Inhaltsverzeichnis
Norwegen 2022
Tag 1 Kiel - Oslo
Tag 2 Oslo - Lillehammer
Tag 3 Peer Gynt Vegen
Tag 4 Jotunheimvegen
Tag 5 Slettefjellvegen
Tag 6 Slådals- u. Einunndalsvegen
Tag 7 Trontoppen u. Gammeldalen
Tag 8 Røros
Tag 9 Aursjøvegen
Tag 10 Trollstigen
Tag 11 Geiranger, Gamle Strynfjell
Tag 13 Stabkirche Urnes
Tag 14 Tindevegen - Snøvegen
Tag 15 Hardangervidda
Tag 16 Vrågåvegen
Tag 18 Vikersund - Oslo - Kiel
Platzhalter Norwegen Miniskizze
Platzhalter Norwegentour
Platzhalter Norwegentour


Durchs Gammeldalen

Eine kühle, feuchte Nacht geht zu Ende. Durch ein Wolkenloch fällt etwas Sonne auf unser Zelt und wir freuen uns aufs Frühstück. Ich pieke das Brötchen von gestern auf die Gabel und drehe es solange über der Flamme des Kochers, bis es für die Jahreszeit deutlich zu braun ist.

Motorradtour nach Norwegen

Wenn man norwegisches Brot nur lange genug röstet und an den Seiten ein bisschen ankohlen lässt, schmeckt es fast wie ein richtiges Brötchen. Man kann sich nur wundern. Norweger sind doch sicher auch mal im Ausland. Da müssen sie doch merken, wie gut das Brot anderswo ist. Und ich meine nicht unsere deutsche Sauerteig Arroganz, sondern nur ganz normale, knusprige Brötchen. Wieso kommt nicht mal einer auf die Idee und fragt nach dem Rezept, um zu Hause in Norwegen eine Bäckerei aufzumachen? Was hindert die?

„Na gut“, denke ich. Dafür können sie Lachs verdammt gut.

Motorradtour nach Norwegen

Während ich noch über Aufbau und Struktur einer neu zu gründenden Innung norwegischer Berufsbäcker sinniere, rollen wir allmählich vom Hof. Grimsbu Turistsenter ist nicht mein liebster Campingplatz, aber für eine Nacht war er ok. Vor allem die Gyrosplatte mit Sauce béarnaise.

Motorradtour nach Norwegen

Piste des Tages ist heute der Tronfjellveien, eine Dirt Road auf den Gipfel des 1.660 m hohen Trontoppen. Der Einstieg in den Berg liegt nur wenige Kilometer hinter Grimsbu Camping. Ich habe extra Bargeld parat, um es in einen Briefumschlag zu stecken, ihn mit meinem Namen zu beschriften und anschließend in einen hohlen Baumstamm zu werfen. Zumindest war das die Methode, mit der ich auf vergangenen Reisen Maut bezahlt habe.

Motorradtour nach Norwegen

Kurz darauf halte ich an der Bomstasjon, wo es aber keinen Bom mehr gibt, sondern nur zwei Überwachungskameras, die mich misstrauisch beäugen. Eine Tafel erläutert die Betalingsalternativer, aber Umschläge, Kugelschreiber und hohle Baumstämme kommen darin nicht vor.

Stattdessen soll man sich auf einer Website registrieren und online zahlen. Zum Glück habe ich überhaupt ein Smartphone dabei. Schimpfend und fluchend durchlaufe ich den Registierungsprozess, bis zu der Stelle, als ich meine Kreditkartennummer eingeben soll. Merkt ihr selber, näh?!

Motorradtour nach Norwegen

Man kann nicht mal mehr mit der Enduro über eine Schotterpiste fahren, ohne zuvor etwas im Internet anzuklicken. Nein, das will ich nicht. Eher zahle ich die Strafe und werde dabei meckern, wie alte Dämchen das nun einmal tun. Ich lege den Gang ein und heize entschlossen los. Wir fahren schwarz!

Motorradtour nach Norwegen

Erst drei Monate später werde ich Post aus Norwegen kriegen mit einer Rechnung über 10 Euro Maut und 15 Euro Verwaltungsgebühren, sowie einem DIN A4 Ausdruck mit Dutzenden Aufnahmen meines Kennzeichens.

Wir sind gerade erst ein paar hundert Meter hoch, als wir in dichte Wolken eintauchen. Claudia hatte mich gewarnt, „Wenn du in die Wolken kommst, musst du gleich deine Regensachen anziehen.“

„So ein Quatsch", hab ich noch gedacht, während Claudia mich über den Rand ihrer Brille ernst anschaut und ich mit großen Augen eifrig nicke.

„Wie ich es diese doofe Rechthaberei hasse“, grummele ich vor mich hin, während ich 400 m weiter die Regensachen über die Motorradjacke ziehe, die von den winzigen Wassertröpfchen im Nu durchnässt worden ist.

