Martell, Hennessy und Co.
Jeder Tag einer Reise sollte eine Besonderheit haben. Etwas, an das man sich später erinnert. Eine Eigenheit, eine Begegnung, eine besondere Sehenswürdigkeit, oder eine Geschichte, die sich zu schreiben lohnt. Mehr, als bloß ein weiteres Schloss, dessen Namen man vergisst, bevor die Seite zugeschlagen, oder weggeklickt ist.
In Brizambourg halte ich an einer Bäckerei. Pieps und ich müssen frühstücken, ehe wir bereit sind, es mit der Welt aufzunehmen. Es gibt Croissants und Schokobrötchen. Aus einem Automaten ziehe ich einen winzigen Babyccino und einen Becher Grand Café.
Je näher ich der Stadt Cognac komme, desto mehr Weingärten mischen sich zwischen die Kornfelder, bis schließlich überhaupt nichts anderes mehr wächst als Weintrauben und ein schmaler Streifen Schmutzgras am Straßenrand.
Bis wir eines Tages darauf gekommen sind, dass wir alles mögen, nur das Getränk selbst nicht. Selbst die höchste Klassifizierung XO war zwar edel und teuer, geschmeckt hat er uns trotzdem nicht. Und Raucher waren wir auch nicht.
Was uns damals getrieben hat? Es war die Sehnsucht nach schönen Dingen, die nichts mit Computern, Digital und Elektronik zu tun haben. Ich habe Füllhalter gesammelt, schöne Schreibpapiere, Petschaften und edle Tintenfässer. Schöne Dinge, die überdauern und den Wert in sich tragen.
Ich steuere Greeny den Bordstein hoch und bleibe am Brückengeländer stehen. Während auf der Straße die Autos vorbeibrausen, friemel ich die Kamera aus dem Tankrucksack und mache ein Foto. Die rote Firmenflagge auf dem Dach von Hennessy baumelt schlaff im Wind: "Merkt ihr schon, dass ich nie 'ne zweite Flasche gekauft habe, oder?"
Nein, für sowas fehlt mir die Geduld und außerdem muss ich noch fahren und dazu mag ich gar keinen Cognac. Vielleicht nicht in dieser Reihenfolge, aber ich verzichte und tuckere weiter zwischen den Fabriken umher.
Gleich nebenan betreiben Martell, Rémy Martin und eine Handvoll kleinerer Häuser ihre Schnapsbrennereien, bloß von Dujardin und Mariacron ist weit und breit nichts zu sehen.
Mir wird allmählich warm in der Motorradjacke und sie ist zu schwer, um sie längere Zeit über dem Arm zu tragen. Fußgängerzonen langweilen mich, wenn ich nicht gerade etwas kaufen will. Aber was? Ich liebe es, Schuhe zu kaufen, aber in Motorradsachen macht das keinen Spaß. Das Outfit stimmt nicht und außerdem wüsste ich nicht, wo ich meine Beute lassen sollte. Stattdessen steige ich wieder aufs Motorrad und fahre weiter.
Es ist ein Baguetteautomat. Das gibts nicht, denke ich, ein Automat aus dem frisches Brot kommt. Der Kasten steht vor einem schattigen Park mit Picknickplätzen. Der perfekte Ort und Gelegenheit für eine Pause. Ich nestele ein paar Münzen aus der Hosentasche und stecke sie in den Automaten. Eine Sekunde später plumpsen 250 g Baguette klappernd in den Ausgabeschacht. Es ist das vorletzte. Jetzt liegt nur noch eines hinter der Scheibe.
Das Baguette ist tatsächlich ganz frisch. Die Kruste knusprig, das Innere weich und aromatisch. Allein der Ziegenkäse, der exorbitant teuer war, ist eine Enttäuschung. Er ist unglaublich scharf, wie reine Chili Schoten, und dabei so hart, dass er unter dem Messer zerbröckelt. Allein Pieps scheint nichts zu bemerken und mümmelt den kleinen Stinker gleichmütig in sich hinein.
