Inhaltsverzeichnis Norwegen 2022 Tag 1 Kiel - Oslo Tag 2 Oslo - Lillehammer Tag 3 Peer Gynt Vegen Tag 4 Jotunheimvegen Tag 5 Slettefjellvegen Tag 6 Slådals- u. Einunndalsvegen Tag 7 Trontoppen u. Gammeldalen Tag 8 Røros Tag 9 Aursjøvegen Tag 10 Trollstigen Tag 11 Geiranger, Gamle Strynfjell Tag 13 Stabkirche Urnes Tag 14 Tindevegen - Snøvegen Tag 15 Hardangervidda Tag 16 Vrågåvegen Tag 18 Vikersund - Oslo - Kiel
Røros
Heute Morgen besichtigen wir Røros. Bisher weiß ich nur, was in Wikipedia steht: Eine alte Bergarbeiterstadt, wo Kupfer abgebaut wurde, die heute wegen der alten Anlagen und Holzhäuser zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Was Wikipedia nicht verrät ist, ob es da einen Bäcker gibt. Wir haben nämlich noch nicht gefrühstückt und eine gewisse Maus wird allmählich unleidlich.
Wir rollen früh am Morgen vom Campingplatz in den Ort hinein. Für Besucher der Altstadt gibt es am Bahnhof extra einen Parkplatz. Ich stehe vor dem Parkautomaten und versuche herauszufinden, was ich tun muss. Gar nichts! Auf einem blauen Aufkleber steht MC Free parking.
Über das kostenfreie Parken freue ich mich genau so lange, bis ich herausfinde, dass außer mir jeder, wirklich jeder bis in die Altstadt und direkt an die Sehenswürdigkeiten heranfährt.
„Meine Güte, ich bin so ein Weichkäse", denke ich. „Wie neulich in Thines, wo ich endlos den Berg raufgelatscht bin und erst oben gemerkt habe, dass jeder, wirklich jeder trotz des strikten Verbots bis nach oben ins Dorf gefahren ist. Nur Svenja nicht. Die ist im Regen da hochgelatscht.“
Die Häuser in der Altstadt von Røros sind tatsächlich noch alle aus Holz, und selbst ein Neubau wurde wieder in der alten Bauweise errichtet.
Die wahre Sehenswürdigkeit von Røros ist die alte Smelthytta, die Kupfer Schmelzhütte oben auf dem Berg. Im Hintergrund liegen mächtige Schlackehalden, alles alt, alles seit vielen Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb.
Auf einer Tafel steht zu lesen, dass die Schmelzhütte in der Vergangenheit mehrfach durch Feuer zerstört und jedesmal wieder aufgebaut wurde. Nach dem letzten Brand 1975, ich war gerade erst 13, wurde die Hütte nicht wieder aufgebaut, sondern endgültig geschlossen.
„Liebe Norweger, dazu muss ich jetzt einmal etwas sagen, auch wenn dabei der typisch deutsche Klugshicer durchkommt: Wenn einem die Hütte wieder und immer wieder unterm Hintern abbrennt, dann würde ich nicht nur der Belegschaft das Rauchen verbieten, sondern mich beim Wiederaufbau für ein anderes Baumaterial entscheiden. Pappe, zum Beispiel. Oder Stein. Meine Güte, das ist doch nicht so schwierig.“
Selbstzufrieden stiefele ich zwischen den alten Gebäuden hindurch und mache dieselben Aufnahmen, wie die anderen Touristen um mich herum. Mein Hunger nach Kultur ist rasch gestillt, aber der andere ist noch da.
Ein Leuchten geht über Pieps Gesicht, als wir die Bäckerei in der Kjerkgata entdecken. Der Laden brummt, die Schlange steht bis heraus auf die Straße. Kein Wunder, denn die Auslage sieht schon durchs Schaufenster verführerisch aus und Bäckereien und Frühstückslokale sind in Norwegen rar gesät.
Da liegen reich belegte Baguettes mit verschiedenen Füllungen, aber noch während ich Pieps erkläre, weshalb es keine Baguettes mit Thunfisch und Nutella drauf gibt, fällt die Entscheidung von allein: Ein junger Mann mit Dutt - hier also auch - trägt ein heißes Blech Pizza herein und stellt es auf dem Tresen ab. Man hat nie eine glücklichere Maus gesehen.
Es ist verrückt, aber eines Tages werde ich sagen können, dass ich die leckerste Pizza von allen in einer Bäckerei in Norwegen gegessen habe. Zum Frühstück!
Kurz vor Mittag reisen wir satt und zufrieden aus Røros ab. Wir sind auf dem Weg nach Westen, hinüber in die Gegend, wo der Aursjøvegen beginnt, die längste und vielleicht interessanteste aller Dirt Roads, aber vorher müssen wir noch einmal zelten.
Wir könnten die gesamte Strecke auf der Rv30 zurücklegen, aber es gibt einen besseren Plan: Auf dem gegenüber liegenden Flussufer führt die Parallelstrecke in dieselbe Richtung, davon viele Kilometer ohne Asphalt.
In Ålen steht direkt an der Hauptstraße ein Supermarkt. Der Ort hat keine 2000 Einwohner, ist aber die Metropole einer gesamten Region. Ich stelle das Motorrad vor dem COOP ab und gehe mit Pieps in den Laden.
