Reise in die Bretagne Tag 1: Kiel - Lörrach Tag 2: Lörrach - Langres Tag 3: Langres - Gien Tag 4: Gien - Saumur Tag 5: Saumur - Pontorson Tag 6: Mont Saint Michel Tag 7: Cancale - Trébeurden Tag 8: Lannion - Brest - Chateaulin Tag 9: Chateaulin - Concarneau Tag 10: Pont Aven - Südbretagne Tag 11: Salzgärten von Guérande Tag 12: Saint-Nazaire - Surgères Tag 13: Cognac - Jumilhac-le-Grand Tag 14: Jumilhac-le-Grand Tag 15: Jumilhac-le-Grand - Murol Tag 16: Château de Murol Tag 17: Murol - Camp Le Gouffre Tag 18: Vercors - Chartreuse Tag 19: St.Claude - Camp Cibourg Tag 20/21: Cibourg - Lörrach - Kiel
Im Finistère
Ob ich die langen Tagesetappen dadurch ausgleichen kann, dass ich früh aufstehe und noch vor dem ersten Cafécroissant ein gutes Stück fahre? Also erst die Arbeit und dann das Vergnügen? Der Gedanke widerstrebt mir schon von Amts wegen, aber die anderen Beamten müssen es ja nicht erfahren.
Das Wetter sieht gut aus. Ich schnappe mir Pieps, den Waschbeutel und ein Handtuch und mache mich auf zum Waschhaus, das kaum größer ist, als das Badezimmer meiner Tante: Zwei Becken, zwei Boxen, zwei Steckdosen und alles für mich allein.
Auf dem Campingplatz, dessen Name nicht genannt werden darf, um eine gewisse Maus nicht anzustacheln, hat man sogar vom Lokus aus einen tollen Blick aufs Meer. Ich baue meine Schminksachen auf und bereite alles vor für ein simples Zweischichten MakeUp. Als Foundation muss der 50er Sun Blocker herhalten und darüber eine großzügige Schicht Superstay 24h abriebfest.
Ich sollte den neuen Helm einschicken, damit die Crew von Maybelline sieht, was von ihrem Werbeversprechen zu halten ist: Wer immer mir diesen Helm vom Rückspiegel klaut, wird die erste Zeit gut geschminkt sein.
Das Zähneputzen mit der kurzen Bürste ist ein wenig mühsam. Claudia hat ein Stück vom Stiel abgesägt. Das spart 4 Gramm und außerdem geht der kleine Waschbeutel dann besser zu. Wenn ich schon eine Meise habe, was Gewichtersparnis angeht, dann ist Claudia die Meisenkaiserin dieser Disziplin.
Irgendwann ist es genug geputzt, geschminkt, gepudert und ich baue das Zelt ab. Es ist noch früh am Morgen, als ich die Enduro auf die Küstenstraße lenke und die Gänge durchschalte, bis ich mit 90 km/h im sechsten Gang gemütlich dahin cruise.
Diese Reise ist voller Entbehrungen, denke ich leidvoll, als ich auch an der zweiten Bäckerei des Morgens achtlos vorbeifahre. Als Globetrotter muss man hart sein, muss aushalten, Entbehrungen ertragen und notfalls sogar mal an einem geöffneten Café vorbeifahren.
Nach 98 Kilometern Landstraße komme ich in Lanhouarneau an der dritten Boulangerie des Morgens vorbei. Genug entbehrt! Auch meine Leidensfähigkeit kennt Grenzen. Ich parke das Motorrad auf dem zentralen Platz und hole mir eine Tüte Croissants aus der Bäckerei. Als ich dort nach Kaffee frage, sieht man mich verständnislos an. Kaffee in einer Bäckerei? Das erscheint hier so bizarr, wie Hüfthalter im Baumarkt.
An der Ecke gegenüber steht ein Bar/Tabac. Mit der Tüte Croissants in der Hand stiefele ich in die Bar und bestelle einen Grand Café. Ich stelle mich zu zwei Männern an die Bar und packe mein Frühstück aus. Niemanden stört es, dass Pieps auf dem Tresen sitzt, wir unser mitgebrachtes Gebäck essen und dabei alles mit Blätterteig vollkrümeln. Eine fremde Welt, dieses Frankreich.
Es herrscht eine merkwürdig gedämpfte Stimmung in dem Laden. Neben mir sitzt ein Arbeiter im Blaumann und rubbelt Lotterielose wie ein Besessener. Eine Frau kommt herein, kauft ein Päckchen Zigaretten und geht wieder. Ein alter Mann in der Ecke rührt Unmengen von Zucker in eine winzige Kaffeetasse. Ein Anderer steht am Tresen und starrt auf den Fernseher über der Bar. Es läuft etwas über die Galapagosinseln. Keiner spricht mit keinem kein Wort. Allein der Fernseher und Pieps verströmen etwas menschliche Nähe.
Nach zwei Grand Café und zwei Croissants habe ich genug, knülle die Papiertüte zusammen, lasse sie auf dem Tresen liegen und gehe.
