TET Germany 2020
Tag 1 Kiel - Flessenow
Tag 2 Wismar
Tag 3 TET Flessenow-Malchow
Tag 4 Plau - Röbel - Waren
Tag 5 TET Dobbin bis Penzlin
Tag 6 Burg Stargard
Tag 7 TET Penzlin bis Templin
Tag 8 Gramzow-Boitzenburg
Tag 9 TET-Oder-Niederfinow
Tag 10 Niederfinow - Userin
Tag 11 Userin - Malliß
Tag 12 Malliß - Kiel
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In der Schorfheide

Unser Zelt steht nur wenige Schritte vom Finowkanal entfernt und als ich morgens aufwache, ist die Welt draußen klamm und feucht. Es sind 8 °C, aber als die Sonne es endlich über die Hecke schafft, wird es rasch wärmer. Ich lasse Pieps schlafen und wandere unter dem großen Apfelbaum hindurch zur Rezeption, um unsere Brötchen zu holen.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Die Brötchen sind noch warm und werden in einem hübschen blauen Bastkörbchen überreicht. Sie kosten bloß 40 Cent das Stück. Alles hier ist sehr günstig, fast zu günstig für einen Campingplatz. Auf einem Anschlag an der Rezeption wird um eine Spende in die Coronakasse gebeten. Die Ausfälle in diesem Jahr waren erheblich. Ich lege einen 10er aus unserer Benzinkasse dazu und trage die warmen Brötchen zurück ins Zelt.

Wenn man mich fragt, was an unseren Reisen am schönsten ist, dann gehört das dazu: Pieps und ich sitzen im offenen Zelt, eingemummelt in unseren warmen Schlafsack, der Gasbrenner zischt unter der Kaffeetasse, es gibt frische Brötchen und um uns herum erwacht das Camp allmählich zum Leben.

Bevor wir Niederfinow verlassen, will ich das Schiffshebewerk ansehen. „Ein Schiffshebewerk ist ein riesiger Fahrstuhl für Schiffe. Darin fahren sie vom Unterwasser ins Oberwasser und umgekehrt“, erkläre ich Pieps.

Aufmerksam tuckere ich vom Campingplatz zum Schiffshebewerk. Es sind nur 4 km. Es ist eine merkwürdige Gegend hier. In vielen Vorgärten weht die Deutsche Flagge. In einem Garten wehen gleich fünf Expemplare unserer Flagge in verschiedenen Größen und Höhen. Man kann es auch übertreiben, denke ich. Selbst vorm Kanzleramt in Berlin weht nur eine.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Just, als ich noch staune über soviel, ja was eigentlich? Nationalstolz? Patriotismus? In dem Moment fährt ein Opel Astra vorbei. Älteres Baujahr, wie aus dem Ei gepellt. An beiden Dachkanten weht es schwarz-rot-gold. In Nationalstolz dürfte mich kaum jemand übertreffen, auch deshalb bin ich Polizistin geworden und arbeite für den Staat, aber das hier kommt mir dennoch merkwürdig vor. Bei der letzten Landtagswahl haben hier in Niederfinow 31,9% für die AfD gestimmt. In Kiel 5,9.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Schon taucht das Schiffshebewerk auf. Es ist so riesig, dass man es kaum übersehen kann. Ich stelle die Honda ab und gehe zu der Stelle, von wo man in den Wassertrog sehen kann. Das hintere Tor ist offen und gerade sind zwei Boote eingefahen, ein Segler und ein Motorschiff.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Das hintere Tor schließt sich und während noch die Schiffe festgemacht werden, erwacht die gewaltige Anlage zum Leben. Die vier Elektromotoren fahren hoch, ein singendes Geräusch erfüllt die Luft und kurz darauf beginnt sich der Wassertrog mit den Schiffen darin zu heben. 4.300 t Wasser, Beton, Stahl und Schiffe fahren 36 m nach oben.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ich staune, als der Trog an mir vorüberfährt und den Blick auf die Kammer darunter freigibt. Der Betonboden ist fast knochentrocken. Laut einer Infotafel hat der Bau damals 27,5 Millionen Reichsmark gekostet. Das Geld scheint gut angelegt, denn ein knappes Jahrhundert später funktioniert der Lift noch immer.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Nachdem alles gebührend bewundert wurde und alle Fotos im Kasten sind, fahre ich weiter. Als ich den Oder-Havel-Kanal überquere, sehe ich unten ein merkwürdiges Bauwerk aus Stahl. Eine Art Brücke, eine Schleuse, oder ein Tor? Ich fahre runter ans Wasser und mache eine Aufnahme.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Erst zuhause, Monate später, als ich an meinem Reisebericht sitze, finde ich heraus, dass ich die Wassertorbrücke fotografiert habe. Und warum ist das bemerkenswert? Weil sie inzwischen abgerissen wurde.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ich fahre weiter durch die verlassene Landschaft der Schorfheide. Eine Sehenswürdigkeit habe ich mit Rot in meinem Moleskine notiert, die Alte Pflasterstraße von Schluft nach Zehdenick Kurtschlag.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Es ist eine unglaubliche Rüttelstrecke. Der Metallbecher scheppert, die Zähne klappern und ich fahre so oft es geht auf dem Sandstreifen neben der Straße. Wenn man sich vorstellt, dass die hier früher in einer Kutsche mit Holzreifen langgefahren sind, dann sollte ich auf der Honda Rally mit ihren ellenlangen Federwegen eigentlich nichts zu meckern haben, aber ich bin eben eine Diva.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ab und zu begegnet mir im Osten noch eines seiner früheren Symbole, der Trabant, liebevoll Trabbi genannt. Zuerst wollte ihn jeder haben, dann wollte ihn plötzlich keiner mehr haben und heute, 30 Jahre später, werden gut erhaltene Exemplare wieder teuer gehandelt.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Bisher hatte ich unglaubliches Glück mit dem Wetter, aber plötzlich kommt mir ein Gedanke: „Was, wenn es auf den letzten beiden Tagen doch noch Regen gibt und meine Regenhandschuhe nicht mehr dicht halten? Ich brauche unbedingt ein neues Paar Regenhandschuhe.“ Vermutlich war ich zu lange allein, anders kann ich mir diesen Gedanken nicht erklären.

