Im Schweizer Jura
Bevor ich starte, will ich mich noch vom TurboDoc aus Bremen verabschieden. Ihr Zelt steht am anderen Ende des Camps auf einer Anhöhe. Mit der reisefertig beladenen Enduro tuckere ich den Hang hinauf zu ihrem Zelt. Ein toller Platz. Abgeschieden und schattig. Wieso habe ich den gestern nicht entdeckt?
"Darf ich mich zum Abschied mal auf deine KTM setzen?" "Klar." Ich schwinge mich in den Sattel der Enduro und da ist es wieder, das alte KTM Feeling. Aber ich habe mir geschworen, keine KTM mehr zu kaufen. Zwei waren genug. Oder waren es nicht?
In der Ferne taucht ein Eisenbahnviadukt auf. Es ist eine dieser Landschaften wie aus einem Märklin Katalog, so künstlich hübsch und so gemacht sieht die Szenerie aus. Leider entgeht mir, dass es sogar drei Viadukte sind, die aus dem richtigen Winkel fotografiert ein tolles Bild ergeben.
Gleich im ersten Ort gibt es eine Metzgerei. Boucherie steht außen dran. Mit steifen Beinen stiefele ich zur Tür. Eine Klingel schallt melodisch durch den Laden, als ich sie öffne. Der Laden ist leer, das Fleisch abgedeckt. Mittagspause.
Der Metzger hat die Klingel gehört und kommt nach vorne in den Laden. Er ist nicht amüsiert, der Lehrling hat wohl vergessen, die Tür abzuschließen. "Pech Leute", denke ich. "Wer Fleisch hat und seine Tür nicht abschließt, hat im Nu Svenja und Pieps im Laden."
Laut aber sage ich: "Bonjour" und bestelle zwei Scheiben Entrecôte. Nein, nicht vier. Beachten Sie die Maus am besten gar nicht.
Die Schweizer sind in mehr als einer Hinsicht ein ungewöhnliches Völkchen und die Metzger machen da keine Ausnahme: Jedes Stück Fleisch, wirklich jede Scheibe, ist einzeln in Plastik verschweißt. Der Metzger zieht eine der Plastikscheiben unter der Abdeckung aus dem Tresen, schneidet die Folie auf und legt das Steak auf den Waage: 180 g.
Pieps hat inzwischen getrockneten Speck in Tüten entdeckt. Ich lege zwei der Tüten auf den Counter. Die sind ideal für den Autozug. Falls sie so lange überleben, denke ich mit einem zweifelnden Seitenblick auf das graue Knäuel im orangen Pulli.
Der Fleischer tippt drei Artikel in die Kasse: 29,50 Franken. Wie ich erfahre, sind das zufällig genau 29,50 EUR. "Na gut, Leute, aber den Kassenbon hebe ich auf. Wenn die Biester zäh sind, oder auch nur ein bisschen mager, dann bring ich sie zurück."
Ich bin kaum aus dem Laden, da rasseln hinter mir die Rolläden herunter und die Ladentür wird vernehmlich verriegelt. Vermutlich feiern sie jetzt, weil sie den Umsatz für den Rest des Sommers drin haben.
Ein letztes Mal auf dieser Reise wandern Pieps und ich mit dem Handtuch überm Arm zum Waschhaus. Eine letzte Nacht im Zelt. Morgen schlafen wir schon im Autozug auf dem Weg nach Hamburg. Von dort sind es nur noch 96 km bis nach Kiel.
Das Reisen mit Motorrad, Zelt und Schlafsack macht etwas mit einem. Alles ist anders als im Alltag. Das Wetter bestimmt den Tag. Man ist völlig außerhalb seiner Komfortzone, aber wenn man häufig genug im Zelt schläft, jeden Abend dasselbe Lager aufschlägt, die Matte ausrollt, den Schlafsack hinlegt und das Nachthemd aufs Kissen legt, dann entsteht ganz allmählich eine neue Komfortzone. Eine andere als zuhause, aber nichtsdestotrotz eine Wohlfühlzone, in die man sich gerne zurückzieht, weil sie vertraut ist und Geborgenheit gibt. Aus dem Notnagel vergangener Jahr, in denen ich mir kein Zimmer leisten konnte,ist eine ganz eigene Premium Reiseform geworden. Ich liebe das Zelten mehr denn je.
Wenn ich einmal alt bin, werde ich mich an diese Tage erinnern. Wie jung ich war, wie gesund und fit, voller Lebensenergie und Tatendrang. Als meine größten Sorgen waren, ob Greeny neue Reifen braucht, das nächste Entrecote fett genug ist, und welche neuen Enduros im Herbst auf der EICMA präsentiert werden.
zum nächsten Tag...
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