Hunting the Light
Inzwischen habe ich alle meine Outfits schon mindestens einmal angehabt und es geht in die Wiederholung. Ich entscheide mich für ein graues Strickkleid und die schwarzen Keilstiefel. Mit den 9 cm Absätzen bin ich sogar noch einen Tick größer, als die wunderschöne Blonde aus der Crew, deren strahlendes 1.000 Watt Lächeln mich jedesmal fast umhaut.
Am Vormittag gibt es eine Infoveranstaltung, auf der uns der Reiseleiter die Landausflüge der kommenden Tage vorstellt und natürlich auch verkaufen will. Ich höre geduldig zu, bin aber nicht interessiert. Weder an der Seeadlersafari, noch an dem Mitternachtskonzert in der Eismeerkathedrale in Tromsø. Ich gehöre zu der Sorte Passagiere, die weder unterhalten, noch animiert, oder sonstwie bespaßt werden müssen. Ich will einfach in Ruhe gelassen und dreimal am Tag üppig verpflegt werden. Für die Unterhaltung sorge ich selber, indem ich schreibe, lese, mich mit Claudia unterhalte, oder stumm die überwältigende Aussicht genieße.

Auf gute Unterhaltung und Gespräche mit anderen Passagieren hätte ich mich gefreut, aber auch am achten Tag an Bord ist es mir noch nicht gelungen, mit jemandem wirklich ins Gespräch zu kommen. Ungewöhnlich, denn sonst gelingt mir das fast immer.
Am späten Vormittag legen wir in
Hammerfest an, das sich seit Jahren mit Honningsvåg um den Titel Nördlichste Stadt der Welt streitet. Honningsvåg liegt tatsächlich weiter nördlich, hat aber keine 5.000 Einwohner und ist damit nach norwegischem Recht keine Stadt.


In Hammerfest haben wir 90 min. Aufenthalt und entscheiden uns für einen kurzen Landausflug. Claudia möchte die Kirche fotografieren, Pieps will eine Schneemaus bauen und ich möchte endlich herausfinden, was es mit diesem geheimnisvollen
Eisbärclub auf sich hat, von dem ich schon mehrfach gelesen habe.

Es liegt noch dick Schnee, aber Pieps hat trotzdem kein Glück. Tauwetter hat eingesetzt und der Schnee reicht bestenfalls für eine Matschmaus. Ich bin froh, dass ich die hohen Schuhe anhabe und einigen Vorsprung vor dem Schneematsch habe.
Nachdem Claudia ihre Kirche fotografiert hat, gehen wir kreuz und quer durch den Ort. 90 Minuten sind mehr als genug Zeit, um Hammerfest zu Fuß zu erkunden. Wir kommen an einem Friedhof vorbei, auf dem manche der Grabsteine dick mit Plastikfolie verpackt sind. Damit soll verhindert werden, dass die Steine im Winter bei extremer Kälte platzen.
Die kleine Stadt brummt an diesem 21. März, am Frühlingsanfang. So klein Hammerfest auch ist, für die Bewohner aus weiter Umgebung ist es die einzige Einkaufsmöglichkeit. Der größte, und vermutlich einzige Supermarkt des Ortes, ist Coop Mega, ein mittelgroßer, moderner Supermarkt, doch hier in der Arktis ist es ein Megastore. Claudie möchte sich neues
Kwikk Lunsj kaufen, eine Art norwegisches Kitkat und sowas wie ein Grundnahrungsmittel hier im Norden, ich möchte die Fleischabteilung besichtigen und Pieps will "einfach nur ma so gucken..."
Das Fleisch in den Kühltresen sieht nicht sehr appetitlich aus. Skandinavien ist keine gute Gegend für Fleischesser und die norwegische Arktis am allerwenigsten. Es gibt keine Metzgereien, sondern ausschließlich in Plastik verpacktes Fleisch aus dem Supermarkt. Frischfleischtheken, wie wir sie kennen, sind hier völlig unbekannt.

Die Auswahl an Fisch ist dagegen ganz ausgezeichnet. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt steht ein Russe mit seinem Auto und verkauft aus dem Kofferraum heraus fangfrische Krabben und Schalentiere zu einem Spottpreis. Sein ganzer Laden besteht nur aus dem Kofferraum seines alten Lada und einem Klapptisch.

Vom Supermarkt gehen wir langsam zurück zum Schiff. Direkt am Anleger entdecke ich die Eingangstür zum Eisbärclub. Eintritt frei, steht auf einem Schild, aber ich finde das nicht bemerkenswerter, als wenn es bei
ALDI an der Tür stünde, denn der berühmte Eisbärclub ist in erster Linie ein großer, sehr professionell gemachter Souveniershop. In zweiter Linie gibt es in den hinteren Räumen eine zugegeben sehr nette Ausstellung zum Thema Eisbären und Arktis allgemein.