Auf den Straßen abseits der Küste ist viel Landwirtschaft zu sehen. Hier im Inland ist die Bretagne flach und eher langweilig. Es geht öde zwischen Feldern hindurch, bis ich wieder die Küste erreiche. In der Ferne sind ein Leuchtturm und eine Klosterruine zu erkennen.
Phare de Saint-Mathieu ist der Name des Leuchtfeuers, das zwischen den Ruinen der alten Abtei Saint-Mathieu errichtet wurde. Ein ungewohntes Bild, dieser sachliche Turm, der alle 15 Sekunden einen weißen Leuchtblitz aussendet, inmitten der alten Mauern des Klosters.
Wie an jedem Ort dieser Welt, der auf irgendeine Weise alt, kirchlich oder fotogen ist, wird auch hier geheiratet. Ein junges Paar posiert vor dem Portal der Abtei verlegen für ein Hochzeitsfoto. Der Bräutigam trägt einen schicken Anzug, sie ein schlichtes weißes Kleid, das erst durch den Brautstrauß in ihrer Hand zum Brautkleid wird.
Beide recht stilvoll, nicht übertrieben, durchaus ansehnlich, aber auch nicht so hübsch, dass Ärger vorprogrammiert wäre: Hübsche spüren instinktiv, dass sie etwas Besseres haben könnten und verhalten sich auch so. Früher oder später beginnen sie zu nörgeln, zu mäkeln und sind ständig unzufrieden. Der Ärger ist vorprogrammiert, wenn einer deutlich höher abgebissen hat, als ihm zusteht.
Mit der Kamera in der Hand wandere ich ein Stück den Küstenweg entlang. Ein Schild warnt vor den gefährlichen Steilklippen, aber man muss kein Atomphysiker sein, um die Gefahr auch ohne Schild zu erkennen: Die Kante bricht 50 m senkrecht ab auf die Felsen und eine tobende Brandung.
Windig ist es hier oben über dem Meer, aber das ist es in der Bretagne wohl ständig. Ich knipse zwei Filme voll und mache mich auf den Weg nach Brest. Am Stadtrand kann ich schon an der Größe der Supermärkte ablesen, dass Brest eine der größten Städte der Bretagne sein muss.
Ich lenke das Motorrad auf den Parkplatz eines gigantischen Supermarkts. Ich liebe es, Lebensmittel zu kaufen. Dagegen verblasst sogar Schuhe shoppen auf den zweiten Platz, aber Carrefour Hyper Brest ist keine Freude, jedenfalls nicht zu Fuß und für einen Minimaleinkauf, wie ich ihn vorhabe: Käse, Fleisch und Alkohol.
Französische Supermärkte sind geradezu maßlos in ihrem Angebot: Die Fischabteilung ist wie ein eigener Stadtteil und auf einer Empore steht ein original japanischer Sushikoch und schneidet, knetet, hackt und kocht Sushi Take-away im Akkord.
Etwas weiter gibt es frisch gebackene Pizza, aber nicht diese dünnen italienischen Kekse mit Tomatenketchup, sondern echte original Pizza. Pieps und ich sind gleichermaßen hingerissen und entscheiden uns für die Jambon-Frommage, eine Pizza mit Käse und Schinken, so dick wie ein Maurerdaumen.
Die Fleischabteilung ist nach Tieren getrennt: Bœuf, Porc, Poulard und Halal, Rind, Schwein, Geflügel und Hammel. Jedenfalls denke ich, dass es Hammel ist, weil dort zwei arabische Frauen mit aufwendig verzierten Kopftüchern anstehen. Am Tresen für Bœuf kaufe ich eine Scheibe Entrecôte vom Charolais-Rind und nehme für Pieps und mich auch zwei Stücke Halal mit. Wir mögen Hammel.
Die Pizza essen wir draußen vor der Tür. Mit dem Messer schneide ich uns kleine Stücke davon ab, bis wir uns beide kaum noch rühren können. Pieps verschwindet völlig erledigt im Tankrucksack und ich schwinge mich nur mit Mühe in den Sattel der Kawasaki.
Ich mag Großstädte nicht und Brest ist keine Ausnahme. Es liegt an den vielen Menschen und dem dichten Verkehr. Jeder Meter ist asphaltiert, gepflastert und bebaut und die wenigen Bäume stehen wie Zootiere einzeln im Zement und sind bemitleidenswert.
Der Verkehr nervt, obwohl er nicht allzu dicht ist, aber wegen der Straßenbahn weiß ich nie so genau, wo ich fahren soll. Zum Glück kann ich mit Greeny überall fahren: Straßenbahnschienen, Bordsteine, Gehwege. Eine leichte Enduro ist überall gut, außer auf der Autobahn. Mit der irren Bodenfreiheit erklimme ich sogar den überhöhten Bordstein der Hafenbrücke. Die verbauen sie überall dort, wo es was zu sehen gibt und zugleich wenig Platz ist, weil sie nicht wollen, dass man da anhält, aber für Greeny sind sie kein Problem.
Der Hafen ist über eine Meerenge mit dem Atlantik verbunden. Am Fuß der Brester Festung liegt ein halbes Dutzend Schlepper in der Sonne. Die Schiffe, nicht die Banditen. Während ich am Brückengeländer lehne und Fotos mache, braust hinter mir der Verkehr über die
Pont de Recouvrance.
