Reise in die Bretagne Tag 1: Kiel - Lörrach Tag 2: Lörrach - Langres Tag 3: Langres - Gien Tag 4: Gien - Saumur Tag 5: Saumur - Pontorson Tag 6: Mont Saint Michel Tag 7: Cancale - Trébeurden Tag 8: Lannion - Brest - Chateaulin Tag 9: Chateaulin - Concarneau Tag 10: Pont Aven - Südbretagne Tag 11: Salzgärten von Guérande Tag 12: Saint-Nazaire - Surgères Tag 13: Cognac - Jumilhac-le-Grand Tag 14: Jumilhac-le-Grand Tag 15: Jumilhac-le-Grand - Murol Tag 16: Château de Murol Tag 17: Murol - Camp Le Gouffre Tag 18: Vercors - Chartreuse Tag 19: St.Claude - Camp Cibourg Tag 20/21: Cibourg - Lörrach - Kiel
Sonntag in Concarneau
Sonntagmorgen. Es ist ganz still und friedlich im Camp, die Vorhänge der Wohnwagen sind noch zugezogen. Ich drücke den roten Startknopf am Lenker der Kawasaki und der Einzylinder erwacht leise bollernd zum Leben. Wie gut, dass ich der Versuchung immer widerstanden habe, eine Krawalltüte anzubauen. Ich würde mich selbst hassen, wenn ich morgens die Maschine starte.
Heute liegen nur 170 km vor mir und der erste Halt ist die Bäckerei in Chateaulin. Gerade kommt der Wirt des Campingbistros mit einem Sack voller Baguettes heraus und steigt in seinen Renault. Die Baguettes gucken ein gutes Stück oben aus dem Sack. Es sind wohl zu viele, um sie mit bloßen Händen zu tragen.
Vor dem Tresen steht schon eine Schlange von Brötchen- und Baguettekäufern. Ich höre gespannt zu, was andere am Sonntagmorgen bestellen und wie sie es sagen, auch wenn ich nur wenig verstehe. Als ich der Reihe bin, bestelle ich Croissant und Kaffee für mich und Babyccino mit Mandelkuchen für Pieps.
Ich sitze viel länger in der kleinen, gemütlichen Bäckerei, als ich geplant hatte, und bestelle einen Kaffee nach dem anderen, bevor es nun endgültig Zeit wird, weiterzufahren.
Die nächsten Kilometer führen durchs Inland und ich empfinde dasselbe wie gestern: An der Küste ist die Bretagne wunderbar, dramatisch, mitunter überwältigend schön. Im Inland aber ist eine Fahrt durch die Bretagne kaum interessanter, als eine Tour durchs Emsland.
Mein nächster Tipp stammt vom Kollegen Dupin selbst. Er riet mir, das berühmte Pointe du Raz zu meiden und stattdessen das weniger bekannte, aber umso schönere und einsame Pointe du Van zu besuchen, wenn ich einen Blick auf die sagenhafte bretonische Steilküste werfen wollte. Dorthin sei er mit Claire auch gerne gefahren und nie enttäuscht worden. Zumindest nicht von der Aussicht.
Die Klippe ist nur zu Fuß zu erreichen. Ich fahre so weit ich darf und lasse das Motorrad schließlich auf einem Sandparkplatz zurück. Von dort führt ein Weg zwischen Ginster und Hecken an die Küste.
Schon von weitem entdecke ich die Kapelle oben auf der Klippe. Ich klettere über den Zaun und taste mich näher an die Abbruchkante heran. Weit unter mir tobt eine Mörderbrandung über schroffe Felsen, gibt kleine Höhlen frei und überspült sie im nächsten Moment mit gewaltigen Brechern. Gischt liegt in der Luft.
