Inhaltsverzeichnis Dänemark Inselhopping 2023 Tag 1 Kiel - Haderslev Tag 2 Haderslev - Samsø Tag 3 Samsø Nordinsel Tag 4 Samsø Südinsel Tag 5+6 Samsø Der Rest Tag 7 Samsø - Møn Tage 8-11 Auf der Insel Møn Tag 12 Møn - Ærø Tag 13 Ærø Tag 14-15 Ærø und Heimreise
Von Samsø nach Møn
Der Mond steht klar am Himmel und sieht zu, wie ich das Zelt abbaue. Wie Pieps rührt auch er keinen Finger, doch wenigstens tut er es schweigend und gibt nicht noch kluge Ratschläge.
Wir sind viel zu früh für die Fähre, aber ich möchte vorher in Ballen noch Kaffee trinken. Ich starte den Motor und tuckere durchs Camp zur Straße. Vielleicht finden wir am Hafen einen Laden, der schon auf hat.
Beim Købmand im Yachthafen ist schon Betrieb. Der kleine DagliBrugsen ist eine Miniaturausgabe unseres SuperBrugsen. Kolonialvarer og varm Kaffe, steht an der Scheibe. Warm, nicht heiß und mit nur einem "e".
So einen will ich.
Es ist Samstagmorgen und am Tresen stehen schon einige an für Kaffee und Brötchen, vermutlich Segler, deren Boote im Hafen liegen. Jedenfalls tragen sie Bootsschuhe ohne Socken. Wer sonst würde das tun?
Als ich dran bin, bestelle ich mir Kaffee und für Pieps ein Mohnbrötchen aus Blätterteig, das fett mit Marzipan gefüllt ist. Wir tragen unsere Beute zum Havnekontor, dem Büro des Hafenmeisters. Davor steht eine Bank, von der wir die Segelboote im Yachthafen beobachten können, während wir in der Morgensonne sitzen und frühstücken.
Von hier sind es 2 km bis zum Fähranleger. Ich fahre in die Check-in Box, ein Automat scannt unser Kennzeichen und die Schranke fährt hoch. Ich fahre rasch durch, weil ich immer befürchte, dass mir eine Schranke mal plötzlich auf den Helm knallen könnte: „Writebehind_DATA. ERROR_LOST file_0x00000254. Windows was unable to save all data for file %ms_$hs. Gate closed“. Rumms!
Hinter der Schranke liegt der frisch asphaltierte Aufstellplatz mit 14 Spuren. Auf dem Ticket steht, wir sollen uns in Lane 1 aufstellen. Greeny steht als erste und einzige völlig allein auf dem riesigen Platz.
Bis die Fähre rüber nach Seeland kommt, müssen wir noch zwei Stunden Wartezeit rumbringen. Das ist die Gelegenheit, endlich einmal in Ruhe die Film Simulation der Fuji Kamera auszuprobieren. Damit sollen Aufnahmen wirken wie früher aus dem Fotogeschäft:
„Moin. Entwickeln und je ein Abzug 9 x 13, bitte“ „Matt oder glänzend?“ „Matt. Bei den anderen sieht man die Fingerabdrücke so.“ „Ja, das stimmt leider“, sagt der Fotomann und lacht pflichtschuldig. Er steckt die Filmpatrone in eine Tüte, trennt den Abholschein ab und schiebt ihn mir über den Tresen:
„Bis Dienstag sollten die fertig sein“.
Ich verstaue den schmalen Zettel sorgfältig in meinem Portemonnaie:
„Ok, tschüss. Bis Dienstag.“
Als in den 80ern die ersten Digitalkameras erschienen, war ich überzeugt, dass die Qualität niemals an eine gute Spiegelreflex mit Film heranreichen würde. Inzwischen bin ich nicht mehr so sicher
Während ich ein Selfie nach dem anderen schieße, die ursprünglich einmal Aufnahmen mit Selbstauslöser hießen, hat sich die Fähre unbemerkt ins Hafenbecken geschoben. Ich eile zu Greeny und mache uns startklar.
Der Lademeister in seiner neongelben High-visibility Jacke stiefelt zu mir herüber: „Du fährst zuerst“, sagt er und zeigt auf die Stelle vor der Rampe, wo ich mich aufstellen soll. Sowie das letzte Auto von Bord ist, lasse ich die Kupplung kommen. Das Erlebnis, mit dem Motorrad auf ein Schiff zu fahren, ist großartig. Ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer.
Es ist, als würde man mit dem Motorrad in eine leere Turnhalle einfahren.
Ich parke vorne links, da, wo bei uns die Matten fürs Bodenturnen lagen, und gehe zum nächstgelegenen Schott, wie die schweren Schiebetüren unter Deck genannt werden.
Aufgang grün, Deck 2, steht dran. „Merk dir das bloß“, schärfe ich mir ein. Selbst eine Fähre mit nur drei Decks ist groß genug, um mit hochrotem Kopf nach dem eigenen Motorrad zu suchen, während alle anderen schon ins Freie rollen.
„Ist dir sowas schon mal passiert?“ „Seh' ich etwa so aus? 'türlich nicht!“, lüge ich.
Dabei denke ich hochnotpeinlich zurück an die Fähre nach Litauen, wo ich beim Anlegen in Klaipeda Greeny nicht wiederfinden konnte. Meine Güte, war das peinlich, wie ich mit knallrotem Kopf schwitzend von Deck zu Deck gehastet bin auf der Suche nach einer grünen KLX mit Kieler Kennzeichen.
