Reise in die Bretagne Tag 1: Kiel - Lörrach Tag 2: Lörrach - Langres Tag 3: Langres - Gien Tag 4: Gien - Saumur Tag 5: Saumur - Pontorson Tag 6: Mont Saint Michel Tag 7: Cancale - Trébeurden Tag 8: Lannion - Brest - Chateaulin Tag 9: Chateaulin - Concarneau Tag 10: Pont Aven - Südbretagne Tag 11: Salzgärten von Guérande Tag 12: Saint-Nazaire - Surgères Tag 13: Cognac - Jumilhac-le-Grand Tag 14: Jumilhac-le-Grand Tag 15: Jumilhac-le-Grand - Murol Tag 16: Château de Murol Tag 17: Murol - Camp Le Gouffre Tag 18: Vercors - Chartreuse Tag 19: St.Claude - Camp Cibourg Tag 20/21: Cibourg - Lörrach - Kiel
Schlösser der Loire
In der Nacht prasseln kräftige Regenschauer aufs Zelt, doch als ich am Morgen den Reißverschluss aufziehe und verschlafen nach draußen sehe, sind da bloß noch Pfützen, in denen sich schon wieder blauer Himmel und weiße Wölkchen spiegeln.
Ich rolle das Zelt zu einem nassen Bündel zusammen und packe es als letztes Gepäckstück hinten aufs Motorrad. An der Ausfahrt krame ich in meinem Gedächtnis nach dem Code für die Schranke bis er mir wieder einfällt und der lange Schlagbaum nach oben schwingt. Kurz darauf biege ich vom Campingplatz auf die Landstraße ein.
In den nächsten Tagen werde ich 330 km an der Loire entlang fahren und eines habe ich schon bei der Planung festgestellt: Man braucht die Schlösser der Loire nicht zu suchen, sie finden einen. Man muss nicht mehr tun, als ab und zu mal aus dem Helm zu sehen.
Kurz darauf stehe ich vor dem Schloss Sully-sur-Loire. Es ist von breiten Wassergräben umgeben, die von der Sange, einem Nebenfluss der Loire, gespeist werden. Ein früher Vorfahre der Familie Sully hat vor tausend Jahren hier die erste Burg errichtet.
Wie mag es hier im Jahr 900 ausgesehen haben? Ob prächtig gekleidete Ritter über die Zugbrücke hergeritten sind? Wehten bunte Banner von den Türmen? Oder schlurften bloß ein paar arme Leute durch den Matsch, immer auf der Suche nach einem Stück Brot?
Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wie es hier vor tausend Jahren ausgesehen hat, aber an diesem Dienstagmorgen im Jahr 2017 sind vor der Burg nur mein Motorrad und ein Transporter der Stadtreinigung zu sehen. Ein Arbeiter leert systematisch die vielen Mülleimer, die die Stadt entlang des Burggrabens aufgestellt hat. Wenn um 10 Uhr die ersten Reisebusse eintreffen, werden sie sich rasch wieder füllen.
Das Loiretal ist berühmt für seine Schlösser und die kostbaren Gärten, die zu den schönsten der Welt zählen, aber die Strecke selbst ist langweilig. Die Straße führt geradeaus über plattes Land und obwohl sie nah am Fluss verläuft, bekommt man ihn doch nie zu sehen. Nur selten gibt eine Lücke im Gestrüpp den Blick frei auf die Loire.
Ich bin ohne Frühstück gestartet und allmählich wird es Zeit für heißen Kaffee und ein paar leckere Kalorien, doch anders als im ländlichen Frankreich, wo es eine Boulangerie an jeder Ecke gibt, hat es hier nur Gewerbebetriebe, Baumärkte und Tankstellen. Im morgendlichen Berufsverkehr rolle ich von Ampel zu Ampel auf Orléans zu.
Ein weißer Lieferwagen fährt schon eine Weile unverschämt dicht vor mir her und versperrt die Sicht. Dadurch entdecke ich das Café erst, als ich schon daran vorbei bin. In einer verwegenen Aktion entere ich den Bordstein und fahre auf dem Gehsteig zurück.
Das Patapain gehört zu einer Kette von Schnellrestaurants für alles um Brot und Kuchen, ein wahrer McDonalds der Konditorei. Ich bestelle mir ein Baguette mit Käse und Schinken und einen Toast Champagne für Pieps.