Während ich noch grübele, ob ich mich bei der Volkshochschule anmelden soll, kommt ein weißer Peugeot Lieferwagen angerauscht und hält vor dem Automaten. Boulangerie Soundso steht auf der Seitenwand. Ein Bäckerbursche in weißer Kleidung steigt aus und füttert den Automaten mit frischen Baguettes. Minuten später flitzt er in der Gegenrichtung davon.
Die Distripain Automaten sind online angebunden und der Bäcker sieht genau, wann es Zeit für einen Refill ist. Als ich das vorletzte Baguette gezogen hab, schlug es in der Backstube Alarm und sie haben gleich ihren Peugeot mit Nachschub beladen.
In La Couronne halte ich bei Super-U zum Einkaufen. Es gibt Entrecôte und eine fette, grüne Salatgurke, meine Art unterwegs Wasser zu trinken und außerdem hat der Magen was zu tun, während ich die restlichen Kilometer auf dem Motorrad absitze.
Inzwischen tut sich ein echtes Problem mit den Mülltüten auf. Bisher habe ich im Supermarkt immer eine Tüte gekauft, die Abends im Zelt zum Müllbeutel wurde, aber seit irgendeiner blöden EU-Baumstreichler-Verordnung gibt es die in vielen Lädennicht mehr. Ich behelfe mir, indem ich in der Obstabteilung ein paar von den hauchdünnen Beuteln abreiße und mitnehme.
Ein paar Kilometer weiter fahre ich an einer großen Tafel vorbei: "Willkommen in der Dordogne, Parc Perigord Limousin". Die Straße wird kurvig, führt über Hügel und kleine Berge. So gut mir die Küste der Bretagne auch gefallen hat, die Strecken im Hinterland sind öde. Da gefällt mir die Dordogne besser, denke ich, während ich durch eine besonders schöne S-Kurve schwinge.
Am Nachmittag, ungefähr zu der Zeit, als es am heißesten ist, erreiche ich das Camp. Ein liebevoll gemaltes Schild zeigt den Weg. Jemand hat zwei Sterne daraufgemalt. Durch den zweiten ist eine Schraube gedreht. Die Campingplätze in Frankreich sind genau klassifiziert.
Zwei Sterne bedeutet, die Duschen müssen Warmwasser haben, die Klos gefließt sein, es muss eine Zeltwiese geben und einen Platz zum Geschirrspülen. Für Warmwasser, Fliesen, Zeltwiese und Spülbecken hat sich Camping La Chatonnière den zweiten Stern redlich verdient. Den mit der Schraube.
Hoffentlich gibt es noch einen freien Platz für uns, denke ich sorgenvoll. Gestern in Surgères waren sie beinahe ausgebucht. Ich stelle das Motorrad vor der Rezeption auf den Seitenständer und gehe an die Glastür. Geschlossen bis 17 Uhr. Es ist heiß. Ich ziehe die Motorradjacke aus, lege sie über den Lenker und wandere zu Fuß über den Platz.
Ein Mann ist in der Hitze damit beschäftigt ganz alleine ein großes Zelt aufzustellen. Gerade zieht er die Plane über das stählerne Gestänge. Das wird ein großes Hauszelt für eine ganze Familie. Ich spreche ihn auf Englisch an. Wir unterhalten uns kurz und er meint, ich solle mir einen Platz aussuchen, das Zelt aufstellen und später zur Rezeption kommen.
"You're sure?"
"Yes. Because I'm the Boss", sagt er und lächelt mich freundlich an.
Das hier ist sein Campingplatz. Er ist der Chef und baut gerade eines der Mietzelte für die beginnende Saison auf. Irgendwas macht er falsch, denke ich, wenn er hier der Chef ist und die Arbeit selber macht. Bei mir im Dienst läuft das zum Glück anders.
Inzwischen hat Pieps die Eistruhe entdeckt und ich den Kühlschrank mit dem Bier. Es gibt ein quietschbuntes Wassereis für die Maus und zwei eisgekühlte Flaschen Kronenbourg für mich. Mit unserer Beute ziehen wir uns an einen Tisch im Schatten zurück.
Wir sitzen auf einer Bank, schlecken Eis und trinken Bier. Die Sonne brennt, es ist heiß und staubig. Insekten schwirren durch die Luft, Grillen zirpen. Und wir? Wir sind glücklich...
zum nächsten Tag...
zurück nach oben