Im Perigord
Das Zelt steht tief im Schatten, nebenan gurgelt leise der Fluss. Ausgeschlafen und voller Tatendrang ziehe ich den Reißverschluss auf und stecke den Kopf nach draußen. Die Sonne scheint über einem tiefblauen Himmel. Bienen schwirren emsig umher. In meinem Snoopy Nachthemd wandere ich hinüber zur Rezeption und hole die bestellten Croissants ab.
Ich tausche das Nachthemd gegen Jeansmini, Leggings und Shirt und mache mich mit Pieps zu Fuß auf ins nächste Dorf. Das Camp liegt auf freier Strecke im Wald. Ich spaziere am Rand der Landstraße entlang. Die Strecke ist schmal und kurvig. Wenn ich ein Auto höre, mache ich einen Schritt zur Seite.
Nach einer Weile erreiche ich das Ortsschild von Jumilhac-le-Grand. Die kleine Ortschaft mit ihren 1200 Einwohnern liegt im Périgord, dem Land der Gänse, Nüsse, des Käses und der Troubadoure.
Nicht weit hinter dem Postamt liegt das La Normande. Es ist Freitagmorgen, die Bar ist geöffnet. Der Wirt, ein grobschlächtiger Typ von der Gestalt eines Gérard Depardieu sieht aus, als sei er sein bester Kunde und die Frau auf dem Hocker am Tresen wirkt wie ein Überbleibsel von gestern Nacht.
Ich kann die Blicke spüren, die mir folgen, aber sie sind nicht düster, bloß neugierig. Sicher würde ich auch gucken, wenn im Birdy unverhofft eine Else von 1,83 m reinschneit, im kurzen Rock und in Begleitung einer vorlauten Maus.
Während ich Kaffee trinke, kommt eine junge Postbotin mit dem Fahrrad. Sie steigt ab und verschwindet mit einer Handvoll Briefen in der Bar. Es beginnt die französische Begrüßung: Küsschen links, Küsschen rechts und dann wieder links dezent über die Schulter gespuckt.
Wenn, wie in diesem Fall, drei oder mehr Franzosen zusammenkommen, wird es ein regelrechtes Kissorama und nimmt einige Zeit in Anspruch. Bei uns zuhause in Schleswig-Holstein wäre der Postbüddel reingekommen, hätte einmal, und wirklich nur einmal, "Moin!" gesagt und der Wirt hätte ebenso geantwortet. Fertig wären Begrüßung und Vorstellung aller handelnden Personen.
Die junge Frau in der blauen Uniform der La Poste ist nicht in Eile. Sie schwatzt ausführlich mit den Gästen. In Berlin, Hamburg und Kiel unvorstellbar, wo die Routen der Zusteller längst bis an die Leistungsgrenze durchgetaktet sind. Gerade, als ich denke, nun fährt sie weiter, steckt sie sich eine Zigarette an und setzt die Unterhaltung durchs geöffnete Fenster fort.
Am Boden des Grand Café breche ich auf und schlendere den Boulevard Général de Gaulle hinunter. Hinter einer Feldsteinmauer blühen Rosen. Ein Meer von Blumen, Gräsern und Sträuchern in einem längst vergessenen Garten.
Unsere Gärten zuhause sind selbstverständlich besser. Sauberer, gepflegter, das Gras geschnitten, das Unkraut gezupft, die Beete mit Kantensteinen gegen Wildwuchs gesichert. Die Hütte mit Strom und Doppelverglasung. Und falls doch einmal etwas herumliegt, dann ist es zumindest von Gardena!
Viele der Häuser und Gärten, die ich Frankreich so malerisch finde, würden bei uns in Deutschland nicht funktionieren. Wir würden die Dinge in Ordnung bringen und das Schöne dabei kaputt machen. Ich hab eine Weile gebraucht um zu kapieren, dass es eine Kunst ist, Dinge stilvoll verwittern zu lassen. Es braucht Zeit und Geduld. Bloß nicht zu viel Pflege, Farbe und Aufwand, aber auch keinesfalls zu wenig.
Am Automaten der Crédit Agricole zerre ich 300 € aus der Wand und fülle meine Reisekasse auf. Ich mag Bargeld, es gibt mir Sicherheit. Die Plastikkarten sind bloß ein Versprechen und ich weiß, wie ätzend es ist, wenn sie unvermutet und ohne erkennbaren Grund die Lust am Bezahlen verlieren.