Nach den üblichen Diskussionen, weshalb man im Zelt keinen Kuchen backen kann und wieso es für Gänsebraten noch zu früh ist, entscheiden wir uns für Lachs und einen kleinen Schokopudding für Pieps.
Irgend jemand hat von dem Lachs die Haut abgemacht und das noch stolz auf die Packung drucken lassen: „uten skinn“. Was treibt solche Menschen? Und wo ist die fehlende Haut jetzt? Wer hat die?
Ich klemme den Fisch hinten unters Gepäckgummi. Er wird dabei ein bisschen eingequetscht und muss etwas leiden, aber ich glaube, das macht jetzt keinen Unterschied mehr.
Auf der anderen Straßenseite gibt es eine Cafeteria und wir setzen uns mit Kaffee (ich) und Kuchen (Pieps) an einen Tisch draußen in der Sonne. Die Maus verschlingt ihr 50 Kronen Tortenstück mit drei Bissen, bevor ich auch nur die Sahne in meinen Kaffee gerührt habe.
In Norwegen nützt man sich selbst am meisten, wenn man nicht ständig die Preise umrechnet, 50 Kronen sind 5 Euro sind fast zehn Mark!
Dafür aber soll das Stück angeblich sehr lecker gewesen sein.
Auf dem Weg weiter nach Westen wechseln wir immer wieder zwischen der Rv30 ohne jeden Verkehr und der Nebenstrecke mit noch deutlich weniger Verkehr. Dieser Teil Norwegens erscheint wie ausgestorben.
Die letzten 20 Kilometer bis zum Campingplatz sind reiner Schotter und pure Freude. In den Wäldern duftet es nach frisch geschlagenem Holz und der von einem Grader frisch gepflügte Schotter lässt das Fahren nicht langweilig werden. Eine tolle Endurostrecke ist das.
Frilsjøen Camping liegt malerisch an einem See. Sie vermieten ein paar Hütten und haben auch eine winzige Zeltwiese, gerade groß genug für unser Zelt. Ich muss eine Telefonnummer wählen, damit jemand kommt und die Miete kassiert.
Gleich nach mir rollen zwei Radwanderer auf den Platz, Franzosen, die den weiten Weg von Frankreich mit dem Fahrrad gekommen sind. Die Beiden sind ein wenig enttäuscht, als wir ihnen den einzigen schönen Zeltplatz vor der Nase wegschnappen, aber dann entscheiden sie sich für die Holzhütte neben uns und wir werden Nachbarn.
Das Pärchen aus Frankreich, irgendwo zwischen 40 und 50, breitet sich auf dem Picknicktisch aus, wie es nur Franzosen tun. Während ich auf Einkomponentenessen schwöre, breiten sie alle möglichen Dosen, Schachteln und Gefäße aus und fangen an zu schnippeln und zu kochen. In zehn Wochen werden Pieps und ich selbst nach Frankreich reisen und so komme ich mit unseren neuen Nachbarn schnell ins Gespräch.
Wir sprechen über Norwegen und seine Menschen und sind uns einig in unserer Wahrnehmung, dass Norweger weniger herzlich, sondern eher kühl und distanziert sind. Warum das so ist? Wir finden keine Erklärung. Es ist eben ein raues Land.
„Ich mach auch gerne Nudeln“, verkündet Pieps mit begehrlichem Blick auf das Essen der Franzosen, und ich weiß, dass es Zeit ist zu gehen, bevor eine gewisse Maus noch deutlicher wird.
Wir haben unser eigenes Abendessen. Es gibt Lachs, und auch wenn die leckere Haut fehlt, die sich so knusprig braten lässt, ist der Fisch ein wahrer Hochgenuss. Dazu gibt es - wie immer - nur Salz. Wir stopfen uns beide bis oben hin voll, bis nur noch der fettige Teller übrig ist.
Während ich versuche, mich auf mein Buch zu konzentrieren, ist Pieps bester Laune, weil sie, zumindest für den Moment, satt ist und noch nicht ins Bett muss.
„Wir sin' jetz' Flexetarier, näh?!“ „Wie kommst du denn auf den Unsinn?“ „Karo hat gesacht, ihr Bruder Dschasdin hat gesacht, Flexetarier is', wenn man immer nur zur Abwechslung ma' Fleisch isst. Wie wir.“ „Wie wir?" „Jaha!", verkündet Pieps und nickt eifrig. „Eima' gib's Lax, denn wieder Onktrikot, denn wieder Lax un' denn wieder von vorne. Flexetarier, näh?!“ Pieps strahlt über beide Backen. Wir sind eben ein Bildungshaushalt.
Das war ein seltsamer Tag. Zuerst Røros, das interessanter war, als ich vermutet hatte, dann die vielen Stunden ohne eine Menschenseele auf der Rv30 und der Nebenstrecke, und dann dieser seltsame Campingplatz am See, auf dem kein Mensch zu sehen ist, außer den beiden Franzosen.
Morgen fahren wir nach Sunndalsøra. Dort beginnt der Aursjøvegen, die legendäre Traumstraße zum Endurowandern.
Es sind noch gute 10 °C, als ich das Zelt zumache und wir uns in unseren Daunenschlafsack kuscheln. Ich mag nicht mehr lesen und selbst Pieps ist zu müde für ihr Pixiebuch mit dem Maulwurf. Wir müssen jetzt schlafen.