Motorradtour nach Norwegen

Im zweiten Gang tuckere ich weiter bergan, bis sich irgendwann die Wolken lichten und ich den Weg voraus wieder besser erkennen kann.
Was ist das da vorne mitten auf dem Weg!?

"Veien stengt | Road Closed" steht auf dem Schild, das schief auf einer Warnbake mitten auf der Piste sitzt. Hier ist Ende mit Trontoppen.

Motorradtour nach Norwegen

Wie schade! Ich könnte ja einfach durchfahren und sehen, wie weit ich komme, aber das möchte ich nicht. Als Endurofahrer sind wir immer auch Botschafter für alle, die nach uns kommen. Wir dürfen nichts kaputt, nicht zu viel Lärm und keinen Blödsinn machen. Noch sind die Pisten geöffnet und das soll auch so bleiben.

Ich bin ohnehin neugierig, wie lange das mit dem TET noch funktionieren wird. Hans, ein alter Schwede, den ich bei McDonalds in Borås traf, hatte berichtet, dass an seinem Haus im Tiveden Nationalpark in dem Sommer schon 300 Enduros vorbeigeschottert waren. Viele in Gruppen.

„Wie ich es selbst hasse, wenn ich meine vernünftigen fünf Minuten habe“, denke ich, aber es hilft nichts, wir kehren um. Ich starte den Motor und wende die Enduro. Eines Jahres werde ich bis zum Gipfel des Trontoppen fahren. Aber nicht heute.

Motorradtour nach Norwegen

Der Ausblick auf dem Weg nach unten ist überwältigend. Tief unten im Tal liegt Alvdal. Dort gibt es einen Bahnhof der Rørosbanen, der Eisenbahn nach Røros, eine der wenigen noch mit Dieselloks.

Um die Bremsbeläge nicht zu verglühen, halte ich die Honda ohne Gas im kleinen Gang. Bergrunter könnten wir mühelos 300 km/h fahren, aber man darf bloß 30 und wir tuckern brav und gesetzestreu zurück ins Tal.

Das Ziel für heute ist Røros, die alte Bergarbeiterstadt. Hinter Tynset ist auf der Landkarte ein scharfer Haken eingezeichnet und ich erinnere mich, dass hier etwas Besonderes ist. Aber was? Ich habs vergessen.

Ich schalte runter bis in den Zweiten und biege scharf links ab. Kurz darauf stehe ich vor der Bomstasjon zum Gammeldalen.

Motorradtour nach Norwegen

Storrøsta Gammeldalen steht auf dem Brett, Altes Tal mit großer Stimme, macht Google Translate daraus. Ich stelle die Rally auf den Seitenständer und sehe mich um. 85 Kronen kostet die Fahrt durchs alte Tal.

Unter der Tafel steht ein eiserner Briefkasten, rostig und sehr massiv. Darauf steht "BOMKASSA TOMMES DAGLIG", Mautkasse, täglich geleert. Also kann man hier noch bar zahlen, wie in guten alten Zeiten, als ich 2007 zum ersten Mal in Norwegen war mit meiner KTM.

Motorradtour nach Norwegen

In einem ausgehölten Baumstamm findet sich alles weitere. Ich klappe den hölzernen Deckel hoch und darunter liegen ein Kugelschreiber und ein kleines Bündel Umschläge.

Man schreibt seinen Namen und sein Kennzeichen auf den Umschlag und steckt 85 Kronen hinein. Ich wühle und krame in allen Taschen, aber komme nur auf 82 Kronen. Mehr habe ich nicht passend.

„Pieps, hast du noch Kronen?“
„Ich bin pleite.“

Wie immer. Dabei hat eine gewisse Maus schon Vorschuss auf ihr Taschengeld bis kurz vor Renteneintritt bekommen.

Motorradtour nach Norwegen

Na gut, dann bleiben wir 3 Kronen schwach, etwa 30 Cent. Das muss Norwegen aushalten. Ich klebe den Umschlag zu und werfe ihn in die Bomkassa tommes daglig.

Jetzt dürfen wir. Ich starte den Einzylinder und düse los. Endlich wieder staubiger Schotter statt matschiger Pampe. Auf dem ersten Kilometer lasse ich die Honda ordentlich fliegen, aber dann bremse ich mich wieder ein. Wir sind hier schließlich im Urlaub …

Motorradtour nach Norwegen

Welch eine schöne Piste zum Endurowandern. Unterm Helm verbreitet sich der intensive Duft von Baumharz. Hier wurde Holz gemacht. Säuberlich aufgestapelt liegen die Stämme am Wegesrand.

