Mandø
Einen Moment lang liege ich wach im dunklen Zelt. Es ist diese besondere Zeit kurz vor Sonnenaufgang, wenn es am kältesten ist, noch ganz still und alles feucht vom Tau. Ich spüre die Wärme im Schlafsack, die weiche Matte und die Geborgenheit im Zelt. Im Nu bin ich wieder fest eingeschlafen.
Einige Stunden später stecke ich verschlafen den Kopf aus dem Zelt und sehe mich um. Der erste Blick nach draußen ist spannend, denn drinnen kann ich nur Sonne und Regen unterscheiden und weiß nicht, wie das Wetter wird, aber heute morgen sind weit und breit keine dunklen Wolken in Sicht.
Im Waschhaus habe ich eine Eingebung und komme endlich hinter das Geheimnis, wie sich diese doofen Türen verriegeln lassen: Man drückt die Klinke nach oben, hält sie fest und erst dann lässt sich der Schlüssel im Schloss drehen.
Im Mandø Café wartet schon ein gedeckter Frühstückstisch auf mich und während ich beim Kaffee sitze, erzähle ich John, dass ich mir heute die Insel ansehen möchte, bevor ich wieder nach Hause fahre.
"Du musst aber um elf Uhr aus das Watt raus sein, dann kommt ein hohe Flut", warnt mich John. Ich bin dankbar für den Tipp, denn ich wollte erst Mittags starten und hätte auf dem Deich eine Überraschung erlebt, wenn bis zum Horizont nur Wasser zu sehen wäre.
Hinter dem Café führt ein sandiger Pfad durch die Dünen hinunter zum Strand. Bis an den Horizont erstreckt sich das Watt und erst sehr weit draußen ist ab und zu das Glitzern von Wasser zu erkennen.
Am Fuß der Dünen liegt ein breiter Gürtel aus Treibgut. Seegras, Treibholz und bunte Nylontaue von irgendwelchen Schiffen, die längst weitergefahren sind. Ab und zu eine
Sepiaschale, das Knochengerüst eines Tintenfischs.
Ich versuche mir vorzustellen, mit welcher Wut die Nordsee gegen die Insel toben muss, um das Treibgut so weit landeinwärts in den Dünen abzuladen. An solchen Tage ist Mandø völlig abgeschnitten vom Festland.
Zwischen dem Schwemmgut entdecke ich ein ausgeblichenes Stück Treibholz von der Größe eines Zaunpfahls. Es ist gebogen und ein Holznagel steckt noch darin. Es könnte ein Spant vom Rumpf eines alten Schiffes sein. Wie lange mag es schon im Meer getrieben sein, bevor es auf Mandø an den Strand gespült wurde und von welchem Schiff stammt es? Sofort erwacht meine Fantasie, denn ich liebe Abenteuerromane und sammele alte Bücher, die von Piraten, Schatzinseln und Schiffbrüchigen auf einsamen Inseln handeln.
Auf einem alten Flutpfahl am Strand sind die Hochwassermarkierungen der vergangenen 350 Jahre eingeschlagen. Die schlimmste
Sturmflut der letzten 100 Jahre war erst 1999, als ein Orkan das Meer bis auf 5,33 m getrieben hat. Welch ein Glück, dass damals gerade Ebbe war, denn bei Flut wären Mandø und auch Ribe von der Nordsee überschwemmt worden.
Auf dem Dünenkamm wandere ich zurück. Wie auf einer Postkarte heben sich die weißen Flügel der Windmühle und ein roter
Dannebrog gegen den blauen Himmel ab. Meine Güte, ist das ein schöner Tag, dabei sind es nur 12°, aber es ist recht windstill, was an der Westküste selten genug ist.
Auf meiner Runde komme ich an der alten
Redningsstationen vorbei, wo es vor hundert Jahren eine
aktive Seenotrettungsstation gab.
Das Rettungsboot lag auf einem Karren im Schuppen und wurde im Notfall von Pferden hinunter zum Strand gezogen. Zehn Männer ruderten das Boot hinaus aufs Meer. Seit 1961 übernehmen Seenotretter aus Ribe und Esbjerg die Aufgaben der Station. Das Rettungsboot wurde nach Grönland verkauft und in dem alten Schuppen werden heute nur noch Handarbeiten und Souvenirs angeboten.