Der Kaffee ist nur so lala, aber der Toast ist klasse: Frisches Weißbrot knusprig überbacken, dazwischen eine gewaltige Schicht Käse, Schinken und Tomaten. So gehaltvoll und schwer, so knusprig und lecker.
Eine Stunde lang sitze ich in dem schönen, warmen Café und beobachte die Menschen, die sich Baguette und Kuchen holen. Nebenher kritzele ich in mein Tagebuch, während Pieps sich genüsslich durch die Reste des Toast Champagne krümelt.
Mein nächster Halt ist Orléans, wo ich die Reiterstatue von Jeanne d'Arc, der Jungfrau von Orléans ansehen will. Viel weiß ich nicht über sie, nur dass sie eine junge Frau war, die gerne geritten ist, viel gekämpft hat und im Alter von 19 Jahren auf dem Scheiterhaufen endete.
Die Rue Jeanne d'Arc führt schnurgerrade auf das Hauptportal der Kathedrale Sainte-Croix zu. Ich parke das Motorrad in der Rue Royale und schlendere zum Place de Martroi. In der Mitte des Platzes steht ein Reiterstandbild von Jeanne d'Arc. Stolz und aufrecht sitzt Jeanne auf ihrem Pferd und hält dabei ein Schwert in der rechten Hand.
Interessanter, als die von Grünspan überzogene Bronzeplastik ist das Carrousel Palace Jules Verne, ein Kinderkarussell nach Motiven von Jules Verne. Da ist der Heißluftballon aus Reise um die Erde in 80 Tagen, die Mondrakete aus Von der Erde zum Mond und sogar das U-Boot Nautilus aus 20.000 Meilen unter dem Meer, dazu einige andere Motive, die ich nicht kenne.
Abenteuergeschichten faszinieren mich schon mein Leben lang. Als Kind habe ich alles aus diesem Genre gelesen, das mir in die Hände fiel, Mark Twain, Jack London, Karl May, Stevenson, Defoe, Alexandre Dumas und natürlich Jules Verne.
Wenn es ein Symbol für heile Welt und die Abwesenheit alles Bösen gibt, dann ist es ein solches Kinderkarussell. Nicht nur Pieps ist hingerissen von der fantastischen Märchenwelt, der Drehorgelmusik und den blinkenden Lichtern.
Wir sitzen eine ganze Weile und sehen zu, bevor wir uns endlich losreißen können und zurück zum Motorrad gehen. Orléans ist eine Reise wert, welch eine schöne Stadt das ist.
Auf gewisse Weise ähneln sich die größeren Städte entlang der Loire: Stets überspannt eine historische Steinbogenbrücke den Fluss und über der Stadt erhebt sich ein prachtvolles Schloss, das geradezu danach verlangt, fotografiert zu werden.
Am Fuß von Schloss Saumur liegt eine Flussinsel in der Loire mit einem großen Campingplatz darauf. Eine perfekt durchorganisierte Campingmaschine, seelenlos und unpersönlich, mitten im Fluss, aber auch mitten in der Stadt. Nein, hier bleibe ich nicht. Ich halte nur gerade lang genug an, um in meinem GPS einen anderen Track auszuwählen: Tag_4_Plan_B.
8 km hinter Saumur endet mein Track vor der Rezeption von Camping Terre d'Entente, ein reizendes 2-Sterne Camp am Ufer der Loire. Was dem Platz an Service und Animation fehlt, macht er durch seine ruhige Lage am Fluss wieder wett.
Der junge Mann in der Rezeption ist bester Laune und so freundlich, so dass ich mich auf Anhieb wohlfühle. Das Camp hat zwar kein eigenes Café, aber einen Brötchenservice und ich bestelle für morgen Croissants und Kaffee.
Heute Abend gibt es Bratwurst mit Kräutern der Provence. Ich brate uns ein halbes Dutzend davon in gutem Olivenöl, bis sie schön knusprig sind. Dazu gibt es Dijon Senf und Rotwein.
Es ist unglaublich: Deutschland ist doch das Mutterland der Bratwurst. Wir machen doch die Besten. Und doch schmecken diese leckerer, als jede, die ich von zuhause kenne und sogar besser, als das Entrecote von gestern. Französische Bratwurst ist so aromatisch gewürzt, ein Feuerwerk verschiedener Eindrücke und nicht nur Kümmel, Salz und Majoran.
Morgen geht es noch ein Stück weiter an der Loire entlang, bevor ich nach Norden abbiege und direkt auf die Bretagne zuhalte. Abends schlage ich das Zelt schon in der Bretagne auf.