Vom Göta-Kanal zum Vättersee
Eine Frau zu sein, das heißt für mich auch, Miniröcke und schöne Schuhe zu tragen, exotische Cocktails zu trinken und absolut jeden Tag den allertollsten Spaß zu haben.
Stattdessen stehe ich hier total shice angezogen in Motorradklamotten und muss diesen blöden Fußboden feudeln.
Die Welt ist total ungerecht, wenn man eine Frau ist. Irgendwie hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt, als ich damals rübergemacht habe.
Doch schließlich ist auch dieser Boden gefeudelt, die Hütte aufgeräumt und die Tische gewischt. Wir können aufbrechen. Während wir unsere Regenkombis anziehen, beglückwünsche ich mich im Stillen dazu, eine Hütte genommen zu haben, denn es hat die ganze Nacht geregnet und ein Ende ist nicht in Sicht.
Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir Kisa. Die Stadt sieht auf der Karte gerade groß genug aus, um dort ein Frühstück zu bekommen, aber ganz so einfach ist das hier nicht. Wir halten Ausschau nach einer Bäckerei, wo die Handwerker Kaffee und frische Brötchen frühstücken, während ihre Transporter draußen im Halteverbot stehen. Aber diese Außer-Haus-Ess-Kultur, wie wir sie aus Deutschland kennen, findet sich in Schweden kaum.
Inzwischen gießt es wie aus Kübeln und wir suchen Schutz unter dem Dach einer Tankstelle mitten in Kisa. Wie zwei tropfende Tiefseemonster betreten wir in unseren Regenkombis den Verkaufsraum der Tankstelle. Volker kauft eine Dose Kettenspray, weil sein Kettenöler inzwischen restlos leer ist.
Ich frage, wo wir in Kisa frühstücken können, aber an dem ratlosen Gesicht der Bedienung sehe ich, dass mein Wunsch ein ungewöhnlicher ist. Wieso sollte jemand woanders als zuhause frühstücken wollen? Schließlich fällt ihr aber doch eine Konditorei in der Nähe ein.
Wir lassen die Motorräder auf der Tankstelle zurück und gehen zu Fuß in unseren Regenkombis durch Kisa. "Richts Konditori" ist eine richtig nette Konditorei mit Café. Wir ziehen die nassen Kombis aus und gehen durch eine hübsche Glastür ins Café.
Neben einer Auswahl von Kuchen und Torten gibt es auch einige belegte Brötchen. Aber was ist das? Die Brötchen liegen nicht frisch und knusprig auf kleinen Tabletts, sondern jedes einzelne wurde fein säuberlich, hygienisch und luftdicht, in Cellophanfolie eingewickelt. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie lappig und pappig diese ansonsten appetitlich belegten Brötchen sind. Knusperfaktor Null. Halbwegs gesättigt machen wir uns wieder auf den Weg. Heute wollen wir uns in Berg die Schleusentreppe des Götakanals ansehen. Es regnet noch immer, aber zugleich ist es drückend warm, so dass wir bei jeder Pause die Regenkombi halb ausziehen und uns ihre Ärmel um die Hüften schlingen. In Boxholm, einer Kleinstadt mit 3000 Bewohnern, halten wir vor einem Coop Konsum und erledigen den typischen Standardeinkauf: Fleisch, Bier und etwas zum Naschen.
In der Kühlabteilung mache ich mich auf die Suche nach Coleslaw, den ich in England kennengelernt und in Deutschland sehr vermisst habe, einen Salat aus Kohl, Zwiebeln und Möhren in Majonnaise. Schmeckt göttlich zu gebratenem Fleisch.
Nun habe ich Schweden bisher nicht gerade als Land kulinarischer Genüsse wahrgenommen. Die Supermärkte bieten überwiegend Convenience Food, ihre Fleischabteilungen sind geradezu erbärmlich und Metzgereien gibt es überhaupt nicht.
Alles, aber auch wirklich alles, vom Brot bis zum Schnitzel, kommt in Plastik verpackt aus dem Supermarkt.
Der Gipfel der Kochkunst ist mit den Kötbullar von IKEA am Westring in Kiel bereits erreicht. Doch diesmal habe ich Glück und entdecke ein kleines Töpfchen mit Coleslaw, das ich zufrieden in den Einkaufskorb lege, den Volker tragen muss. Vor dem Supermarkt ziehen wir endlich die Regenkombis aus. Wenn ich das Foto aus der Kühlabteilung sehe, frage ich mich sowieso, warum wir in Regenkombis einkaufen waren. Egal, jetzt ist es erstmal trocken und wir ziehen die Motorradklamotten aus, denn es ist schwülwarm an diesem Septembertag in Schweden. Sechzig Kilometer weiter erreichen wir Berg, einen winzigen Ort, der seine Bekanntheit einer Schleusentreppe verdankt, über die der Götakanal in den Roxen führt. Dieses Highlight möchte ich mir unbedingt ansehen. Vor einigen Monaten erst habe ich in Schottland einen ganzen Tag damit verbracht, den Booten in Fort Augustus zuzuschauen, wie sie vom Caledonian Canal ins Loch Ness geschleust werden.
