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Ferien bei Monsieur Hulot
Mein erster Halt heute Morgen ist der Ort, an dem der Film "Die Ferien des Monsieur Hulot" gedreht wurde, eine Komödie mit Jacques Tatis in der Hauptrolle und obendrein einer von Claudias Lieblingsfilmen. Über diesen alten Schwarz-Weiß-Streifen von 1953 lacht sie sich jedes Mal aufs Neue schlapp.
Claudie ist unbestritten mein liebster Mensch, aber ihre Urteilsfähigkeit auf dem Gebiet der Filmkunst ist doch recht fragwürdig. Bei Ingo Mittermaier verzieht sie keine Miene, aber Jacques Tatis, Karl Valentin und Emil findet sie schlicht großartig.
Pieps und ich dagegen sind Freunde der eher leisen Töne. Wir lieben den feinen Witz, den hintergründigen Humor und bevorzugen Klassiker der Filmkunst wie Ballermann 6, Dumm und Dümmer oder Zwei Nasen tanken Super mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk.
Claudia musste mich ein wenig bearbeiten, bis ich uns eines Abends endlich Monsieur Hulot aufgelegt habe. Das erstaunlichste war, dass Pieps mit ihr um die Wette gelacht hat. Die Szene mit dem Kellner und der Schwingtür hat es der kleinen Maus besonders angetan.
Der Parkplatz am La Plage de Monsieur Hulot ist noch leer, als ich das Motorrad vor dem Hotel abstelle. Hier in dem kleinen Badeort Saint-Marc-sur-Mer fanden 1951 die Dreharbeiten statt. Das Hotel wurde 2010 renoviert und ist nur noch mit viel Fantasie als das hübsche Strandhotel wiederzuerkennen, in dem Monsieur Hulot seine Ferien verbracht hat.
Um das Hotel herum stehen blau-weiß gestreifte Attrappen, die den Umkleidekabinen aus dem Film nachempfunden sind. An jeder hängt eine Tafel mit einer anderen Szene des Films und einigen Hintergrundinformationen dazu. Offenbar aber wurde ein großer Teil des Films ohnehin im Studio in Boulogne-Billancourt gedreht.
Auf der Promenade steht eine Statue von Monsieur Hulot und blickt hinunter auf den Strand. Der Bildhauer Emmanuel Debarre hat sie 1999 geschaffen. Ursprünglich trug sie eine Pfeife im Mund, wie sie untrennbar mit dem Charakter des Hulot verbunden ist, aber die wurde schon in den ersten Tagen nach der Installation abgebrochen. Es blieb nur ein dünnes Stück Rohr und es sieht aus, als ob Hulot lediglich ein gewöhnlicher Zigarettenraucher sei.
Offen gesagt gibt der Ort ansonsten nicht viel her. Das Interessanteste ist die Statue des Monsieur Hulot, mit der er perfekt getroffen ist. Die merkwürdige Körperhaltung, die Hochwasserhosen, der seltsame Hut. Man meint wirklich den leicht schusseligen Monsieur vor sich zu haben, der von Rowan Atkinson als Mr.Bean in Teilen kopiert wurde. Und selbst Loriot hat sich an einer Szene des Films bedient: Hulot will ein Bild gerade hängen und demoliert dabei die Einrichtung.
Strenggenommen gehört Saint-Marc-sur-Mer bereits zur Hafenstadt Saint-Nazaire und es sind nur wenige Minuten bis ins Zentrum. Auf einer vierspurigen Straße umgehe ich die Innenstadt. Der Verkehr fließt mit leichten 70 km/h auf eine gewaltige Hochseebrücke zu. Die ist mindestens 100 Meter hoch. Welch ein Koloss!
In Saint-Nazaire mündet die Loire in den Atlantik. Eine mehr als drei Kilometer lange Brücke überspannt den Fluss. Von oben ist nicht viel zu sehen, weil das Brückengeländer so hoch ist und ich den Kopf ohnehin nicht zur Seite drehen kann.
Ich bleibe viele Kilometer auf der Schnellstraße. Das ist zwar langweilig, aber bei 100 km/h liegt die öde Marschlandschaft bald hinter mir. In Bourgneuf-en-Retz lege ich die erste Pause ein und besorge in einer Bäckerei Baguette und zwei Pain au chocolat.
In Frankreich ist es die normalste Sache der Welt, sein mitgebrachtes Essen in einer Bar zu verzehren und nur sein Getränk dort zu kaufen. Ich parke vor dem Le Marais und gehe hinein. Dichtes Stimmengewirr empfängt mich. Männer stehen an der Bar, trinken und reden. Über allem liegt das Klappern von Gläsern und Geschirr.
Ich bestelle einen Grand Café au Lait und setze mich mit Pieps nach draußen unter einen Sonnenschirm. Während ich ins Tagebuch schreibe, verdrückt Pieps die Schokobrötchen. Ich bestelle einen weiteren Kaffee und hole die Speckseite aus dem Tankrucksack, die ich als Proviant eingepackt hatte.