Gleich nebenan gibt es eine winzige Boulangerie. Ich brauche ein Brot für heute Abend. Die Auswahl ist klein. Es gibt Baguettes in unterschiedlichen Dicken und Längen und ein paar Kuchen. Ich mag die geringe Auswahl. Wenn es mehr als, sagen wir sechs, oder acht Möglichkeiten gibt, dann frisst mein Verstand sich regelrecht fest und ich zeige am Ende hilflos auf irgendwas.
Zum Mittagessen lasse ich mir ein Stück kaltes Roastbeef einpacken und zum Nachtisch eine Schale hausgemachten Coleslaw. Seit ich den erfrischenden Salat aus Kohl und Mayonnaise auf meiner Schottlandreise zum ersten Mal probiert habe, liebe ich das Zeug. Ein Gericht, dessen Hauptzutat Mayonnaise ist, kann im Grunde nur etwas Gutes sein.
Obwohl ich kaum ein Wort Französisch spreche, komme ich bestens zurecht. Die Menschen sind ausnehmend freundlich und hilfsbereit. Sie versuchen alles, um zu verstehen, was ich möchte. Alle meine Vorurteile gegen missmutige Franzosen, die dich hängen lassen, wenn du die Sprache nicht sprichst, wurden nicht bestätigt. Es ist wie mit den Deutschen und den Lederhosen. Tragen alle Deutschen Lederhosen? Nein, aber es gibt ein paar, die es tun.
Gegenüber der Burg liegt eine kleine Bar. Außen dran steht Patisserie und Salon de The, aber im Grunde ist es eine Kneipe. Das Flaschenregal ist gut bestückt, aber der Kuchentresen bis auf zwei Schokobrötchen verwaist. An den Wänden hängen Fotos des örtlichen Fußballvereins und Ansichten der Umgebung. Ich gehe zum Tresen und bestelle Kaffee für mich und eines der Schokobrötchen für Pieps.
"You're talking politics?" Sie nicken.
"Macron?", frage ich. Der Jüngste steckt sich einen Finger in den Hals und zeigt eine durchaus gelungene Kotzpantomime. Offensichtlich kein Macron Fan.
"Le Penn?", setze ich nach.
Jetzt werfen alle Drei mir Blicke zu, als hätte ich Babyrobbensalat bestellt: "No, no, no!", versichert der Vollbart mit dem lustigen Hut.
Ich lasse sie in Ruhe und vertiefe mich wieder in mein Tagebuch. Pieps hat nicht ein Mal von ihrem Schokobrötchen aufgesehen. Politik interessiert sie nicht.
Der Campingwart rumpelt mit einem alten Traktor vorbei. Auf dem Anhänger liegt eine Waschmaschine. Er grüßt freundlich. Ich lächele und winke zurück. Kurz darauf ist es wieder ganz still auf dem Platz. Nur das unablässige Schwirren der Insekten und das Zirpen der Grillen ist zu hören. Meine Güte, ist das schön hier.
Bevor es Abendessen gibt, müssen wir unbedingt unter die Dusche. Besonders eine gewisse Maus hat es nötig. Nach einigem Gezeter, etwas Shampoo im Auge und dem ewigen Streit um den letzten trockenen Zipfel des Handtuchs, sitzen wir mit frisch gewaschenen Haaren vor der Bratpfanne. Es gibt Entrecote aus dem Laden von Didier Moyrand und wie sich herausstellt, ist es bisher das beste Steak der ganzen Reise. Nur die Rib Eye Steaks vom Sägespan Butcher aus Chipping Norton waren noch ein, zwei Klicks besser.
Das habe ich schon in der Auvergne so empfunden, wo ich mich so wohl gefühlt habe. Die Bretagne ist wunderschön und besonders. Dort gibt es viel zu sehen, viel zu besichtigen, Concarneau, Pont Aven, die Austern, das Salz, doch als Erholungsgebiete für einen Urlaub mit Motorrad, Zelt und Schlafsack sind mir das Perigord und die Auvergne lieber. Ich mag die Landschaft, die Mittelgebirge, die dichten Wälder und die verschlungenen Straßen.
Die Auvergne ist der am dünnsten besiedelte Landstrich Frankreichs und morgen werden Pieps und ich dort unser Lager aufschlagen.
zum nächsten Tag...
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