Alte Steine und ein Weltuntergang
Welcher Dödel hat bloß die Klimaanlage ausgestellt? Es ist drückend warm in der engen Kabine, als mein Handy uns um kurz nach fünf mit einem schmissigen Sound unbarmherzig aus dem Tiefschlaf reißt. Ich könnte das Biest an die Wand werfen.
Während ich noch darüber nachdenke, ob ich überhaupt schon geschlafen habe, steigt Volker bereits frisch geduscht in seine Motorradsachen. Jetzt aber schnell.Zum Glück hat mein MakeUp die Nacht prima überstanden und ich brauche nur zwei kleine Stellen auszubessern, die ich beim Schlafen ins Kissen geschmiert habe.
Das Frühstücksbuffet ist eine Klasse für sich. Für 7 € gibt es unbegrenzten Zutritt zum großen FrissDichZuTode Buffet der Trucker. Um uns herum sitzen viele russische Lastwagenfahrer und nur ein, oder zwei Familien.
Es ist erst 05:45 Uhr und ich habe so früh noch keinen rechten Hunger. Lustlos stelle ich mir einen kleinen bunten Teller aus Rührei, gebratenem Speck, Schweinebraten, Pute und etwas Räucherfisch zusammen, während Volker sogar Frikadellen auf seine Portion häuft. Manche Menschen sind einfach maßlos... Aus irgendwelchen Gründen dürfen Motorradfahrer zwar immer als Erste aufs Schiff, werden dafür aber erst ganz zum Schluss hinter dem letzten rumänischen Schwerlaster an Land gelassen. Ich entdecke eine geniale Abkürzung, aber so eine magere Else lässt bis zum Schluß die Autotür offen, so dass uns dieser Weg versperrt bleibt und wir hinter einem 40-Tonner mit Kennzeichen aus Somalia herschleichen. Wir haben kaum festen Boden unter den Rädern, als es auch schon zu regnen beginnt. Noch im Hafengebiet von Malmø fahren wir auf eine Statoil Tankstelle, füllen Benzin nach und ziehen unter dem Schutz des großen Daches die Regenkombis an. Es ist ein ungewöhnlich schwülwarmer Tag während wir über kleine Nebenstraßen in Richtung Ystad fahren. Die Stadt ist auch deshalb so bekannt, weil mein Kollege Kurt Wallander dort seine Untersuchungen durchführt. Wir lassen Ystad rechts liegen und fahren an der Küste weiter nach Kåseberga, wo Volker sich das berühmte Ales Stenar ansehen möchte, das sich am besten als eine Art skandinavisches Stonehenge beschreiben lässt.
Als ich auf dem großen Besucherparkplatz das Schild mit den Hinweis "Ales Stenar 700m" entdecke, hätte ich misstrauisch werden sollen, aber jung und naiv, wie ich nun einmal bin, verspreche ich Volker stattdessen: "Klar komme ich mit."
Wir haben kaum den halben Weg zurückgelegt, als ich meine Entscheidung schon bereue. Unter der Thermowäsche, den dicken Endurosachen mit Goretex und der luftdichten Regenkombi schwitze ich wie in einer Sauna. Volker ist inzwischen schon hundert Meter voraus, während ich fluchend wie ein Rohrspatz hinter ihm her stolpere. Wozu hat man überhaupt eine Enduro, wenn man die blöden Sandwege dann doch zu Fuß hochlatschen muss?!
Hätte ich mich bloß an mein Motto gehalten: Wo Svenja nicht hinfahren darf, das besichtigt sie auch nicht. Die Fleischabteilung im Supermarkt mal ausgenommen... Eine halbe Stunde später stehen wir wieder bei unseren Motorrädern und es regnet. Die Hinkelsteine waren fast ebenso interessant wie der Hadrianswall in England. Eine Attraktion von der man nie genug kriegen kann... Wir fahren weiter und ich muss bald tanken. In Schweden eine Tankstelle zu finden, ist kein Problem. In fast jedem kleinen Dorf findet man eine. Jedoch eine Tankstelle zu finden, an der ich auch bezahlen kann, das ist schon schwerer, denn Bargeld ist in Schweden ziemlich aus der Mode gekommen und das nicht nur an den zahlreichen Automatentankstellen, die ganz ohne Personal betrieben werden.