Auf dem Nytoftevej gehe ich zurück in Richtung Campingplatz und komme an einem der Höfe vorbei. Wie anders dänische Gehöfte aussehen, als zum Beispiel die Höfe im Schwarzwald. Die Rasenflächen reichen bis an die weiß gekalkten Mauern und jeder Blumenschmuck und jeder Zierrat fehlen. Dadurch wird ein einzelner Blumentopf am Haus plötzlich ganz wichtig und schön. Ich mag diese Art aufgeräumter Sachlichkeit, die so klar und hübsch aussieht.
Ein Stück weiter die Straße entlang liegt der
Mandø Kro, das Gasthaus der Insel. Man kann dort auch Zimmer mieten und
die Speisekarte zeigt viele interessante Fischgerichte, die ich ungefähr alle mag.
Wer wissen möchte, was z.B. die Mandø Krø Platte in Euro kostet, tippt bei Google
99 DKK in Euro ins Suchfeld. Die Preise sind völlig ok. Beim nächsten Mal werde ich mich in das große Sommerbuffet einkaufen, das allein sechs Sorten Hering bietet.
Allmählich schlendere ich zurück zum Brugsen. Eine alte Dame fährt auf dem Fahrrad an mir vorbei und stellt es vor dem Laden ab. "Guten Morgen, du bist bestimmt Ellen", lächele ich sie an und stelle mich als ihr Campinggast vor.
Ellen schließt das Geschäft auf und schreibt eine Rechnung über 130 Kronen für zwei Nächte auf dem Campingplatz. Wir wechseln noch ein paar Worte, aber dann wird es Zeit, aufs Motorrad zu steigen und die Insel zu verlassen.
Auch der Mandø Bus steht schon im Wendehammer vor dem Campingplatz und wartet darauf, die letzten Gäste vor der Flut zurück ans Festland zu bringen, aber es ist Montagmorgen und weit und breit kein Tourist zu sehen.
Ich starte den Einzylindermotor der Enduro und mache mich auf den Heimweg. Oben auf dem Deich halte ich noch einmal an und sehe mich um. Ich finde den Gedanken noch immer aufregend, mit dem Motorrad bei Ebbe über den Grund des Meeres zu fahren, auch wenn das Wasser nur selten höher als 1,50 m auf der Piste steht.
Nach wenigen Kilometern bin ich in Vester Vedstedt und biege kurz darauf in die 11 nach Süden ein. Die Strecke durch Dänemark ist topfeben, schnurgerade und bestens ausgebaut, wie es so typisch für dieses schöne Land ist, aber ich langweile mich nicht, sondern genieße die schöne Fahrt mit dem Motorrad im Sonnenschein.
Von der Westküste fahre ich über Løgumkloster und Tinglev hinüber zur Ostseeküste, wo ich bei Flensburg die Grenze nach Deutschland überquere. Unmittelbar hinter dem Schild "Herzlich willkommen in der Bundesrepublik Deutschland" klaffen tiefe Schlaglöcher im Asphalt. Schade, dass wir nicht so gute Straßen bauen können wie die Dänen.
Bei Missunde geht es mit der alten Seilzugfähre über die Schlei. Es ist nur ein Mann an Bord, der Kassierer, Decksmaat und Kapitän zugleich ist. Er legt die Fähre an, öffnet die Schranken und geht selbst von Wagen zu Wagen und kassiert den Fährpreis. Dann steigt er auf die Brücke und fährt auf die andere Seite. Nach einer halben Stunde bin ich zu Hause in Kiel.
Fazit: Mandø hat Spaß gemacht. Die kleine Insel hat ihren ganz eigenen Charme und die Fahrt übers Watt finde ich spannend, selbst wenn der Weg nicht allzu schwierig ist und auch mit einer Ducati, oder einem Renault gut zu fahren ist.
Wenn man schöne Strände sucht, Abwechslung, Shops und Nachtleben, dann ist man hier so verkehrt, wie man es nur sein kann. Wer aber Ruhe und Abgeschiedenheit in schöner Natur sucht und mit dem zufrieden ist, was die Insel bietet, der wird sich auf Mandø wohlfühlen. Pieps und ich kommen wieder, soviel ist sicher...
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