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Burg Stargard
Regen prasselt aufs Zelt. Wind zerrt an der Plane. Ich drücke mich tiefer in den weichen Daunenschlafsack. Zwei Träume später weckt mich eine klägliche Stimme: „Ich muss ma ganz nötig!“ „Klein oder groß?“ „Nur ling ling “
Campingplätze lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Die Bewachsenen mit Hecken und Bäumen, wo man nachts mal eben unauffällig hinters Zelt kann, und die anderen, die so offen sind, dass man sich nicht traut. Dieser gehört zur zweiten Kategorie. Also wandere ich im Nachthemd durch Regen und Wind zum Waschhaus für acht Tropfen ling ling.
Am Morgen scheint wieder die Sonne. Alles sieht nach einem weiteren schönen Tag in Mecklenburg aus. Heute machen wir eine Rundtour über Burg Stargard nach Neubrandenburg und wieder zurück.
Auf dem Weg zur Burg fahre ich durch eine Allee von Apfelbäumen. Das gibt es hier öfter, Alleen aus Obstbäumen. Wir hatten bereits zweieinhalb Kilometer Pflaumen, ein paar hundert Meter Mirabellen, eine Allee aus Birnbäumen und jetzt sind es eben Apfelbäume. Der Baumbestand wird liebevoll gepflegt, fehlende Bäume durch junge ersetzt.
Ich glaube nicht einmal, dass die professionell geerntet werden. Das sind wohl Streuobstwiesen. Auf jeden Fall ist es etwas Bemerkenswertes und Schönes hier in Mecklenburg.
Die Straße hoch zur Burg ist derb mit Kopfsteinen gepflastert. Im zweiten Gang tuckere ich auf den Parkplatz vor dem Gemäuer. Burg Stargard ist die nördlichste Höhenburg Deutschlands. 53 m. ü. NN.
„Eat this, Austria!“, denke ich mit höhnischem Grinsen.
Die roten Backsteinmauern leuchten warm in der Morgensonne. Hübsch ist es hier und nur eine Handvoll Besucher verteilen sich auf dem Gelände. Die Burganlage Stargard stammt aus dem 13. Jahrhundert und ist Teil der Europäischen Route der Backsteingotik
Wir stehen auf Burgen, Pieps und ich. Piraten, Raumschiffe, Burgen und Schlösser, für uns ist all das ein einziges großes Universum aus Spannung und Abenteuer.
Am besten gefallen haben uns die Marienburg in Polen, Burg Trakai in Litauen und dann diese eine Burg, wo wir runter ins Verlies geklettert sind. Burg Cesis in Lettland. Das war gruselig. Wir hatten bloß eine Kerze dabei.
An jedem Gebäude und jeder Sehenswürdigkeit hängen kleine Infotafeln, die verblüffend gut geschrieben sind, verständlich und unterhaltsam. Wer immer diese Texte schreibt weiß, wie man Menschen Wissen nahe bringt, ohne sie mit Jahreszahlen zu langweilen.
Hauptattraktion der Burg ist der Bergfried, der große Turm in der Mitte. Eine eiserne Treppe führt außen bis auf halbe Höhe zu einer Tür in der meterdicken Mauer und dann innen weiter nach oben.
Es ist ein warmer Tag und in den Motorradsachen wird es schwitzig warm. Eine Treppenstufe nach der nächsten. Meine Güte, welch eine Plackerei. Der Bergfried hat etwa 12.000 Stufen und ist ungefähr 4,3 km hoch.
Oben angekommen mache ich ein Foto, wandere zweimal um die Galerie herum und steige wieder nach unten. Plötzlich haben wir es eilig, denn jetzt wartet die Belohnung für den anstrengenden Kulturausflug auf uns: Das Wurz- und Krautgartencafé der Burg.
Das Burgcafé ist in einer antiken Kate untergebracht, an der Decke derbe Balken aus längst vergangenen Zeiten. Hinten in der Küche arbeitet eine Frau in einer Tracht des Mittelalters. Hübsch sieht das aus.
Bis sie uns bemerkt habe ich Zeit das Angebot auf der Tafel zu studieren. Schmalzstulle mit Backpflaumen und Zwiebeln für 2,50 €, oder lieber den Hackfleischeintopf für 3,50 €? Oder eine Rauchwurst?
