Reise in die Bretagne Tag 1: Kiel - Lörrach Tag 2: Lörrach - Langres Tag 3: Langres - Gien Tag 4: Gien - Saumur Tag 5: Saumur - Pontorson Tag 6: Mont Saint Michel Tag 7: Cancale - Trébeurden Tag 8: Lannion - Brest - Chateaulin Tag 9: Chateaulin - Concarneau Tag 10: Pont Aven - Südbretagne Tag 11: Salzgärten von Guérande Tag 12: Saint-Nazaire - Surgères Tag 13: Cognac - Jumilhac-le-Grand Tag 14: Jumilhac-le-Grand Tag 15: Jumilhac-le-Grand - Murol Tag 16: Château de Murol Tag 17: Murol - Camp Le Gouffre Tag 18: Vercors - Chartreuse Tag 19: St.Claude - Camp Cibourg Tag 20/21: Cibourg - Lörrach - Kiel
In Gien
Tüten voller Gebäck stehen säuberlich aufgereiht auf dem Tresen der Rezeption. Eine davon ist meine. Die Croissants darin sind kleiner und trotzdem schwerer als zuhause. Butter wiegt. Das Restaurant nebenan ist geschlossen, aber der charmante Monsieur de Camping hat einen Schlüssel und versorgt mich mit heißem Kaffee.
Ich setze mich auf die verwaiste Terrasse vor dem Restaurant und trinke den ersten Schluck Kaffee, während eine gewisse Maus sich beherzt über die Tüte mit den Croissants hermacht: "Das sind ja auch Echte, wegen da Ben Hur draufsteht, näh?!", kräht Pieps fröhlich und kaut dabei unverdrossen mit offenem Mund. Auf der Tüte steht Bonjour, ob sie das meint? Jedenfalls sind die Croissants noch warm und schmecken so vorzüglich, wie Croissants wohl nur in Frankreich und ganz besonders am Beginn eines langen Urlaubs schmecken können.
Am Boden des Frühstücks wische ich die Finger mit den Resten der Tüte ab, schlüpfe mit zarten Butterfingern mühelos in meine Handschuhe und starte den Motor. Heute fahren wir bis an die Loire. Auf meinem Weg in die Bretagne, werde ich für eine Weile dem Fluss folgen und einige der Schlösser fotografieren, für die das Loiretal so bekannt ist.
Die Vogesen liegen inzwischen weit hinter uns und so geht es die ersten Kilometern wieder über flaches Land. Schnurgerade führt die Straße zum Horizont. Auf einem Hügel in der Ferne taucht Langres auf. Schon von weitem sind die Zwillingstürme der Cathédrale Saint-Mammès de Langres zu erkennen. Die Stadt liegt auf derselben Hochebene, auf der auch die Flüsse Marne und Seine entspringen.
Kilometer um Kilometer zählt die Anzeige des Garmin die Tagesetappe herunter. Irgendwo im Nirgendwo halte ich an einem Tankautomaten und lasse frische 98 Oktan in den winzigen Tank der Kawasaki laufen. Automatentanken ist unglaublich praktisch, schon weil ich dabei die Konfrontation mit Pieps und der Quengelware an der Kasse elegant vermeide.
Es ist Pfingstmontag, die Geschäfte sind geschlossen und auf den Straßen ist kaum Verkehr. Nur der große Intermarche-Super in Chatillon-sur-Seine ist geöffnet und ich bin froh, eine Gelegenheit zum Einkaufen zu finden. Mit dem Korb in der Hand tigere ich durch die breiten Gänge und erbeute schon nach wenigen Metern die erste Flasche Rotwein. Läuft gut, denke ich und gehe zügig weiter in die Fleischabteilung. Der Schlachter, ein wahrer Hühne mit roter Mähne und einem Bart in selber Farbe, wartet mit stoischer Mine hinter seinem Tresen auf Kundschaft. Meine Güte, du bist aber ein Großer!
"Une Entrecôte s'il vous plaît", eröffne ich das Gespräch. An meinem breiten Kieler Akzent erkennt er wohl die deutsche Touristin, denn ohne zu zögern nimmt er das einzige, wirklich das einzige magere Steak aus dem Tresen.
