichnung ist?
Einige Kilometer weiter steht ein Schild an der Straße mit den Symbolen für Camping und Badestelle. 300 Meter danach rolle ich auf den Platz.
Camp Hedås liegt unter hohen Kiefern an einem kleinen See, was wenig aussagt, weil das auf etwa 50% aller Campingplätze in Schweden zutrifft. Die übrigen liegen an einem großen See.
Die Rezeption besteht lediglich aus einer Pinwand am Klohaus. Man möge sein Zelt aufschlagen und später bar oder mit Swish bezahlen.
Swish ist eine Art schwedisches Paypal, das man aber nur mit einem schwedischen Bankkonto und einer schwedischen Personennummer nutzen kann. Hab ich aber nicht. Beides.
Soviel zu: „In Schweden brauchst du kein Bargeld. Die zahlen alles mit Karte. Alles! Selbst kleinste Beträge und das funktioniert ü b e r a l l.“
Wer denkt sich sowas aus? Typen, die noch nie hier waren?
Pustekuchen! Genau in solchen Camps braucht man sehr wohl Bargeld.
Ich rufe die Telefonnummer auf der Pinwand an.
Eine Frau unbestimmten Alters meldet sich, und nachdem wir auf Englisch umgeschaltet haben: „I'm still at Work. Put up your Tent. I'll come later.“
Gegen Abend kommt die Frau, mit der ich telefoniert habe ins Camp. Sie erzählt mir, dass dieses Camp den Dauercampern gemeinsam gehört und jeder reihum eine Woche als Platzwart und mit Saubermachen dran ist. Diese Woche ist Eva dran, wie sie mir erzählt.
Mein Platz kostet 120 Kronen, etwa 12 Euro.
Ich beichte, dass ich nicht genug Geld zum Bezahlen habe, bloß noch ein paar Kronen vom letzten Schwedenurlaub. Erde, tu dich auf! Mir ist das so peinlich.
„How much have you got?“„Only this “, gebe ich kleinlaut zu und lege zwei zerknitterte und mit warmer Hand notdürftig gebügelte Scheine in ihre ausgestreckte Hand, einen Fünfziger und einen Zwanziger. Siebzig Kronen. Fünfzig fehlen.
Ein reichlich abgegriffenes Einkronenstück lege ich noch oben drauf und gehe damit all in.
„It's ok then", sagt sie und gibt mir die Münze zurück.
„The 1-krona coins we don't take any more“.
Eva hat mir 50 Kronen erlassen. Euro wollte sie nicht und auch nicht, dass ich extra zum nächsten Geldautomaten fahre, der viele Kilometer entfernt liegt. Ich bedanke mich herzlich und ein wenig zu überschwänglich, was ich an ihrem Gesichtsausdruck ablesen kann.
In Zukunft nehme ich wieder Bargeld mit, so wie auf jeder Reise vorher auch.
Es war ein doofes Gefühl, nicht flüssig zu sein, und reines Glück, dass ich überhaupt noch ein paar Kronen von der letzten Tour dabei hatte. „Braucht man kein Bargeld, hmpff.“
Es wird Zeit fürs Abendessen. Ich schraube den Kocher auf die Kartusche und zünde das Gas an. Beim Auspacken merke ich erst, dass ich mich vergriffen habe: Es sind nur Lachsstücke ohne Haut.
„Nun gut“, denke ich, „wenn das die beiden größten Unglücke dieser Reise bleiben, dass man uns 50 Kronen geschenkt hat und jemand den Fisch vorgeschnitten hat, dann werden wir das aushalten.“
Als es Zeit fürs Bett wird, steht die Sonne noch über dem Horizont. Das kann ich am Norden nicht leiden: Im Sommer wird es ewig nicht dunkel, was es schwer macht, eine gewisse Maus davon zu überzeugen, dass Schlafenszeit ist. Immerhin ist es schon kurz vor neun.
Wir machen es uns im Bett gemütlich. Pieps verschwindet in ihrem neuen Schlafsack, der ein paar Nummer kleiner ist als meiner, ihm ansonsten aber zum Verwechseln ähnlich sieht. Ein Geschenk ihrer Tante Silvia, ebenso wie das neue Pixibuch, Die Nacht im Zelt, in dem Emil Elch und sein Freund der Fuchs gemeinsam zelten gehen. Ohne zu viel zu verraten, hoffe ich, dass unsere Nacht ruhiger wird, als die der beiden Freunde in dem Pixibuch.
Morgen werden wir Dalarna erreichen, das eigentliche Ziel unserer Abenteuerreise, und ihr müsst jetzt leider nach Hause gehen.
Ich muss hier noch vorlesen.
„Gute Nacht, Welt. Schlaf schön.“