Der Besuch der Ausstellung kostet nichts, aber man muss dazu durch den Shop gehen. Das Perfide ist, dass es sogar einige besonders schöne und interessante Souveniers gibt und ich all meine Willenskraft brauche, um nicht diese rote Handysocke mit dem aufgestickten Eisbären zu kaufen. Erneut bin ich ganz hingerissen von meiner eigenen Willensstärke.
Wir halten uns nicht weiter auf. Der Hauptgrund dafür ist das Mittagsbuffet, das in wenigen Minuten an Bord serviert wird. Heute gibt es zwei Fischgerichte, panierten Dorsch und gedünsteten Heilbutt. Ich kann mich nicht entscheiden und nehme beide.

Nach dem Ablegen in Hammerfest fahren wir im strahlenden Sonnenschein durch die dramatisch schöne Winterlandschaft. Schneebedeckte Felsen ragen bis zu 1.000 m hoch steil aus dem Wasser. Mit 15 Knoten zieht die MS Lofoten stundenlang daran vorbei.
Einige Zeit später taucht eine winzige Ortschaft tief im arktischen Nirgendwo auf. Es ist Øksfjord, ein 500 Seelen Fischerdorf, dessen wenige Häuser sich auf einem schmalen Felsen zwischen der See und dem Øksfjord Fjellet (772 m) dicht aneinander drängen.
Den kurzen Aufenthalt verbringe ich draußen auf dem Bootsdeck. Ich erkenne eine Kirche, einen kleinen Laden und ein verlassenes Hotel mit blinden Scheiben. Der Ort fasziniert mich, weil er so völlig abgelegen im Nichts liegt.
Unser Kran hebt einige große weiße Ballen vom Kai und lässt sie in den Laderaum hinab. Im Vorbeischwenken kann ich gerade noch die Aufschrift lesen, Polarfeed steht auf den Ballen. Später finde ich heraus, dass sich darin Fischfutter für die Lachsaufzucht befindet.

Bei einem unglaublich guten 3-Gänge Menü fahren wir in die Nacht hinein. Als Vorspeise gibt es Rentierfleisch, das zwar sehr mager, aber trotzdem lecker ist, und danach Eismeer Saibling, womit ich heute zum dritten Mal Fisch esse. So ausgezeichnete Fischgerichte wie auf dieser Reise habe ich nie zuvor gegessen und immerhin komme ich aus Kiel. Verschiedene Sorten Hering und Sardinen, sowie feinsten Räucheraal, der zuhause unverschämt teuer ist, gibt es ohnehin zu jedem Frühstück. Wer Hurtigruten fährt, sollte gerne Fisch essen, auch wenn es genügend Ausweichgerichte an Bord gibt.
In Skjervøy nehmen wir eine Handvoll Passagiere und eine Europalette Arctic Salmon an Bord, bevor wir wieder in die sternklare Nacht hinausfahren. Claudia steht eisern oben auf der Brückennock und friert sich den Dubs ab, Hunting the Light. Sie meint, es sei geradezu ideales Wetter für
Polarlicht.

Etwas später besuche ich Claudie, eher aus Mitleid denn aus Neugier, auf der Brücke, weil ich Angst habe, dass sie mir festfriert, aber tatsächlich sehe ich zum ersten Mal im Leben Polarlicht. Mystisch und geheimnisvoll wabert es leicht grünlich in der Ferne vom Horizont bis hoch ins Firmament. Mitten drin stehen Venus und Jupiter so hell und klar am Himmel, wie ich sie nie zuvor gesehen habe.
Die MS Lofoten fährt mit minimaler Beleuchtung durch die Nacht und überall an Deck stehen dick vermummt die Fotografen in der Dunkelheit, Hunting the Light. Die echten Profis haben in dieser Nacht ihre Stative auf das vibrierende Stahldeck des schwankenden Schiffes gestellt, um mit Langzeitbelichtung gestochen scharfe Fotos zu schießen. Profis eben.

Mit der kleinen Lumix Digitalkamera bekommen wir allerdings auch kein Foto hin, deshalb gibt Claudia mir ein Dia, das sie auf ihrer letzten Hurtigruten Reise mit ihrer Leica M5 gemacht hat. (Noctilux 1:1 auf Kodak Ektachrome 800 belichtet wie 3.200 ASA).
Als ich endlich schlafen gehe, steht Claudia noch immer an Deck und sieht durch ihr Nachtglas empor zum Sternenhimmel. Hunting the Light.
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