Inhaltsverzeichnis Dalarna 2024 Tag 1 Kiel - Oslo Tag 2 Oslo - Schweden Tag 3 Värmland - Dalarna Tag 4 Vansbro und ein Knytkalas Tag 5 Nås - Näs Bruk Tag 6 Avesta Tag 7 Tällberg am Siljansee Tag 8 Outback Dalarna Tag 9 Fäbod Fryksås
Dalahästar
Es ist ein prächtiger Morgen.
Noch etwas verschlafen sitze ich mit dem ersten Becher Kaffee im offenen Zelt, als Nico, der Campchef auf die Wiese geradelt kommt, im Fahrradkorb eine Tüte frischer Croissants.
Ich frage ihn, wie es zu diesem außergewöhnlichen Service kommt.
(Er spricht Englisch, aber hier ist, was ich verstanden habe:)
„Wir backen die selbst. Zuerst haben wir gesagt, frische Brötchen ab 8 Uhr, da standen die ersten schon um 7 vor der Tür und wollten ihre Brötchen holen, die letzten um 12. Dazwischen konnte ich nie weg. Jetzt liefer ich die selbst mit dem Fahrrad aus und bin fertig damit.“
Solch einen super Service habe ich bisher nur im Camp Malliß erlebt, als wir den TET Deutschland gefahren sind. Dort wurden die Brötchen mit der Schubkarre ausgeliefert und im ersten Dämmerlicht heimlich, still und leise ans Zelt gehängt. Das war auch sagenhaft, wenn man morgens das Zelt aufmacht und die Brötchen sind schon da.
Pieps und ich sitzen zufrieden bei unseren Croissants, krümeln das Bett mit Blätterteig voll und glotzen auf den Dalälven, als ein Radlader auf die Badestelle brummt. Der Badesteg wird heute zu Wasser gelassen.
Konzentriert machen sich die Blaumänner an die Arbeit. Der Radlader nimmt die einzelnen Elemente auf, jedes von der Größe meines Smart, und setzt sie behutsam ins Wasser, wo Arbeiter in Wathosen sie nehmen und zusammenschrauben. Mühelos rollt der schwere Radlader ins Wasser. Hätte ich keine Enduro, würde ich einen Radlader fahren.
Wir sehen eine Weile fasziniert zu und starten dann in unseren Tag.
Ich habe einen Ausflug nach Avesta geplant, wo wir das große Dalapferd bestaunen wollen, das Wahrzeichen Dalarnas.
Wir sind dort schon einmal gewesen, aber das ist nun zehn Jahre her und damals brauchte es dringend einen neuen Anstrich. Bei sonnigen 25 °C düsen wir los, soviel zu der erwarteten Maikälte in Dalarna. Der warme Daunenschlafsack und die Merinowäsche sind auf dieser Reise bis jetzt nur unnötiger Ballast.
Schon von weitem ist das leuchtend rote Pferd zu sehen. Es steht inmitten eines Gewerbegebiets auf dem Parkplatz vor Burger King, umgeben von Supermärkten und Möbelgeschäften. Kein schöner Platz für eine solche Sehenswürdigkeit, auch wenn man es dafür schon von der Überholspur des Riksväg 70 aus sehen kann.
Mit Schwung rausche ich über den Parkplatz von Burger King und parke direkt unterm Bauch des Pferdes, wie schon vor zehn Jahren mit Greeny.
Sie haben es neu lackiert! Welch ein Unterschied.
Jetzt strahlt es wieder und ich knipse aus allen Rohren.
Schön sieht das aus.
Diese Dalarnapferde, Dalahästar werden seit 1928 in Nusnäs hergestellt in der Werkstatt von Nils Olsson.
Jedes Einzelne von Hand geschnitzt und bemalt, jedes eine eigene Persönlichkeit. Unterm Bauch stehen die Initialen des jeweiligen Künstlers, der es gemacht hat.
Ich erinnere mich, dass ich hier mal ein Pferdchen als Souvenir für Claudia besorgt habe. Diesmal möchte ich eines für mich kaufen und in die Vitrine zu meinen Reiseerinnerungen stellen.
Der Andenkenshop ist ein wenig surreal, denn der Glasschrank mit den Souvenirs steht inmitten einer Großkantine, wo ansonsten Tabletts über den Edelstahl geschoben und Teller mit Köttbullar und Preiselbeerkompott über den Tresen gehen.
Ich sage Bescheid, dass ich nicht Fleischbällchen will, sondern ein Andenken aus der Glasvitrine. Eine Küchenhilfe schließt den Schrank für mich auf, darin eine ganze Reiterarmee von Dalapferden aller Größen. Jedes ein wenig anders, jedes eine eigene Persönlichkeit.
„I'm sorry, but they all are so beautiful. Just can't decide which one "„Take your Time“, erwidert sie.
Sie ist sehr freundlich und äußerst geduldig, denn ich kann mich anfangs partout nicht entscheiden.
Vielleicht ist es ihr aber bloß lieber, einmal Souvenirs zu verkaufen, anstatt ständig bloß Klopse mit Marmelade über den Tresen zu schieben.
Schließlich fällt die Wahl auf eines der Mittelgroßen in Rot, diese Zuchtlinie erscheint mir am typischsten, obwohl ich die blauen und weißen Pferdchen auch gerne leiden mag.
Dazu nehme ich eines von den kleinen Roten und ein Dalahäst als Kühlschrankmagnet für Pieps geliebten Kühli.
