Inhaltsverzeichnis Dänemark Inselhopping 2023 Tag 1 Kiel - Haderslev Tag 2 Haderslev - Samsø Tag 3 Samsø Nordinsel Tag 4 Samsø Südinsel Tag 5+6 Samsø Der Rest Tag 7 Samsø - Møn Tage 8-11 Auf der Insel Møn Tag 12 Møn - Ærø Tag 13 Ærø Tag 14-15 Ærø und Heimreise
Along came Günther
Das war eine verblüffend feuchtkalte Nacht für Ende August. Umso mehr freuen wir uns auf das Frühstück, Pieps und ich. Um Punkt halb acht parke ich Greeny vorm Vandrerhjem. Die Morgensonne scheint aufs Haus und die Tür steht einladend offen.
Im Speisesaal sitzen erst fünf Leute. Ein kleiner Saal mit großen Tischen. „Go moan“, wünsche ich, das Landei, in den Raum, aber niemand fühlt sich so recht angesprochen. Ich komme mir ein bisschen doof vor, wie immer, wenn man grüßt und keiner zurück grüßt. Die Stille danach drückt. Einerlei, ich will mich ja nicht verloben, nur frühstücken.
Das Buffet ist wunderbar frisch und ansehnlich, wie es nach Pieps' erstem Besuch nie wieder sein wird. Ich stelle einen bunten Teller zusammen und trage die Beute zu einem Platz, wo wir den gesamten Raum im Blick haben. Und das Buffet.
Es rumort im Gang und herein kommt Familie Gänseklein: Mama, Papa, zwei Kinder, irgendwo zwischen 6 und 10 Jahre alt. Die Kinder, Gideon und Salome (sic!) sind fröhlich und aufgeweckt, die Mutter achtsam, der Vater erklärend, erläuternd, weiß alles. Ein Erklärbär.
Kennt ihr die Sorte Eltern, die mit den Kindern spricht und im Grunde das Publikum meint? „Seht her, wie modern und klug wir mit unseren Kindern umgehen!“
Ich kanns nicht leiden.
Klare Ansagen! Und wenn sie was wissen wollen, sollen sie ihren Lehrer fragen oder mit dem Smartphone auf TikTok gehen. Wofür haben sie die Dinger denn?!
Der Herbergsvater hatte mir noch einen Tipp für die Weiterfahrt gegeben, den Ort Christiansfeld. Der ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Mir sagt das nicht viel, außer dass es gewaltig klingt, aber ich nehme Gas weg und setze den Blinker rechts. Ich bin ganz froh, für eine Weile von der geraden Hauptstrecke runterzukommen.
Ich blubbere im zweiten Gang durch den Ort, schaue links, rechts, oben, unten, aber so recht kapiere ich nicht, wo das Kulturerbe ist.
Das konnte mir der Mann mit Dutt allerdings auch nicht genau erklären, nur dass es schön ist. Die Margeritenroute führt durch Christiansfeld.
Mir fällt bloß auf, dass Häuser und Straßen wie aus dem Ei gepellt sind. Da liegt kein Stück Papier auf der Straße, nicht mal Staub. Ich schieße pflichtschuldig ein paar Bilder und fahre zurück zur Rute 170.
Christiansfeld ist ein typischer Fall, wo ich erst zuhause recherchiere, was da los ist. Sonderlich spannend ist es nicht, keine Burg, kein Folterkeller, kein Verlies.
Solche Recherchen kann ebensogut Günther übernehmen. Günther ist eine KI und wird ab heute die langweiligen Routineaufgaben erledigen, alles wovon ich keine Ahnung habe, mir das Interesse fehlt, oder was sonstwie öde ist.
Auf meine Frage: „Wieso ist Christiansfeld Weltkulturerbe und was ist da das Besondere?“, antwortet Günther im geschliffenen Deutsch eines Buchhalters in Oberhemd und Pullunder:
„Christiansfeld wurde aufgrund seiner außerordentlich gut erhaltenen Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeinde, einer besonderen Religionsgemeinschaft in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Es ist weltweit die am besten erhaltene Siedlung der Glaubensgemeinschaft. Die Stadt zeugt von der Geschichte, den Traditionen und der Kultur der Herrnhuter Brüdergemeinde."
Der Text geht noch einige Absätze weiter, aber so genau will ich es auch nicht wissen, und klicke weg. Bloß nicht nachfragen, wer diese Brüder sind und was genau sie tun, das wäre eine Steilvorlage für Günther.
Die 170 nach Kolding verläuft wie mit dem Lineal gezogen schnurgerade nach Norden, aber das macht mir nichts aus. Greenys Einzylinder schnurrt gleichförmig dahin, während ich meinen Gedanken nachhänge und wie ein Lokführer nur alle paar Minuten den Totmannschalter bediene, indem ich kurz aus dem Helm gucke, ob wir noch richtig sind.
Sind wir: Imbiss voraus, Skipperkabyssen, Schifferkombüse.
Wir haben zwar gerade erst gefrühstückt, aber ich möchte eine kurze Pause einlegen. Die Fähre nach Samsø ist gebucht und wir haben noch mehr als genug Zeit bis zum Fähranleger.
Pølser - Lunt og lækkert, warm und lecker, heißt es am Tresen. Für mich nur einen Kaffee, aber Pieps möchte einen Fransk Hotdog. Das sind die, wo das Brötchen gelocht und mit Sauce und einem Würstchen gefüllt wird. Und mit Sennep, dänischem Senf.
Während ich Pieps dabei zusehe, wie sie sich hingebungsvoll von Kopf bis Fuß mit Senf beschmiert, fällt mein Blick auf die Picknick Garnitur. Made by Prisoners. Aarhus Arrest. Die Bank wurde im Knast gebaut.