Selbst an manchen Servicestationen mit Personal und Kassenhäuschen muss man draußen am Automaten mit Karte bezahlen. Lediglich Motoröl, Chips, Cola und was es sonst noch so gibt, können bar an der Kasse bezahlt werden. An der ersten Tanke werde ich abgewiesen, weil nur Kartenzahlung möglich ist. An der zweiten stehen alle Säulen still, weil das Kartenterminal defekt ist und an der dritten scheitere ich mit meiner Maestro-, ehemals EC-Karte, mit einem kategorischen "Card declined".
Ich werde total sauer und führe einen lautstarken Tanz auf: "Warum kann man in diesem Land nicht ganz normal tanken, wie in richtigen Ländern: Rüssel reinhalten, Sprit laufen lassen, reingehen, noch einen Schokoriegel greifen und beides zusammen mit echtem Geld bar bezahlen. "So eine Shice!", schimpfe ich lautstark vor mich hin, bis die Dame von der Kasse zu mir rausgelaufen kommt und fragt, was denn los sei. Sie erklärt mir, dass die Datenverbindung ins Ausland oft nicht freigeschaltet sei und deshalb nur schwedische Maestro Karten akzeptiert würden.
Was hingegen immer funktioniert, ist das Bezahlen mit der VISA Karte. Anders als in Deutschland, wo man mit seiner Unterschrift bezahlt, braucht man in Schweden aber eine PIN, die ich nicht habe. So ist meine schöne neue VISA-Card völlig wertlos, weil ich keine PIN dazu bekommen habe. MIST!
Die Tankstellenfrau ist aber super freundlich und bezahlt für mich mit einer Kundenkarte des Shops, woraufhin ich ihr das Geld in bar zurückgebe. Puh, ist das schwierig. Mein Tipp: In Schweden unbedingt an eine VISA-Karte mit PIN denken. Bargeld und auch Maestro-Karten werden häufig nicht akzeptiert und auch das Mastercard Symbol ist mir nicht so oft aufgefallen, wie das von VISA.
Inzwischen sind Volker und ich seit gut fünf Stunden im Regen unterwegs und allmählich ist es Zeit für eine Pause. In einer Tankstelle ziehen wir zwei Kaffee aus dem Automaten und ich besorge uns zwei Zimtschnecken dazu.
In unseren Regenkombis stehen wir zwischen Snackregal und Winterreifen, während wir langsam den heißen Kaffee schlürfen. Volker mampft seine Zimtschnecke mit zwei Bissen in sich hinein und sieht eigentlich ganz zufrieden aus dabei.
Am Boden unserer Kaffeetassen fahren wir weiter in Richtung Hätteboda, wo wir heute abend unser Lager aufschlagen wollen.
Vorher aber müssen wir noch unser Abendessen einkaufen. In einem CoOp-Markt in Degeberga kaufe ich, was ich am liebsten mag: Entrecote, Heinz Baked Beanz, Bier und eine Flasche Sauce Bernaise. Ich bin ganz erstaunt, im Laden Entrecotes zu bekommen, denn in Deutschland gibt es sie eher selten und sogar der Preis ist mit 179,90 SEK pro Kilo auch in Ordnung, denn das sind nur 19,70 €/kg.
Je näher wir an unser Ziel kommen, desto stärker regnet es. Die letzten Kilometer nach Hätteboda fahren wir über eine Schotterpiste durch den Wald. Inzwischen sind wir seit 10 Stunden mit dem Motorrad unterwegs und ich bin frustiert und ziemlich erledigt. Diese Tagesetappe war einfach zu lang für mich.