Weit draußen, durch Nebel und Dunst kaum zu erkennen, steht einsam ein Leuchtturm, der den Gewalten des Atlantiks trotz. Wie mag es dort draußen sein? Auf dem einsamen Felsen ganz allein? Im November, wenn die Herbststürme von See hereinbrechen? Vielleicht würde ich mich dort wohlfühlen, sicher und geborgen. Allerdings müsste der Nachschub an Entrecote, Blanchet und Negerküssen zuvor geklärt sein.
Vom Pointe du Van fahre ich weiter die Küste entlang. Die kleinen Häfen sehe ich so gerne an. Es ist gerade ablaufendes Wasser, als ich in Audierne die Brücke über den Fluss überquere, der hier ins Meer fließt. Boote liegen auf dem Trockenen und dazwischen gehen Männer mit Eimer und Forke umher und graben nach Muscheln.
Ich bleibe auf der Brücke stehen und sehe interessiert zu, wie die kleine Schar von Sammlern hackt und gräbt, dabei ab und zu eine Muschel prüfend empor hält und allmählich ihre Eimer fürs Sonntagsessen füllt. Die Szene hat etwas Friedliches, so als gäbe es diese verrückte Welt außerhalb der Bretagne gar nicht.
Ein Stück weiter entdecke ich im Schlick der Uferböschung einen alten Schiffsfriedhof. Hierher ziehen sich Fischerboote zum Sterben zurück, wenn ihre Zeit gekommen ist. Eine Vielzahl von Gerippen unterschiedlicher Größe fault in der Sonne. Ein Kutter dürfte noch nicht lange dort liegen, er ist sogar noch unter Farbe. Ob von ihm in einigen Jahren auch bloß noch das Gerippe übrig ist?
Einen Ort gibt es, der in den Romanen um Kommissar Dupin eine besondere Rolle spielt und das ist Concarneau. Das Besondere an der kleinen Stadt ist die Ville Close, die von massiven Mauern umgebene Altstadt auf einer Insel im Hafenbecken.
Dupin wohnt am Hafen von Concarneau und sein Stammlokal ist das L'Amiral, jener Laden, in dem unser Kommissar stets 2 petit Café auf einmal bestellt - schon weil ihm sein Hausarzt, Docteur Garreg, das veboten hat, und wo es das beste Entrecote Frites geben soll, Dupins und mein Lieblingsgericht.
Ich parke das Motorrad auf einer gelb schraffierten Parkfläche in der Nähe der Kaimauer und gehe hinüber zu dem majestätischen Gebäude, in dessen Erdgeschoss das L'Amiral sitzt. Auf den ersten Blick bin ich ein wenig enttäuscht, das Restaurant ist größer und moderner, als ich angenommen hatte.
Andererseits hatte Dupin mich gewarnt, nicht zuviel zu erwarten:
Charme besaßen die Räume des Amiral keinen mehr, seitdem man sie vor ein paar Jahren mit großem Aufwand von Grund auf renoviert oder, wie Paul Girard, der leutselige Besitzer, stolz formulierte, «vollständig modernisiert» hatte. Quelle: Bretonische Verhältnisse: Ein Fall für Kommissar Dupin, Jean-Luc Bannalec, Kiepenheuer & Witsch.
Ich sehe mich um nach Polly, die zur selben Zeit mit ihrem Motorrad in der Bretagne unterwegs ist, aber ich kann weder sie, noch ihren markanten Cruiser entdecken und allein habe ich keine Lust, hier zu essen.
Stattdessen möchte ich mir die Ville Close ansehen, deren Eingang nur wenige Schritte gegenüber liegt. Die Altstadtinsel hat mich schon im Reiseführer beeindruckt. Die Sonne zaubert malerische Lichtflecken auf die sonst so kühle Festungsmauer und unter meinen Händen fühlt sie sich ganz warm an.
Ein Straßenmusiker sitzt im äußeren Hof der Burg und spielt eine schwere Melodie, die viel zu traurig ist für den schönen Tag. Durch das große Tor in der Mauer trete ich ein in die Grand Rue, die High Street, die Hauptstraße und Fußgängerzone.
