Die Stadt im Salz
Für heute Morgen hatte ich Frühstück bestellt, aber als ich beim Restaurant ankomme, stehe ich vor verschlossenen Türen. "Looks deserted", bemerkt ein englischer Herr, der ebenfalls wartet. Zum Glück bin ich gestern schon mit Koteletts an Bord hier gelandet und habe mich nicht darauf verlassen, am Platz etwas zu bekommen.
Svenjas Camp Rule No. 9: "Verlass dich nie auf das Restaurant am Campingplatz. Hab immer alles selbst dabei!"
Mein erstes Ziel ist Guérande, die Stadt im Salz. Hier laufen seit dem Mittelalter sämtliche Fäden des Geschäfts mit dem Meersalz zusammen, Ernte und Handel ebenso wie der Verkauf von Souvenirs und der gesamte Tourismus rund ums Salz.
Die mittelalterliche Stadtmauer um das Zentrum von Guérande herum ist vollständig erhalten. Vier Tore gibt es, durch die man hineinfahren könnte, aber das wäre idiotisch, weil die Gassen so eng und Parkraum knapp ist. Nein, diesen Ort möchte ich zu Fuß erkunden.
Viele der kleinen, hübschen Läden öffnen jetzt. Markisen werden hervorgekurbelt, Gehsteige werden gefegt und Stühle herausgestellt. Ein junger Mann schreibt das Menü des Tages mit Kreide auf eine Tafel. Die Tür eines Salzladens wird geöffnet und im Verkaufsraum das Licht eingeschaltet. Die Stadt im Salz erwacht.
Es fahren kaum Autos in Guérande und es ist ein wahrer Genuss, in Ruhe die Geschäfte und ihre Auslagen zu bewundern, ohne dass geparkte Wagen den freien Blick fürs Auge und die Kamera stören. Welch ein wunderhübscher Ort Guérande ist.
Die Fahrt von Guérande nach Le Croisic dauert bloß wenige Minuten. Der dichte Verkehr allerdings ist erstaunlich. Reisebusse, LKW und Lieferwagen quälen sich ebenso in den kleinen Ort, wie die Autos der Sommerfrischler, Greeny und ich. Dabei ist die Halbinsel eine Sackgasse. Von hier geht es nicht mehr weiter.
Schon bei der Planung zuhause in Kiel hatte ich mich auf die Salzgärten der Bretagne gefreut und jetzt will ich sie endlich sehen. Ich steige aufs Motorrad und fahre aus Le Croisic hinaus zu den Salinen.
Zwischen Guérande und Le Croisic erstrecken sich die Marais Salants de Guérande, die Salzsümpfe der Guérande. Die flachen Becken der Salinen werden von der Flut mit frischem Meerwasser versorgt. Die Paludiers, die Salzbauern, betreiben ein ausgeklügeltes System verschiedener Becken, in denen das Wasser durch Sonne und Wind verdunstet und der Salzgehalt sich allmählich erhöht.
Mit Geschick und Erfahrung leiten sie das hochkonzentrierte Salzwasser schließlich ins Erntebecken, wo feine Salzkristalle auf der Oberfläche ausflocken und mit großen Rechen behutsam geerntet werden. Das beste und feinste, das weißeste und wertvollste Salz nennt sich Fleur de Sel, Blume des Salzes.
Das meiste, das ich über das Geschäft mit dem Salz weiß, habe ich aus Bretonisches Gold, wo mein Kollege Dupin genau hier, zwischen den Salzbecken, ermittelt. Dennoch ist es kaum zu fassen, dass aus dieser sumpfigen Jauche am Ende einmal das schneeweiße, reine Fleur de Sel gewonnen wird.
Eine salzige Schwüle liegt über den Salzsümpfen und als ich mir über die Lippen lecke, schmeckt es salzig. An einem der Becken holt ein Paludier seine Ernte ab. Mit einer Schaufel füllt er das Salz in einen weißen Sack. Daneben steht ein Renault Kangoo mit weit offenem Laderaum.