Sowas gibts auch bei uns. Santa Fu, der Knast in Hamburg Fuhlsbüttel hat sogar einen eigenen Onlineshop. Tolle Idee und coole Artikel.
Die heutige Tagesetappe ist bloß 139 km lang, eigentlich sogar nur 118, weil wir 21 km auf der Fähre sitzen. Die Frau aus York wäre stolz auf uns. Ich rolle über eine Kuppe und vor uns liegt das Kattegat. Da hinten, wo die Masten zu sehen sind, liegt Hou. Dort legt die Fähre nach Samsø ab.
Der Aufstellplatz am Fähranleger liegt verlassen, als ich mit Greeny den Hügel hinunterrolle. Der Check-in kommt komplett ohne Personal aus. Man fährt in eine Box, die Kamera erfasst das Kennzeichen, man scannt seinen Ticketausdruck und der Automat erledigt den Rest. Funktioniert bloß nicht.
Ich drücke den Info-Button. Nach einer Weile meldet sich eine ungehaltene Stimme und ranzt mich an. Die Tipps, die sie für mich hat, weiß ich selber. Die stehen am Automaten. Ich schiebe Greeny vor und zurück, bis das Kennzeichen erkannt wird. Viele wissen es nicht, aber Motorräder haben vorne kein Kennzeichen.
Was ist bloß geworden aus:
„Moin. Einmal Samsø bitte mit Maus und Motorrad“ „Macht 16 Euro. Fahren sie vor auf Spur A. Gute Fahrt.“
Überall nur noch KI und Automaten.
Ich finde es spannend, im Hafen zu stehen und in die Richtung zu glotzen, aus der die Fähre kommen soll. Außerdem habe ich nichts anderes zu tun. Ich bin viel zu früh und hier ist noch keiner, dem ich ein Gespräch aufdrängen könnte.
Nachdem ich zig falsche Schiffe und Boote für die Fähre gehalten habe, läuft die Prinsesse Isabella pünktlich auf die Minute in den Hafen ein. Die Entladung läuft reibungslos wie ein Uhrwerk: Die große Bugklappe öffnet sich und sofort rollen die ersten Fahrzeuge an Land. Jedesmal, wenn einer auf die Rampe fährt macht es klonk. Die sollten da mal was unterlegen, einen Bierdeckel oder so.
Der Letzte ist gerade von Bord, da sind wir dran. Greeny darf als erstes Fahrzeug unter Deck rollen. Der Einweiser winkt uns zu einer Stelle am Bug, wo auch Fahrräder abgestellt werden. Das Deck bebt, als ein roter Scania Truck aufs Schiff fährt und neben uns zum Stehen kommt.
Nach einer Stunde verändert sich der Klang der Motoren, der Käpt'n nimmt Fahrt weg. Begleitet vom typischen hellen Singen der Hydraulikpumpen öffnet sich die Bugklappe. Vor uns liegt der Hafen von Sælvig.
Wie immer, wenn ich mit der Fähre irgendwo ankomme, rolle ich von Bord und schnurstracks aus dem Hafen, ohne mich ein einziges Mal umzusehen. Ankunftshäfen sind die vielleicht am wenigsten beachteten Orte der Welt. Außer, wenn ich von da wieder losfahre und zu früh am Anleger bin.
Die Insel ist erstaunlich hügelig. Damit hatte ich nicht gerechnet. Sie haben sogar einen richtigen Berg. Den sehen wir uns morgen an. Jetzt wollen wir erstmal zum Campingplatz fahren und das Zelt aufbauen. Das Camp liegt etwa 13 km entfernt an der Ostküste.
Unterwegs kommen wir durch Tranebjerg, den Hauptort der Insel. Da gibt es einen SuperBrugsen, meinen absoluten Lieblings Supermarkt, eine Art dänischer EDEKA. Die haben tolle Sachen. Ich kaufe zwei Entrecôtes und für morgen zum Frühstück etwas kalten Schweinebraten.
Unser Camp für die Insel ist Ballen Strandcamping. Ich stiefele in die Rezeption und melde uns an. Wir bleiben fünf Tage auf Samsø, aber hier buche ich erstmal nur zwei Nächte, falls mir das Camp doch nicht gefällt.
Wie jeder dänische Campingplatz, hat auch dieser einen Brötchenservice. Man muss vorbestellen und kann sie am nächsten Morgen abholen. Ich bestelle zwei Mohn und soll meinen Namen auf einen Zettel schreiben. Sorgfältig schreibe ich Svenja Kühnke, Vor- und Zunamen.
„Das ist sehr gut. Momentan sind so viele Svenjas auf dem Platz.“ „Echt?“, frage ich ungläubig.
Diesmal haben die Dänen mich verarscht. Ich bin wirklich leichtgläubig. Die Männer am Tresen lachen sich schlapp über mich.
Ich brauche lange, bis ich einen guten Platz für unser Zelt gefunden habe. Man darf direkt auf dem Strand zelten, aber das ist nur im Film romantisch. Im richtigen Leben ist die Brandung irre laut, es gibt keinen Schatten und der Sand ist nach einer Weile buchstäblich überall.
Für jeden Tag habe ich eine andere Tour zur Erforschung der Insel geplant. Morgen steht "Tagestour 1, Nordby, Ballebjerg" im Reiseplan. Und an jedem einzelnen Tag steht auch einmal SuperBrugsen drin.
In unserer nagelneuen Trangia Non-stick Pfanne werden die Steaks erstklassig: Braun, aber nicht verbrannt, durchgebraten, aber nicht zäh, fett, aber nicht mager.
Und ihr müsst nun leider nach Hause gehen. Wir essen jetzt