"No, no, no, Monsieur!", starte ich mein Gezeter, das einer Concierge zur Ehre gereichen würde und deute resolut auf das ganze Stück, den ganzen Braten, ein mächtiger Laib mit einem Fettauge von der Größe einer Kinderhand. Mit breitem Grinsen nimmt er das große Stück Fleisch aus dem Tresen und säbelt eine Scheibe davon ab, die auch Ragnar Lodbrok und seinen Jungs Freude gemacht hätte.
"Qui. Mercy monsieur", lenke ich mit schnippischem Unterton ein. Nicht alle Deutschen sind fettfürchtende Putenversteher, aber leider weiß ich nicht, wie man das auf Französisch sagt und so bleibt dem rothaarigen Hühnen diese Lektion erspart. Als Frau ist es von grundlegender Bedeutung, Männern immer ein schlechtes Gewissen einzureden, selbst wenn sie gar nichts falsch gemacht haben. So behalten wir die Oberhand.
Auf dem Weg zur Kasse komme ich an einem Regal voller Cassoulets vorbei. Cassoulet ist ein französischer Bohneneintopf und zudem eines meiner Lieblingsgerichte. Man bekommt es mit gegrillter Wurst, mit Schweinefleisch, Speck, ja sogar mit Enten- oder Gänsefleisch und auch wenn ich das jetzt noch nicht wissen kann, soll dieses Gericht im weiteren Verlauf der Reise noch eine gewichtige Rolle spielen.
Ahnungslos ob der kommenden Ereignisse bleiben die Büchsen unbeachtet im Regal zurück, doch zuhause werde ich meine Freundin Frau Currywurst fragen, ob sie ein einfaches Rezept zum Nachkochen hat, denn ich liebe Cassoulet. Überhaupt neige ich dazu, mein Herz an Lebensmittel, Speisen und Dinge zu hängen. Die enttäuschen einen selten und falls doch, ist es einen Tag später bereits Geschichte. So oder so...
Ich bin kaum vom Parkplatz auf die Straße eingebogen, als eine Brücke über ein seichtes Bächlein führt: Die Seine. So nah an der Quelle ist von dem berühmten Fluss, der 250 km von hier am Eifelturm vorbeifließt, noch nichts zu erahnen.
Es ist erstaunlich, wie ländlich und dünn besiedelt Frankreich außerhalb seiner Metropolen ist. Während sich in Deutschland auf jedem einzelnen Quadratkilometer 229 Menschen tummeln, sind es in Frankreich bloß 105. Die Abwesenheit von Menschen ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal bei der Auswahl meiner Reiseziele: In Estland waren es 32, in Norwegen 13 und nächstes Jahr in Island werden es nur 3 Einwohner pro km² sein, gerade einmal drei mehr, als auf der Venus.
An einer Stelle, die ich kaum anders beschreiben kann, als Am Asch der Welt, komme ich an einen Wegweiser mit der Aufschrift Abbaye de Fontenay. Ich biege ab und folge dem Schotterweg bis zur Mauer eines Klosters.
Der Parkplatz ist voller Autos und auch ein Dutzend Motorräder mit Schweizer Kennzeichen steht dort. Ich zupfe die 'gute' Kamera aus dem Tankrucksack und sehe mich um. Der Zugang zum Kloster führt am Kassenhäuschen vorbei, wo 9 EUR für den Besuch aufgerufen werden. Nein, das lasse ich aus. Um den Gegenwert von neun Croissants auszugeben fehlen mir Interesse und Geduld.
Über den Zaun hinweg entdecke ich die Schweizer Motorradgang, die einem Führer durch den Klostergarten folgt. Ich mache einen Schnappschuss durch das Tor und schlendere zurück zu meiner Maschine. Es ist ohnehin zu heiß, um sich lange in der Sonne aufzuhalten und ich bin froh, als mir der Fahrtwind wieder entgegen pustet.
Sechs Kilometer weiter liegt Montbard. Das Städtchen döst träge in der Mittagshitze, die Straßen sind verlassen. Es ist wunderbar, in einem Land Urlaub zu machen, in dem es nicht jeden Tag regnet, kalt und nass ist. Meine Irlandreise kommt mir in den Sinn, auf der ich mehr Wasser abbekommen habe, als die blöde Titanic.
In Auxerre, einer Stadt von 35.000 Einwohnern überquere ich die Yonne. Ich parke das Motorrad vor der Brücke und gehe zu Fuß bis in die Mitte des Flusses. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf die historische Altstadt mit der Abtei Saint-Germain und der Kathedrale Saint-Étienne.