Inzwischen sind wir längst südlich der Bretagne. Häuser und Pflanzen wirken immer südländischer auf mich. Es gibt Palmen und fremdländisch aussehende Gewächse, die Häuser tragen einfache rote Ziegel, bunte Fensterläden leuchten fröhlich in der Sonne.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Campingplatz. In La-Tranche-sur-Mer halte ich im Schatten eines Super-U und besorge uns etwas Leckeres zum Abendessen. Pieps ist nach wie vor verrückt auf französische Bratwürste mit Kräutern der Provence und mir ist es Recht, denn sie kosten bloß einen Bruchteil von Entrecote und schmecken wirklich ganz vorzüglich.
Schließlich stehen Greeny, Pieps und ich vor dem Tor unseres nächsten Camps.
Schon der erste Blick über den Zaun sieht klasse aus. Es ist genau der besondere Ort, den ich uns bei Cool Camping herausgepickt habe. Doch leider scheint es ein Problem mit dem Eingangstor zu geben. Es lässt sich nicht öffnen.
In der Einfahrt steht ein abgewohnter Ford Mondeo mit britischen Kennzeichen. Ein junges Pärchen sitzt darin. Beide großzügig tätowiert und gepierct. Ich tippe auf Blackpool oder Manchester. Sie sitzt am Steuer, er telefoniert mit dem Besitzer des Camps: Der Platz ist geschlosssen. So ein Mist!
Ich wünsche den Beiden "Good Luck" und fahre weiter. Es ist brütend heiß und ich bin seit acht Stunden unterwegs. Die Etappen sind viel zu lang geplant, aber im Nachthemd vorm Computer bei Kaffee und Bahlsen Chokini sind acht Stunden im Nu zusammengeklickt.
Und als ob das noch nicht genug wäre, hänge ich gleich noch eine Dummheit dran: Ich nehme mein GPS-Gerät und lasse es nach dem nächstgelegenen Campingplatz suchen. Das hat früher schon nicht funktioniert und tut es auch heute nicht: Nach nervtötenden 20 km im Feierabendverkehr von La Rochelle stehe ich im Gewerbegebiet vor einem Freizeitpark, wo ich nicht mal tot überm Zaun hängen, geschweige denn zelten wollte.
Höchste Zeit, das Gehirn einzuschalten und von nun an streng nach Anleitung vorzugehen. In "Svenduras Leitfaden für den kleinen Endurowanderer" heißt es im Kapitel 4, "Grundsätze der Planung":
"Wenn der Track am Ende des Tages nicht aufgeht, weil das Abschlusscamp geschlossen, overcrowded, oder aus anderen Gründen inakzeptabel ist, dann machen wir eine kurze Pause, trinken einen Schluck Wasser, verdauen die Enttäuschung und rufen den Track des nächsten Fahrtages auf.
Ab jetzt halten wir Ausschau nach Schildern mit den einschlägigen Campingsymbolen. Wenn wir alles nach Leitfaden geplant haben, gibt es ein Ausweichcamp auf den ersten 40 km des neuen Tracks. So vermeidet man unnötige Umwege, kommt dennoch rechtzeitig an die Bratpfanne und verkürzt nebenbei noch die Etappe des folgenden Tages."
Soweit die Theorie. Leider habe ich Svenjas Ratgeber nie gelesen, weil ich ihn noch nicht geschrieben habe und so bleiere ich viele öde Kilometer über flaches Land, bevor ich einen Campingplatz finde.
Mir läuft das Wasser am Körper runter, als ich in die Rezeption von Camp de la Gères trete. Ich bin nicht gut mit Hitze. Alles jenseits von 26° macht mich kirre und es ist deutlich wärmer. Ich bin ein Kind des Nordens. Zelten bei Kälte und Schnee? Kein Problem, aber wie schützt man sich gegen Wärme?
Die Dame an der Rezeption weist mir Parzelle 40 zu. Mit dem Plan in der Hand mache ich mich auf den Weg, um zu sehen, wo ich hinfahren muss. Trotz der Skizze finde ich sie nicht gleich und muss eine Weile suchen, bis ich endlich davor stehe. Ich habe die räumliche Vorstellungskraft einer Amöbe.
Parzelle 40 liegt abgeschieden im Schatten einer alten Platane. Sowie unser Lager steht, mache mich mit Pieps auf die Suche nach einer Erfrischung. Das Camp hat eine kleine Bar mit Eiscreme, Snacks und kaltem Bier. Pieps wünscht sich einen "Schmuusie". Woher sie das nun wieder hat. Für mich bestelle ich ein Bier.
Das Bier schmeckt echt klasse: "Oh, that tastes fine. Is it local?", fange ich ein Gespräch mit der Barfrau an. "No. Belgian", gibt sie leicht säuerlich zurück. "Isn't that the same?!", denke ich im Stillen.
Ich sitze im Schatten mit einem kühlen Bier und aus den Lautsprechern an der Bar klingen die Beach Boys mit "Wouldn't It Be Nice". Nun ist es doch noch ein perfekter Tag geworden, sinniere ich und puste gedankenverloren den Schaum von meinem Bier.