Meine ganze Aggression stecke ich in meinen Fahrstil und heize den einsamen Waldweg in MotoCross Manier entlang. Auf dem groben Schotter findet das Vorderrad der Green Cow perfekten Halt, so dass ich die Kurven im langgezogenen Drift nehmen kann. Erst als die Pfützen tiefer und tiefer werden, lasse ich die Enduro unter mir wieder langsamer werden. Diesmal ist es Volker, der weit zurückgeblieben ist und damit sind wir wieder quitt... :-) Bei unserer Ankunft in Hätteboda gießt es in Strömen und uns beiden ist nicht danach, jetzt die Zelte aufzubauen. Aus meinem Tankrucksack hole ich eine Fuet und schneide mit dem Taschenmesser grobe Stücke davon ab, die ich genussvoll in mich hineinmampfe.
Inzwischen ist eine gute Stunde vergangen und der Regen macht keine Anstalten, nachzulassen. Langsam fahren wir auf unseren Enduros durch den Wald und suchen einen geeigneten Platz für die Zelte. Auf einer kleinen Anhöhe direkt am Ufer eines Sees entdecken wir einen Platz, der gerade groß genug für unsere beiden Zelte ist.
Wir stellen die Motorräder ab und machen uns daran, den Waldboden von Tannenzapfen, Zweigen und kleinen Steinen zu befreien. Zum ersten Mal stelle ich mein neues Zelt auf, ein Salewa Denali III, das mein altes Vaude Campo ersetzt, mit dem ich in Schottland leider abgesoffen bin.
Als ich endlich das Außenzelt überwerfe und mit vier Heringen im Waldboden fixiere, stehen schon Pfützen im Zelt, weil es in der Zwischenzeit ungehindert hineingeregnet hat. Volker leiht mir einen Mikrofaserlappen und ich wische, so gut es eben geht, den Zeltboden damit trocken, bevor ich meine Therm-a-Rest und den Daunenschlafsack darauf ausbreite. Meine Laune ist auf dem Tiefpunkt angelangt und auch die Stimmung zwischen uns beiden ist irgendwie angespannt. Es kommt mir vor, als hätten wir den ganzen Tag noch keine sieben Sätze miteinander gesprochen, was natürlich Quatsch ist, aber wir sind auch von völlig unterschiedlichem Temperament. Volker ist eher ruhig und ausgeglichen, während ich nicht still sein kann und pausenlos irgendwelchen Blödsinn rede. Jetzt aber freuen wir beide uns erstmal auf das Highlight des Tages, auf unser Abendessen. Ich bin schon total gespannt, wie schwedische Entrecotes schmecken. Zuerst müssen wir einen halbwegs trockenen Platz zum Kochen finden. Am Fuße eines Felsens finden wir eine Bank, über die jemand ein Tarp gespannt hat. Der Platz reicht gerade aus, um darunter halbwegs trocken zu sitzen und unsere Küche aufzubauen.
Die kleine Titanpfanne ist in wenigen Augenblicken glühend heiß und im Nu brutzeln unsere Steaks munter zischend im heißen Fett. In der Zwischenzeit trinken wir einen Schluck Bier aus unseren Metallbechern, aber heute ist sogar das Bier zu kalt. Uns beiden ist eher nach Glühwein zumute. Die Entrecotes sind ok, wenn auch keine Markerschütterer. Das Fleisch ist sehr frisch und nicht genügend abgehangen, wodurch es noch reichlich zäh ist. Nach dem letzten Bissen sitzen wir noch kurz beim letzten Schluck Bier zusammen und gehen dann, so gut es eben geht, mit kaltem Wasser das Geschirr spülen. Besonders die fettverkrustete Pfanne ist nicht leicht sauberzukriegen. Es ist erst kurz nach acht, als wir beide erschöpft in unseren Zelten verschwinden. Ich lese noch eine Weile und genieße dabei die wohlige Wärme in meinem Daunenschlafsack, während Regen und Wind aufs Zelt peitschen und draußen die Welt unterzugehen scheint. Um viertel vor neun knipse ich meine Stirnleuchte aus und bin im Nu fest eingeschlafen.
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