Überraschende Begegnung
Achtzehn Reisetage und noch kein Tropfen Regen. Nicht ein einziger! Schon dafür liebe ich Frankreich. Und natürlich wegen der Erfindung des Rotweins, der Croissants und des Entrecôtes. Dagegen würde ich im Leben nicht wieder nach Nordirland fahren. Außer vielleicht in einem U-Boot.
In tausend Metern Höhe liegt Saint-Pierre-de-Chartreuse. Ich erkenne das Dorf sofort wieder. Hier habe ich auf meiner Reise in die Auvergne so gut gegessen. Ich muss bloß diese hübsche Bäckerei wiederfinden.
Ich bestelle Kaffee und einen dreifachen Croque Monsieur au Jambon, einen Klassiker der französischen Küche, ein Gedicht aus geröstetem Brot, heißem Käse, Schinken und unzähligen Kalorien. Ich liebe es und Pieps tut das auch.
Mit neuer Energie steige ich aufs Motorrad und fahre weiter. Manche Schluchten im Gebirge sind so tief eingeschnitten, die Felswände so steil, dass kaum ein Sonnenstrahl bis nach unten fällt. Hier ist es angenehm kühl.
Schließlich wird die Straße breiter, der Verkehr stärker und ich fahre geradewegs durch die Innenstadt von Chambery. Das Schönste an dieser 60.000-Einwohner-Stadt ist ihr Name. Ansonsten ist sie ziemlich ätzend und der dichte Straßenverkehr kein Vergnügen. Die Luft steht im Tal. Ab dreißig Grad ist es mir zu heiß zum Motorradfahren. Wenn ich in ein paar Wochen nach Italien fahre, werde ich zum ersten Mal meine neue Rokker The Diva Jeans anziehen. Falls ich es bis dahin schaffe, mich in die hautenge Kevlarhose rein zu hungern.
Die junge Frau an der Rezeption ist von so herzlicher Freundlichkeit, dass ich mich sofort willkommen fühle. Mir ist unerträglich heiß und sie empfiehlt mir eine ganz bestimmte Parzelle mit viel Schatten. Der Platz ist tatsächlich angenehm schattig, aber um mich herum stehen dicht an dicht Wohnwagen, Wohnmobile, Autos und Zelte.
Es ist sogar zu heiß für ein schweres Abendessen. Ich werde mir nur die Konservendose heiß machen, die Salami essen, das Baguette, den Käse und die Dose Thunfisch in Öl. Mit halb leerem Magen schläft es sich bei diesem Wetter besser.
Zarte Hammelstücke in einer köstlichen Tomatensauce mit Schnittlauch bestreut, begleitet von Flageolets, garniert mit geschnittenen Zwiebeln, Tomaten und gedünsteten Karotten. Das ist es, was die Konserve verspricht und das Foto auf dem Etikett macht Appetit.
Der graubraune Blubberlutsch der kurz darauf aus der Blechbüchse in die Pfanne quillt, sieht schon weniger appetitlich aus. Viele Bohnen, viel Sauce und nur wenige Brocken fettes Mufflonfleisch. Am besten kaut man das Zeug nicht, sondern schluckt es runter wie Tabletten.
"Bäh...!", sind Pieps und ich uns einig. Dieser Mahlzeit wohnte kein Zauber inne. Wir übertünchen den Geschmack mit dem Öl aus der Fischdose.
Während der Fahrer das Token für die Schranke aus dem Tankrucksack nestelt, werfe ich einen Blick aufs Kennzeichen: HB, Bremen. Blonde Haare gucken frech unterm Helm hervor, kleine Füße, ein Mädchen!
Mehr aus einer Laune heraus rufe ich in fragendem Tonfall hinüber: "Claudia?!"
Ich kannte einmal eine Claudia aus Bremen, die sich eine KTM kaufen wollte, aber das ist zwölf Jahre her und damals gab es nur eine 900er, das Vorgängermodell.
"Woher weißt du das?"
Ihr Tonfall ist überrascht und alarmiert zugleich. Sollte es wirklich...? Durch den Schlitz des offenen Visiers sehe ich in ihre Augen und erkenne sie sofort: Das ist Claudia, der TurboDoc aus Bremen. Mit ihr war ich 2005 in Schweden zu diesem tollen Open Air Concert der Abba Revival Band. Damals fuhr sie eine Africa Twin und ich die KTM 640 Adventure.
"Und wer bist du?" Sie erkennt mich nicht. Kein Wunder, sie hat Svenja nie gesehen.
"Ich bin Sven...ja." Jetzt allmählich dämmert ihr wer ich bin.
Was im Film eine dieser unglaubwürdigen Wendungen ist, wenn ein Regisseur sich anders nicht zu helfen weiß, um seine Geschichte voranzubringen, geschieht jetzt vor meinen Augen: Nach zwölf Jahren treffe ich eine Motorradkumpeline, die ich ewig aus den Augen verloren hatte, zufällig wieder. Beide fern der Heimat, beide unterwegs mit Enduro, Zelt und Schlafsack und beide auf demselben Campingplatz.
Dabei hätten wir uns schon vorgestern in Murol auf dem Flohmarkt am Lac Chambon treffen können, wie ich später erfahre. Wir sind beide ein wenig schockiert und zugleich neugierig aufeinander. Es gibt eine Menge zu erzählen und es fällt ihr anfangs nicht leicht, sich an die neue Svenja zu gewöhnen: "Muss ich dich jetzt auch so nennen?"
"Ja!"
Sogar unsere Ausrüstung ähnelt sich: Neben Enduro, Zelt und Schlafsack haben wir jede auch eine halbe Flasche Wein dabei. Wir nehmen die angefangenen Flaschen und setzen uns an einen der Picknicktische vor der Rezeption. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit und es gibt viel aufzuholen: Motorräder, Reisen, Beruf, Partnerschaften, Krankheiten. In dieser Reihenfolge. Wir setzen beide ähnliche Prioritäten.
Der Wein geht uns lange vor dem Gesprächsstoff aus und irgendwann bin ich zu müde und verabschiede mich in mein Zelt. TurboDoc will noch ihr Abendessen kochen und ich gehe schlafen. Das war ein aufregender Tag.
"Komm Pieps, wir gehen Zähneputzen und dann ab in die Heia..."
zum nächsten Tag...
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