Die große Gasse durch die Ville Close erinnert sehr an die Grand Rue im Mont Saint Michel: Die malerischen Restaurants, der Strom neugieriger Besucher, die Souvenirläden und allerlei kleine Geschäfte. Alles wirkt hübsch und geschmackvoll, kein übertriebener Kommerz.
Auf dem Place Saint-Guénolé hat die Conserverie Gonidec ihren Laden. Ein Fachgeschäft für Fischkonserven? Auf den ersten Blick merkwürdig, aber Konservenfabriken haben eine große Tradition in der Bretagne, auch wenn heute nur noch wenige davon erhalten sind.
Die bekannteste ist wohl Gonidec in Concarneau, die jedes Jahr eine Reihe besonders schön gestalteter Dosen herausbringen.
So gut mir Concarneau und die Ville Close auch gefallen, nach einer Stunde sitze ich wieder auf dem Motorrad und fahre aus der Stadt hinaus. Dabei beobachte ich mich wie durch fremde Augen selbst: Wieso reicht es mir, einen Ort anzusehen, die Stimmung in mich aufzunehmen, ein paar Aufnahmen zu machen und dann weiterzufahren?
Die Antwort glaube ich zu kennen: Weil danach nichts mehr kommt. Weil ich dann weiß, wie es sich dort anfühlt. Besser wirds nicht. Manchmal stört es mich, so zu sein, und ich wünschte, ich würde bleiben wollen, hätte Geduld und Muße, aber das bin nicht ich, Svenja.
Das Einzige, das ich heute noch erledigen muss, bevor es zum Campingplatz geht, ist der Einkauf. Ein kleiner Intermarche hat am Sonntag geöffnet und Pieps wünscht sich mal wieder "Braatwohst". Mir soll es Recht sein, ich mag Bratwurst, wenn auch nicht allzu oft, aber einmal am Tag ist ok, denke ich.
Es ist kurz nach drei, als ich die Enduro vor der Rezeption vom Camping des Chaumières abstelle. Die perfekte Zeit, um Feierabend zu machen und das Zelt aufzuschlagen. Für mich ist das wichtig, ich will nicht den ganzen Tag bloß Motorradfahren. Das Campingleben bedeutet mir mindestens ebenso viel.
Kaum eine Handvoll Plätze des großen Camps sind belegt und dabei hatte ich befürchtet, dass vielleicht nichts frei sein könnte für Pieps und mich auf diesem hübschen Platz in der Bretagne, aber außer im Juli und August braucht man sich darum in Frankreich keine Sorgen zu machen, es ist immer etwas frei.
Völlig ungestört sitzen Pieps und ich im offenen Zelt und schauen hinaus auf die exotisch anmutenden Pflanzen. In der Bretagne hat sich ein Mikroklima entwickelt, das oft sonniger und wärmer ist, als es ihrem Breitengrad zustünde.
Am frühen Abend decke ich den Tisch und baue die Küche auf. Ich schraube den Kocher auf die Gaskartusche, gieße ein wenig Olivenöl in die Pfanne und lege die Bratwürste hinein. Den freien Platz um die Würste herum fülle ich mit kleinen Brocken von Baguette, die gierig das heiße Öl aufsaugen und dann allmählich mit den Würsten zusammen knusprig werden.
Brot, Fleisch, Fisch und Wein. Jeden Abend wird aus frischen Zutaten neu gekocht, wir essen fast keinerlei industriell verarbeitete Lebensmittel. Gesünder, als Pieps und ich kann man sich nicht ernähren.
Während Pieps sehnsuchtsvoll auf das Essen in der Pfanne starrt, schreibe ich die jüngsten Erlebnisse ins Tagebuch. Wenn ich in zwei Wochen zu Hause bin, bleiben 77 Tage, bis es wieder los geht. Das ist mehr als genug Zeit, um ein wenig zu arbeiten, Greeny mit frischem Öl und neuen Reifen zu versorgen und unsere Sachen für die Dolomitentour zu packen.