Am Ende des Tresens, da wo der Korb mit Besteck und die Tütchen mit Salz liegen, bezahle ich die Souvenirs und nehme dazu ein Smörgås mit Garnelen, Mayonnaise und Kaviar. Pieps ist verrückt nach den reichhaltig belegten skandinavischen Sandwiches, und ich mag die auch.
Auf dem Rückweg mache ich einen Schlenker zum Koppardalen, einer ehemaligen Kupfer- und später Eisenhütte. Das Industriedenkmal ist heute ein Ort für Kunstausstellungen. Ich mache ein Foto für den Reisebericht, weil ich das Gebäude sehenswert finde, aber mehr gibt es für mich nicht her und wir fahren zurück ins Camp.
Kurz vorm Camp steht ein verlassenes Gebäude, das denselben Namen trägt, Falkudden. War das ein Hotel, ein Restaurant? Jedenfalls steht es heute leer. In ländlichen Dalarna sind die Anzeichen eines gewissen Niedergangs kaum zu übersehen.
Das gesamte Län wirkt renovierungsbedürftig, wie eine Wohnung, die dringend neue Fenster und Tapeten braucht. Ob mein Eindruck stimmt, weiß ich nicht, dazu müsste man die Wirtschaftsdaten und Statistiken kennen.
Was ich aber weiß ist, dass ich Dalarna mag und mich hier wohlfühle, gerade weil es hier so ist.
Zurst wollte ich hinschreiben: „Der Tourismus geht, Svenja und Pieps kommen“, aber für einen lockeren Spruch ist der Gedanke zu schade:
Mir gefällt es wirklich besonders da gut, wo der Tourismus oben auf der Hauptstraße vorbeifährt, ohne vom Gas zu gehen oder auch nur aus dem Fenster zu gucken. Das habe ich auch in der Auvergne und in Masuren so empfunden.
Natürlich ist es auch dort schön, wo der Tourismus brummt, wo Eisbuden und Sonnenschirme stehen, weil es etwas zu sehen gibt, wofür die Leute von weither anreisen, wie zum Mont Saint Michel in der Bretagne oder dem Giant's Causeway in Irland.
Mir liegen die B-Ziele, wo Reisebusse nicht halten und es vielleicht nicht einmal einen Eintrag im Reiseführer gibt. Gerade an solchen Orten finde ich meine Ruhe, mache Bilder, notiere mir Einzelheiten und sehe mitunter Unerwartetes, wie den Hühnerhändler in Veliuona. Nichts, um aufgeregt nach Hause zu telefonieren, aber für mich interessant und sehenswert.
Meine geliebten B-Ziele haben aber einen ganz fetten Nachteil: Wenn das Wetter nicht mitspielt bist du angeshicen: Man steht mit'm nassen Hut im Wald und der Regen tropft aufs Gemüt. Wenn dir das in Finnland passiert, bist du erledigt, das muss man erstmal aushalten können. Bei Sonnenschein ein Vergnügen, Motorradfahren, Rentiere sehen, die Einsamkeit genießen, aber bei Dauerregen kein Spaß mehr. Dazu empfehle ich den Bericht Unendliche Wälder im Regen.
Zwei Minuten später parke ich die Enduro am Fahrradständer vor dem Badeplatz.
Die Arbeiter sind gerade mit den letzten Handgriffen für den Steg beschäftigt, der Radlader ist schon fort.
Pieps wirft sich schnurstracks in ihren pinken Bikini, um endlich Köpper zu üben, jenen sagenumwobenen Kopfsprung, der bisher aus verschiedenen Gründen stets im letzten Moment vertagt werde musste, von „Ich muss doch noch ma'“ bis: „Da sin' Füsche drin.“ Irgendetwas war immer, doch heute ist der große Tag, heute wird es endlich geschehen.
Pieps ist bereit, der Schwimmsteg ist fertig. Einer der Arbeiter räumt schon das Werkzeug weg, während ein anderer noch einmal hinaus auf den Steg geht und als letzte Handlung was tut?
Er stellt ein Schild hin: „Angeln und Kopfsprünge verboten", rüttelt prüfend an dem Pfahl, nickt zufrieden, geht zum Transporter, in dem die anderen bereits warten, steigt ein und sie fahren davon.
Pieps, die im Übrigen sonst einen Shice auf Ge- und Verbote aller Art gibt, zeigt sich tief betrübt: „Immer da'f ich alles nie!“
Im Anschluss an ihr Schwimm- und Köppertraining hat die Maus Hunger.
An der Rezeption gibt es eine eine kleine, feine Auswahl holländischer Spezialitäten, darunter Frikandel, Kroket und Carlsberg.
Ich liebe diese lecker gefüllten Rindfleischkroketten, feinstes Fast Food im besten Sinne, und als von der ersten Portion bloß noch fettige Pappe übrig ist, bestelle ich dasselbe gleich noch einmal. Nichts macht so hungrig wie ein Badetag am See.
Nicht, dass die Maus auch nur einen Tropfen Wasser abbekommen hätte, aber
das bloße Tragen von Badebekleidung allein macht schon hungrig, und die Angeberei hat sie schlicht von der Mama geerbt.
Welch eine außergewöhnliche Motorradreise durch Schweden. Morgen sind wir eine Woche unterwegs und haben noch keinen Tropfen Regen abgekriegt, nicht einmal Morgentau. Zum ersten Mal liegt eine feine Staubschicht auf unserem Zelt. In Schweden!
Ist denn auf gar nichts mehr Verlass?