Ich kann stundenlang zusehen, wie die Schiffe Stufe um Stufe zurücklegen: Tor auf, Schiff rein, Tor zu, Wasser einpumpen, oder ablassen, Tor auf, Schiff raus, rein in die nächste Schleuse und das Ganze von vorne, solange bis sich das letzte Tor öffnet und die Boote freie Fahrt in einen See oder Kanal haben. Die Schleusentreppe in Berg ist besonders schön, aber leider haben wir Pech, denn sie ist nicht in Betrieb. Weit und breit ist kein einziges Wasserfahrzeug in Sicht und auch der Schleusenwärter lässt sich nicht blicken. Schade.
An der unteren Schleuse liegt eine Jugendherberge, wo Kaffee und Kuchen verkauft werden. Ich bestelle zwei Becher Kaffee und zwei winzige Stückchen Kuchen. "86 Kronen.", lächelt der Typ am Tresen mich selbstbewusst an. Das sind 9,40 €! Ich bin so geschockt, dass ich ohne zu protestieren bezahle. Der Kaffee und das Gebäck schmecken erstklassig, aber der Preis ist eine absolute Frechheit.
In meinem ersten Leben hätte ich mich ganz sicher um Ausgleich bemüht, indem ich später mit der KLX die Abkürzung durch dieses dämliche Blumenbeet vor der Herberge genommen, um ein bisschen Erde ans Küchenfenster gefräst hätte. Stattdessen ärgere ich mich nur. Manchmal, ganz manchmal vermisse ich solche Aktionen... Am späten Nachmittag erreichen wir den Vättern, der mit 135 km Länge der zweitgrößte See Schwedens ist. Hier gibt es einen Campingplatz, der auf uns aber einen verlassenen Eindruck macht. Es ist September und die Saison damit vorbei. Während Volker und ich mit laufenden Motoren am Eingang stehen, kommt eine ältere Dame aus einem der großen Wohnwagen zu uns herüber. Mit ihrem Mann verwaltet sie Harge Bad und Camping und führt uns herum. Es ist stürmisch und der Himmel schwer zu lesen. Sollen wir zelten? Den Ausschlag gibt schließlich eine große, gemütlich eingerichtete Stugå, die wir für 300 Kronen die Nacht bekommen können. Das sind nur 32 € geteilt durch zwei. Wir nehmen die Hütte. Neben unserer Stugå steht das Veranstaltungshaus mit Bänken, Tischen und einer kleinen Bühne. Ich darf das Motorrad hineinstellen und breite dort auch gleich meinen Schlafsack zum Lüften aus, während Volker auf dem Rasen sein Zelt trockenlegt, in dem noch immer jede Menge liquid Sunhine aus Hätteboda steckt. Nachdem alle Ketten geschmiert, Schlafsäcke gelüftet und Zelte trockengelegt sind, machen wir uns ans Abendessen, das für mich auf Reisen der krönende Abschluss des Tages ist. Wir bauen die Küche im Veranstaltungshaus auf, aber dort pfeift dermaßen der Wind durch, das es fast die Sachen vom Tisch weht. Wir verziehen uns daher hinter unsere Stugå, die gerade genügend Windschutz bietet, um darin braten zu können. Das Fleisch ist erneut eine Entäuschung. Es schmeckt einfach nicht und ich habe inzwischen den Verdacht, dass es billigste Fabrikware aus der Großschlachterei ist. Die Ausgabe für Steak kann man sich hier wirklich sparen. Dafür sind das Coleslaw und die Sauce Bernaise, in der ich das Fleisch ertränke, ganz lecker und das Bier schmeckt eigentlich auch, aber es ist zu kalt, um ein kühles Bier richtig zu genießen. Den letzten Bissen kauend nehmen wir unsere Sachen und gehen abwaschen. Ich bin froh, als ich endlich in der warmen Hütte sitze und in Ruhe in mein Moleskine schreiben kann. Volker geht solange spazieren und sieht sich den Vättersee an. Wir sitzen noch eine Weile am Tisch und genießen im Schein einer kleinen Lampe die Behaglichkeit der Stugå. Während Volker sich mit seinem Navi beschäftigt, schreibe ich die letzten Zeilen in mein Tagebuch und verziehe mich früh in mein Bett.
Gute Nacht und bis morgen, Welt...
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