Hinter Brest fahre ich ein Stück Autobahn, weil das der einzig sinnvolle Weg ist, aber ich bin ganz froh, als meine Ausfahrt naht und ich wieder auf eine der ländlichen Departementstraßen abbiege.
Schließlich erreiche ich Châteaulin. Der Ort im Finistère liegt malerisch in einer Flussschleife der Aulne. Mein Campingplatz liegt ganz in der Nähe am Ufer des Flusses. Sieben Stunden war ich heute unterwegs und bin 260 km gefahren. Den Nachmittag und Abend brauche ich fürs Campingleben, für lesen, spazieren, träumen, im Schatten liegen, fotografieren, braten und nichts tun.
Der Empfang in der Rezeption von Camping Rodaven ist so herzlich, wie man ihn sich nur wünschen kann. Der Monsieur de la Camping ist charmant und witzig. Auf der Suche nach einer gemeinsamen Sprache bietet er Slow English an.
"Tonight there is a Rock Concert here. Just me and the guys", lädt er mich zu einem Konzert seiner Band ein. Heute Abend hier auf dem Campingplatz.
Vielleicht komme ich mal vorbei, antworte ich betont vage, so wie Frauen das tun, wenn sie sich keine Blöße geben wollen, obwohl längst feststeht, dass man sie nur mit einer spitzen Stange davon abhalten könnte, dort aufzutauchen.
Das Camp erstreckt sich auf einem großen Parkgelände am Fluss. Es ist ein heißer Tag und zu Pieps größter Freude gibt es einen hübschen Platz im Schatten eines alten Kirschbaums. Sorgfältig sammele ich die Kirschen vom Gras, um den Zeltboden nicht damit einzusauen. Pieps sammelt eifrig mit, wenn auch aus völlig anderen Motiven: Egal wie unreif, vergammelt oder zermatscht sie ist, sie steckt sich jede einzelne "Köörsche" in die Figur.
Sowie unser Lager fertig eingerichtet ist, spaziere ich mit Pieps in das kleine Bistro neben der Rezeption. Ich kaufe ein Eis für Pieps und Wein für mich. Wir setzen uns zum Eisessen und Schreiben auf die Terrasse.
Bevor wir heute Abend "ganz zufällig" beim Konzert der Band vorbeischauen, mache ich uns das Abendessen. Zuerst brate ich uns das Halal und als der Platz in der Pfanne frei wird, lege ich das Charolais Rind ins heiße Hammelfett. Es ist schwer zu sagen, welches Fleisch heute besser schmeckt, beide sind absolut Premium lecker, zart und sehr fett.
Zum Abwaschen gehe ich allein, während Pieps mit Hingabe sämtliche Nachbarparzellen nach Kirschen absucht, die sonst Zeltböden verschmutzen könnten.
Die Band heißt Marshall. Nicht Marshall and Friends, oder Marshall and the Runaways, sondern schlicht Marshall. Der Name der Band steht auf einem großen schwarzen Kasten, mit dem sie auch die Intensität der Rückkopplung steuern.
Ich sitze in der ersten Reihe aufgerüscht in einem schwarzen Minikleid, wilder Haarmähne und leider nur flachen Schuhen. Mehr kriege ich mit Bordmitteln nicht hin, aber das macht nichts, denn die Konkurrenz ist dürftig: Kein Dutzend Leute hat sich eingefunden, alles Friends and Family der Bandmitglieder, ich bin der einzige Campinggast im Publikum.
Marshall spielen harten Rock und der Sänger knurrt französische Texte dazu. Sehr cool, sehr dreckig, sehr laut. Ich verstehe nur sehr wenig von populärer Musik, aber diese hier sind wohl nach jedem Maßstab schlecht. Allein der Sänger, der Drummer und der Typ mit der E-Gitarre sind ganz gut, aber irgendwie wirkt es, als spielten sie zum ersten Mal zusammen.
Die Stimmung ist trotzdem ganz prima, weil die Marshalls selbst eine Menge Spaß an ihrem Konzert haben und es ist schade, dass die übrigen Camper verschreckt in ihren Zelten sitzen und nicht dazukommen, denn die Bewirtung ist klasse und die Preise in Ordnung.
Irgendwann kann ich keinen Weißwein mehr sehen und schwenke um auf Bier. Man empfiehlt mir Terenez Blonde, ein lokales Bier der Bretagne, das süffig schäumend ins Glas läuft.
Ich hasse es, wenn Ausländer uns bei etwas schlagen, das eigentlich eine deutsche Spezialität ist, so wie neulich mit der französischen Bratwurst, aber dieses Bier ist besser als unsere, sogar besser als Bölkstoff. Mit säuerlicher Mine bestelle ich eine zweite Flasche und registriere mit Genugtuung, dass ich davon allmählich betrunken werde.
Pünktlich um 22 Uhr zur Nachtruhe auf dem Campingplatz spielt die Band ihre letzte Note, trinke ich meinen letzten Schluck Bier, sammele Pieps ein und gehe schlafen.