Neben einem Becken liegt eine besonders große Salzpyramide, sicher einen Meter hoch. Ich lasse das Motorrad stehen und wandere durch die Wiesen zu dem Becken. Hier bin ich mitten zwischen den Salinen, tief im Salz. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen.
Fast hundert Kilometer bin ich gefahren, das ist eine Menge für einen Jokertag und für heute will ich Feierabend machen. Pieps wird allmählich quengelig. Auf dem Rückweg ins Camp mache ich Halt bei einem großen Carrefour Markt, den ich mir auf dem Hinweg gemerkt hatte. Aber was ist das? Der Laden ist geschlossen. Heute morgen war er doch geöffnet.
Es ist kurz vor zwei und ich beschließe zu warten. Geduld ist zwar nicht meine Stärke, aber ich will nicht noch einmal losfahren müssen. Nach einer halben Stunde, die sich wie zwei Doppelstunden Verwaltungsrecht bei Döding anfühlen, erwacht Carrefour wieder zum Leben.
Pieps wünscht sich Bratwurst und ich kaufe einen ganzen Strauß Saucisses de Provencale, dazu zwei kleine Speckseiten. Eine für gleich und eine für morgen on-the-road.
Ich heize die letzten Kilometer zurück nach Hause und freu mich, als ich in mein sauber aufgeräumtes Zelt komme. Jedes Stück liegt fein säuberlich an seinem Platz. So mag ich es und deshalb fühle ich mich wohl auch so zuhause.
Es ist ein heißer Frühlingstag für Mitte Juni. Sowie ich die Motorradsachen gegen Rock und Top getauscht habe, schnappe ich mir den Waschbeutel und gehe duschen. Der frühe Nachmittag ist perfekt dafür. Die anderen Camper sind irgendwo unterwegs und das frisch geputzte Waschhaus scheint nur darauf zu warten, dass Pieps und ich es in eine Hölle aus Haaren, Dampf und Seifenschaum verwandeln.
Eine halbe Stunde später hängt unser Handtuch zum Trocknen in der Sonne, während ich den Picknicktisch decke. Pieps ist verrückt nach Picknicks und ich bin es auch. Ich breite die karierte Decke aus, die Claudie mir zu Weihnachten genäht hat, legen den Teller drauf und stelle ein Fläschchen Dijonsenf und die neue Salzmühle dazu.
Nach dem Essen mache ich die letzten Eintragungen ins Tagebuch und vertiefe mich danach in den ersten Band der Steampunk Chronicles. Die süße Finley Jayne ist übermenschlich stark und in Verbindung mit ihrer aggressiven Kämpfernatur erlebt mancher eine herbe Überraschung, der sich der süßen Finley gegenüber Frechheiten erlaubt. Eine Geschichte um Liebe und Freundschaft, um Verlust und Verzeihen, aber mit jeder Menge brutaler Action dazwischen.
Mit einem Auge habe ich Pieps im Blick, die nebenan über den Spielplatz tobt. Gerade hat sie den Monstertruck aus Jurassic Park entdeckt, einen total coolen Nachbau für Kinder. Sie kreischt vor Freude und pflanzt sich hinters Steuer des großen Geländewagens.
Hoffentlich kommt jetzt kein anderes Kind, denke ich. Wenn es dem Spielgerät zu nah kommt und dabei auch nur einen begehrlichen Seitenblick auf das bunte Plastiklenkrad wirft, dann kann ich später wieder mit einer wütenden Mutter aus Holland oder England diskutieren, die ein plärrendes Kind im Arm hält. Pieps ist ein wenig wie Finley, nur das es ihr hinterher nicht leid tut, was sie angerichtet hat.
Morgen früh fahren wir weiter und verlassen die Bretagne. Wir werden auf den Spuren von Monsieur Hulot wandeln und uns ansehen, wo er seine Ferien verbracht hat.
Aber das ist eine Geschichte für morgen...
zum nächsten Tag...
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