Damals hat mein Selbstbild der coolen Reisequeen einen tiefen Riss bekommen, weshalb ich es damals auch komplett unterschlagen habe.
Im Reisebericht steht kein Wort davon.
Nach 80 Minuten legen wir auf der Insel Seeland an. Das ist die Insel, auf der auch Kopenhagen liegt. Kaum von Bord gerollt, lenke ich Greeny auf die Rute 22 nach Vordingborg. Die Straße ist öde und führt stur geradeaus mit jeder Menge nichts zu sehen links und rechts, aber es ist nun einmal der beste und schnellste Weg nach Møn.
Ich halte den Lenker und rolle mit 80 km/h genüsslich durch Dänemark. Ein glücklicher Tag, besser könnte er nicht sein, und gerade deshalb beschleichen mich trübe Gedanken: Alles ist momentan so schön und im Grunde sogar perfekt, dass es nur schlechter werden kann: Das Wetter, die Gesundheit, das Leben, ja, selbst Greenys Zustand. Sonniger als sonnig geht nicht, gesünder als gesund auch nicht und selbst Greenys Steuerkettenspanner und die Einstellung der Ventile können nicht neuer sein als neu. Wenn etwas nicht besser werden kann, was kann es dann werden?
Geht es vom Gipfel wirklich nur in eine Richtung, oder mache ich da einen Denkfehler und das Bild mit dem Gipfel ist schlicht falsch?
„Pöh!“, denke ich, „Wir bleiben einfach oben, Pieps und ich.“
Oder, wie Claudia sagen würde: „Heute den Truthahn und morgen die Federn.“
Der Hinweis Møn 5 km und das kleine Schild mit der Margerite drauf lassen die trüben Gedanken im Nu verschwinden. Was ist das nur, dass ich beim Motorradfahren auf eintönigen Strecken mitunter so ins Grübeln komme? Ist das die berüchtigte Fear of Happiness?
In der Ferne ist die Mønbroen, die Mønbrücke zu sehen. Eigentlich heißt sie Dronning Alexandrines Bro, Königin-Alexandrine-Brücke, aber so viel Zeit hat kein Mensch. Ein Bild der Brücke ziert die 500-Kronen-Scheine. Nicht, dass ich so einen je zu Gesicht kriegen würde.
In Stege, der Inselhauptstadt von Møn biege ich vor der Hafenbrücke ab zu „unserem“ SuperBrugsen. Nanu? Der heißt jetzt Coop? Wo ist mein SuperBrugsen?
„Die haben umstrukturiert. Der Laden ist aber so geblieben“, sagt eine Dänin, die meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt, als ich vor dem Eingang stehe und mit in Falten gelegter Stirn das neue Schild betrachte.
Tatsächlich ist der Laden sonst unverändert. Ich schnappe mir einen Korb und stiefele zielstrebig zum Fleischtresen. Heute soll es Entrecôte geben mit Sauce Bernaise.
Von Stege fahren wir raus zum Møns Klint Camping Resort, wo wir für die nächsten Tage ein Lager aufschlagen werden.
Seit Monaten freue ich mich auf unseren geheimen Lieblingsplatz an der Rückseite vom Schwimmbad, wo wegen des typischen Freibad-Gekreisches sonst nie einer stehen will, aber durch Pieps bin ich einiges gewohnt, oder, wie mein Papa gesagt hätte: „...im Pulverdampf ergraut“.
Voller Vorfreude fahre ich den Weg zum Schwimmbad runter. Von hier aus kann ich unseren Platz schon sehen. Aber leider steht da diesmal schon einer, ein VW T4 mit Klappdach und Vorzelt.
Mit Schwung heize ich über die Wiese und halte mit tief eintauchender Gabel dicht vor dem Bully. Ein Mann und eine Frau, zwei alt gewordene Hippies sehen mich erstaunt an.
„Ihr werdet es hassen, aber genau hier baue ich jetzt mein Zelt auf. Das ist mein Platz“, sage ich und zeige auf einen Flecken Grün wenige Meter vor ihrem Bus.
Die Vanlifer heucheln Verständnis und lassen mich gewähren, aber der Beginn einer wunderbaren Freundschaft wird das nicht mehr, zumal Pieps später entdeckt, dass die auch noch Salatesser sind, aber das darf man heute ja keinem mehr vorwerfen.
Glücklich und zufrieden parke ich Greeny an der Hecke zum Schwimmbad und stelle das Zelt auf. Von hier habe ich die tolle Aussicht aufs Camp und Pieps kann sehen, wann der Eisladen aufmacht. Wir sind solche Spießer.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich den Beiden die Aussicht zustelle, aber gegen Abend sind wir schon wieder ganz verträglich miteinander und tauschen uns über unsere Pläne und Erlebnisse aus.
Das war ein reiner Fahrtag, und bis auf die Fährüberfahrt auch ein wenig langweilig, aber so sind Reisen eben, nicht jeden Tag gibt es eine neue Sensation, auch wenn die widerrechtliche Besetzung „unseres“ Platzes schon nahe dran war.
„Moment Hört ihr das? Ich glaube, ihr werdet gerufen. Na, macht nichts, wir wollen sowie jetzt essen. Tschüss bis morgen. Pieps, kommst du?“