Die Frau kommt mit offenem Lächeln an den Tresen und noch bevor ich eingreifen kann, nimmt Pieps mir die Entscheidung ab:
„Wir nehm' zwei Big Mac, ein Hamburger Royal mit Keese, vier 20er Naggets mit alle Soßen, zwei große Pommes, vier Schiiesbörger, eimah Blongschee und ein Erdbier Scheek.“
Die kleine Maus rasselt ihre Bestellung mit dem Tempo und der Sicherheit des Auktionators einer texanischen Viehauktion herunter. Die Frau und ich schweigen verblüfft.
Nach einer kurzen, aber nicht minder heftig geführter Diskussion über Sinn und Unsinn von McDonald’s Filialen in Höhenburgen, entscheiden wir uns neu: „Wir hätten gerne einen Teller von der Hackfleischsuppe und dazu eine Rauchwurst.“ „Pöh...“
Mit gütigem Lächeln stellt die Wirtin einen Teller Suppe mit einer dunklen Wurst und einem großen Klacks Senf vor uns hin. Mit dem ersten Löffel herrscht wieder Frieden: „Könn' wir das zuhause auch ma koch'n?“
Zum Nachtisch gibt es Rhabarberkuchen, und als wir endlich auf dem Motorrad sitzen und aus Burg Stargard hinausfahren, liegt die Honda deutlich tiefer in den Federn als noch auf dem Hinweg.
Die nächste Station heißt Neubrandenburg. Bis vor einigen Monaten habe ich nicht einmal gewusst, dass es eine Stadt ist, sondern Neubrandenburg für ein Bundesland „irgendwo im Osten" gehalten.
Ich parke die Honda im Schatten der Konzertkirche Neubrandenburg und wandere ins Zentrum. Deichmann, MEDIA-Markt, H&M und jede Menge Menschen, die ich nicht kenne. Nein, das ist nichts für mich, auch wenn Städte im Grunde nichts dafür können, dass ich mich dort nicht wohl fühle. Ich bin lieber allein, oder zumindest unter bekannten Gesichtern.
Das Öl ist noch nicht kalt, als ich den Motor wieder starte und zügig aus Neubrandenburg hinausfahre. Kann man sich ansehen, muss man aber nicht, denke ich im Stillen. Ich will das alte Mecklenburg ansehen.
Wieviel schöner dagegen sind die Dörfer, durch die ich fahre. Besonders Alt Rehse gefällt mir gut mit seiner gepflasterten Dorfstraße und den roten Fachwerkhäusern mit Strohdächern.
Eine letzte Sehenswürdigkeit haben wir noch, bevor wir zurück ins Camp fahren. Penzlin hat nämlich nicht nur einen Campingplatz, sondern auch eine Burg. Diesmal reicht mir die Außenansicht.
Das Bemerkenswerteste an Burg Penzlin ist der gewaltige Birnbaum vor der Burgmauer, die Äste schwer von Birnen, die in der Herbstsonne mit den Ziegelmauern um die Wette leuchten.
Von der Burg ist es nur ein Katzensprung zurück ins Camp. Wir liegen im Zelt, lesen, schlafen, und spazieren ein wenig umher. Auf der Wiese am See stehen zwei mächtige Kopfweiden. Sie könnten als Komparsen in jedem Gruselfilm mitspielen. Wie alt mögen die wohl sein?
Im Grunde vertrödeln wir den Nachmittag, bis es endlich Zeit wird fürs Abendessen. Wir haben unterwegs ein paar leckere Rumpsteaks gekauft.
Meine Idee, jeden zweiten Tag einen Jokertag einzulegen und eine Tagestour zu machen, ist heute nicht ganz aufgegangen. Burg Stargard ist zwar hübsch, aber die hätte ich auch am Wegesrand besichtigen können, ohne extra einen Tag dranzuhängen.
Andererseits wäre ich sonst zu schnell durch mit dem TET, der nur etwa 460 km lang ist. Das füllt keine zwei Wochen. Morgen geht es weiter auf dem Trans Euro Trail.
Zu viel Kultur tut uns nämlich auch nicht gut, Pieps und mir