Motorradtour nach Norwegen

Neben uns schlängelt sich ein schmaler Bach durchs Gammeldalen. Ich lasse die Honda stehen und gehe die paar Schritte runter ans Wasser. Glasklar murmelt es durch die Wiese. Mit den Wasser­pflanzen und dem hellen Sand sieht es aus, wie eine Szene aus einem Aquarium. Man möchte ein Fisch sein und darin schwimmen.

Motorradtour nach Norwegen

Ich schaue eine Weile ins Aquarium, bevor ich die Enduro starte und der Titanauspuff wieder durch den Wald trompetet. Das mache ich nicht noch einmal, den Originalauspuff gegen einen aus Titan zu tauschen, nur weil der 2,8 kg leichter ist. Der ist echt zu laut, auch wenn er legal ist. Man schämt sich immer ein bisschen, besonders, wenn man mal da fährt, wo nicht ganz klar ist, ob man darf oder nicht.

Motorradtour nach Norwegen

Mit Verve heize ich durch den Wald. Derbes Geröll mit faustgroßen Brocken quält Reifen, Felgen und Speichen, aber denen scheint das egal zu sein. Mein Becher klappert wie blöde am Gepäck, aber ich bleibe am Gas. Wir sind Enduro!

Einige Kilometer weiter führt der Weg über eine nigelnagelneue Brücke aus hellem Holz. Darunter mäandert ein Bach wunderschön durch die malerische Landschaft. Ich halte an und lasse das Motorrad auf der einspurigen Brücke stehen. Hier kommt nur jeden zweiten Dienstag im Oktober ein Auto vorbei. Ein kleines...

Motorradtour nach Norwegen

Später, beim Betrachten der Fotos, werde ich mich fragen, weshalb ich hier nicht mein Zelt aufgeschlagen habe. Das ist ein erstklassiger Zeltplatz, aber ich bin in meinem Tunnel, nur immer weiter, weiter, und komme gar nicht auf die Idee. Erst Monate später beim Betrachten der Bilder frage ich mich: „Wieso hast du nicht?“

An der Bomstasjon in Gegenrichtung versperrt ein Kuhgatter den Weg. Ich schwinge es auf und schiebe die Enduro auf die andere Seite. Für solche Kurzstrecken starte ich doch nicht den Motor. Wozu sonst haben wir so ein leichtes Motorrad?

Das Gatter geht nur schwergängig zurück in die Halterung und ich kriege den Bolzen nicht wieder rein, aber es sitzt auch so bombenfest.

Motorradtour nach Norwegen

Die Strecke durchs Gammeldalen war ein absoluter Glücksgriff. 19 km feinstes Endurowandern. Nicht anspruchsvoll, aber auch keine eintönige Waldautobahn. Uns ist kein einziges anderes Fahrzeug und überhaupt keine andere Menschseele begegnet.

Motorradtour nach Norwegen

Røros liegt 630 m hoch, ist einer der kältesten Orte Norwegens und bekannt für sein raues Klima. Einmal wurden hier −50,4 °C gemessen. Allerdings ist das hundert Jahre her, tröste ich mich.

Ich biege ab zum Campingplatz und sehe mich um. Eine Bewertung von 3,6 für Røros Camping muss nichts sagen, weil die schlechten Kritiken meistens von Leuten sind, die hauptsächlich zum Duschen und für den Toilettengang in Urlaub fahren, aber schon auf den ersten Blick sieht man, dass man hier nicht gut zelten kann.

Meine Güte, welch ein unwirtlicher Platz. Die Wiese wurde zugunsten der Wohnmobile planiert und geschottert. Ich gönne Pieps und mir eine der Minihütten, die so urgemütlich aussehen.

Sie ist frisch renoviert, sehr gemütlich und kostet nur 35 Euro pro Nacht. Zwei Betten, ein Tisch, ein Stuhl, ein Fenster. Und: Strom! Über Nacht will ich die 20.000 mAh Powerbank wieder randvoll laden, bis sie überläuft.

Motorradtour nach Norwegen

Nach einer großen Pfanne Schweinekoteletts kümmere ich mich um die Ausrüstung. Die Gummiseile in den Zeltstangen sind ausgeleiert und halten die einzelnen Elemente nicht mehr zuverlässig zusammen. Kein Wunder, nach dem was das Exped Orion Extreme im Lauf der Jahre alles mitgemacht hat.

Motorradtour nach Norwegen

Zuhause werde ich neue Gummiseile einziehen, aber bis dahin muss es mit Nachspannen gehen. Ich öffne den Knoten am Ende jeder Stange, ziehe das Seil etwas straffer und verknote es wieder. Das wird bis zu Hause reichen.

Jetzt trinke ich noch mein Bier aus, geh mit Pieps ins Waschhaus und dann gehts ab ins Bett. Bis morgen, Welt.



Hier noch der Link zum Track auf kurviger.de: Gammeldalen 19 km

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.