Landgang in Kirkenes
Heute morgen steht ein großes Tablett hauchdünner Pfannkuchen auf dem Frühstücksbuffet und daneben eine Schüssel mit Heidelbeermarmelade. Claudia ist begeistert, denn sie liebt Pfannkuchen und beschmiert sie fingerdick mit Marmelade. Schon bei dem Gedanken kriege ich Hüfte und hole mir stattdessen nur etwas Hering in Tomatensauce und eine Portion Kötbullar.
Die Leute neben mir sehen aus, als wollten sie das letzte Stück zum Nordpol noch vor dem Mittagessen zu Fuß erreichen. Fjällräven G1000 Hosen, Kamik Stiefel, Daunenparka von Bergans und Skimütze. Erstaunlich, welche Wirkung die Globetrotter Werbung auf ganz normale Menschen hat.

Die arktische Luft ist trocken kalt und wir sind genau richtig angezogen. Auf unserem Weg nach Kirkenes hinein kommen wir an einem Einkaufszentrum vorbei.
Spareland steht auf dem Schild und ich bemerke, dass alle Schilder zweisprachig sind, norwegisch und kyrillisch. Die Autos auf dem großen Supermarktparkplatz tragen ausnahmslos russische Kennzeichen RUS und sämtliche Kunden scheinen Russen zu sein.
Die Männer tragen schwarze Kunstledermäntel, Pelzmützen und grimmige Gesichter, die Frauen hingegen einen Look, der auch im Swingerclub wohlwollend zur Kenntnis genommen würde.
Supermärkte finde ich auf Reisen besonders interessant. Nirgendwo kann man besser sehen, wovon die Menschen leben und was sie gerne essen. Wir gehen hinein, um die Fleischabteilung zu besichtigen und herauszufinden, ob es hier Entrecote gibt. Gibt es, heißt auch so, ist nicht mal besonders teuer, sieht aber völlig falsch aus. Mein Tipp: Das ist Hohe Rippe, ein Suppenfleisch, das sehr ähnlich aussieht, sehr viel billiger ist und gebraten zäh wie Leder wird.
In der Arktis werden Straßen und Wege nicht mit Schneefräsen, Salz und Sand restlos geräumt, sondern es bleibt immer eine dünne Schicht aus Schnee und Eis zurück. Wenn man die Rentner mal richtig ärgern will, dann räumt man seinen Gehsteig sauber bis auf den Asphalt und salzt ihn fett ein. Die Rentner sind hier nämlich nicht mit Rollatoren, sondern mit kleinen Schlitten unterwegs, die sie vor sich herschieben. An jeder deutschen Grundstücksgrenze wäre Endstation für Oma, wenn sie mit ihren Schlittenkufen in blanken Granit beißt.

Immer wieder sehe ich verlassene Fahrzeuge vor den Supermärkten, die mit laufendem Motor auf die Rückkehr des Fahrers warten. Die Leute stellen den Wagen vorm Supermarkt ab, lassen den Motor laufen und gehen einkaufen. Das war mir schon 2007 auf der Norwegentour mit meiner KTM aufgefallen. Offenbar ist Autoklau hier noch nicht so in Mode. Wohin sollte man damit auch verschwinden?
Wir machen uns auf den Rückweg zum Schiff. Claudias Moonboots bewähren sich prächtig. Sie sind warm und halten den Schnee ab. Ich trage Wildlederstiefel, aber das ist in der trockenen Kälte auch ok, denn Schneematsch gibt es hier nicht.
Unterwegs kommen wir an einer Gruppe russischer Trawler vorbei, die hier im Hafen auf das Eintreffen des Kabeljaus in der Barentssee wartet. Die Schiffe sind in so erbärmlichem Zustand, dass ich jeden bewundere, der sich mit solch einem Seelenverkäufer auf die offene See wagt. Allein die Fangausrüstung und die riesigen Scheinwerferbatterien machen einen gepflegten Eindruck. Das Übrige ist Rost und Zerfall.
Nach dem Essen verschwinde ich kurz in der Kabine und hole mir einen Underberg aus der Reiseapotheke. Acht der kleinen Fläschchen habe ich mit in Urlaub genommen und jedes Einzelne muss sorgfältig eingesetzt werden. Heute ist so ein Fall...
Kurz nach Mittag legt die MS Lofoten ab und ich verziehe mich mit dem Underberg und einer Flasche Munkholm alkoholfrei in die Observation Lounge, wo ich mein Kirkenes Abenteuer in das Moleskine schreibe. Draußen zieht die von Eis bedeckte Barentssee vorbei. Die Eisschicht ist jetzt im Frühling aber nur noch sehr dünn und bereitet dem Schiff keine Schwierigkeiten.
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