In Gransee führt die Straße direkt am Schaufenster eines HONDA Händlers vorbei. Wenige Augenblicke später stehe ich vor dem Regal mit den Handschuhen und staune über die große Auswahl.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ich probiere zahllose Handschuhe an, vergleiche, prüfe, flexe die Finger und entscheide mich letztlich für ein besonders gut sitzendes Paar für 55 Euro. Mehr möchte ich nicht ausgeben, denn zu Hause habe ich Handschuhe genug.

Der Hondamann ist etwas steif. Nicht unfreundlich, aber ich merke, dass er fremdelt. Dazu kommt eine Unart, die mir bei Motorradhändlern besonders gegen den Strich geht: Die ganze Zeit über siezt er mich, während ich ihn ebenso hartnäckig duze.

In meiner Welt ist das „Sie" den Leuten vorbehalten, die ich nicht leiden kann und natürlich den hohen Chefs bis hoch zur Innenministerin.

Wir können das jetzt noch nicht wissen und vermutlich muss ich es nicht erwähnen, aber es wird auch für den Rest dieser Reise nicht mehr regnen, so dass ich die nagelneuen Handschuhe zuhause sauber und trocken in die Kiste zu den anderen lege. Wieder so ein Tag, an dem es nicht leicht ist, Ich zu sein.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Da ist noch eine Sache, dir mir bei meiner Reise durch den Osten auffällt. Der Ostdeutsche ist zuerst einmal dagegen. Gegen den Ausbau der B96, gegen Gasbohrungen, gegen den „Windkraftwahnsinn" und überhaupt gegen alles Neue. So viele handgemalte Schilder und Plakate aller Größen habe ich nirgends sonst gesehen. Kein Dorf, keine Kleinstadt und keine Garagenwand ohne politisches Statement.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

In Fürstenberg halte ich bei EDEKA und kaufe ein paar Nackensteaks und einen kleinen Topf Gurkensalat. Etwas Gesundes für die Maus. Ich packe beides in den Tankrucksack und fahre weiter.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Unser Campingplatz für heute Nacht ist das Camp Useriner Mühle. In der Rezeption arbeitet ein junger Mann. Er mag etwa 20 Jahre alt sein und spricht mich auf meine Kamera an. Ob das eine Analoge sei. Nein, sie sieht nur so aus, aber wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über Fotografie im Allgemeinen. Er zeigt mir ein paar Aufnahmen, die er mit seiner analogen Kamera auf Film gemacht hat.

Ich bin verblüfft einen Jungen zu treffen, der nicht bloß stumpf sein Handy in die Landschaft hält, sondern echtes Interesse an der Fotografie hat und sogar Aufnahmen auf Film macht.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Pieps und ich errichten unser Lager auf der Zeltwiese oberhalb des Useriner Sees. Die Nackensteaks müssen wir heute in der Camperküche zubereiten, das Gas ist alle. Es war nur eine angefangene Kartusche von der letzten Schwedenreise.

Als wir mit dem Essen zurück ans Zelt kommen, stehen fünf kleine Zelte im Kreis um unser Salewa. Sieben Kanuten aus vier Booten haben uns mit fünf Zelten eingekreist. Wir stehen in der Mitte wie das Gruppenzelt bei Fähnlein Fieselschweif. Wenn Blicke töten könnten, lägen die ersten Drei am Boden, bevor ich „Moin!“ gebellt habe.

Später kommt ein weiteres Pärchen auf der Zeltwiese an. Lea und Robin aus Dresden sind mit Fahrrädern auf großer Tour. Was als epische Südamerika Tour mit dem Rad geplant war, ist dank Corona eine Deutschlandreise geworden. Willkommen im Club, denke ich und erinnere mich an den stornierten Autozug nach Süden. Auch Pieps und ich sollten jetzt eigentlich am Ufer der Dordogne zelten und nicht am Useriner See.

Wir verbringen eine lange Nacht mit guten Gesprächen, und ich darf mit Stolz sagen: Wir waren lauter und länger auf als die Kanuten. Die werden uns später verflucht haben. Wie sagt Claudia immer?
„Die Rache des Kanalarbeiters …“

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.