Ich drehe das Weitwinkel von der Kamera und tausche es gegen ein 90 mm Objektiv. Damit passen die gewaltigen Bauwerke gerade noch ins Format. Ich mache ein paar Aufnahmen und freue mich über den wunderschönen Tag. Am Fuß der Kathedrale findet an diesem Wochenende ein Jahrmarkt statt und die Ansagen der Karussellbremser schallen über den Fluss zu mir herüber.
Pieps ist fasziniert von den gelben Quietscheenten und will partout nicht glauben, dass jede etwa 5 m hoch ist und ganz sicher nicht in unseren Tankrucksack passen wird: "Nein, ganz sicher nicht!" Wir lassen den Blick von der Brücke ein paar Minuten auf uns wirken und fahren dann weiter.
Zwei Stunden später erreiche ich bei Châtillon-sur-Loire das Ufer der Loire. Auf einer langen Brücke mit vielen gemauerten Pfeilern überquere ich den Fluss. Jetzt sind es nur noch wenige Kilometer bis nach Gien.
Schon von weitem entdecke ich das vertraute Stadtbild Giens mit seinem Schloss, das sich mitten aus einem Wald von Häusern erhebt und majestätisch über der Loire thront. Bei der letzten Reise habe ich einen Jokertag eingelegt und die Stadt zu Fuß erkundet, aber heute will ich nur mein Zelt aufschlagen und mich später dem Entrecôte widmen, dass der rothaarige Schlachter mir verkauft hat.
Als ich im Camp de Gien an den Tresen der Rezeption stiefele und meine Campingkarte präsentiere, sind meine Daten noch im System gespeichert. Das freut mich und bezahle die 12 Euro Campinggebühr mit meiner Kreditkarte.
Camping Gien ist ein großer Platz, der sich über weite Flächen am Ufer der Loire erstreckt. Beim letzten Besuch hab ich ewig gesucht, bis ich 'meinen' Platz gefunden habe und ich sehe keinen Grund, alles erneut zu erkunden. Zielstrebig steuere ich die bekannte Parzelle mit Blick über den Fluss auf Gien an.
Es kommt selten vor, dass ich zweimal denselben Ort bereise. Lieber möchte ich immer Neues entdecken, aber trotzdem merke ich, dass es eine Qualität hat, an einen Ort zurückzukehren, an dem man sich schon einmal wohlgefühlt hat. Gien ist solch ein Ort und es fühlt sich gut an, das Lager wieder am selben Platz zu errichten, wie zwei Jahre zuvor.
Ich stelle das Zelt auf und registriere mit Genugtuung, dass es heute nur noch halb so lange dauert. Trotzdem bin ich froh über den Sonnenschein und 22°, denn um das Zelt unter Gefechtsbedingungen aufzustellen, fehlen mir noch einige Übungsstunden.
Pieps und ich drehen zuerst unsere gewohnte Platzrunde, ein Ritual in jedem Camp, sowie unser Zelt wohnlich eingerichtet und die Frage geklärt ist, wer heute das Snoopy-Nachthemd anziehen darf.
Als wir zurückkommen, traue ich meinen Augen nicht: Ein Holländer mit Wanderbaustelle hat sich genau zwischen mich und die Aussicht gequetscht. Damit steht es 2:0 für Holland, denn dasselbe ist mir schon in Durness passiert. Holländer sind wie Ameisen. Man findet sie überall und keiner weiß so genau, wozu sie eigentlich gut sind.
Anstatt mich zu ärgern, baue ich für Pieps und mich die Küche auf und mache alles für ein schönes Abendessen fertig, ich decke den Tankrucksack als Abendbrottisch und entkorke den Bordeaux.
Das Entrecote sieht göttlich aus und entpuppt sich als der zäheste Bursche, den ich jemals gekaut habe. Kein Wunder, dass der Schlachter so gelacht hat. Als ich fertig bin, spüre ich jeden Muskel in meinem Kiefer, während eine gewisse Maus quietschvergnügt ist, weil sie mehr als sonst abbekommt. Nur ein weißer Hai könnte sich mit Pieps Kauwerkzeugen messen.
Im Tankrucksack findet sich noch ein kleiner, böser Ziegenkäse, der perfekt zu dem roten Bordeaux passt. Doch, so allmählich fängt der Urlaub richtig an. Morgen geht es weiter am Ufer der Loire entlang...