In die Auvergne
Lange bevor die Rezeption öffnet, breche ich das Zelt ab und schnalle die Ausrüstung aufs Motorrad. Es war eine ruhige, kühle Nacht, sogar die Grillen haben geschlafen. Ausgeruht und voller Tatendrang starte ich die Maschine. Der vertraute Ruck, als ich den Schalthebel mit dem Fuß herunterdrücke. Die Kupplung schläft noch.
Auf der ruhigen Departementstraße begegnet mir nur selten ein Auto. Es gibt auch nicht viel, wo man hinfahren oder herkommen könnte. Ortschaften sind dünn gesät im Périgord. Erst in Chamberet stoße ich auf eine Autowerkstatt, die auch Benzin verkauft.Ich steige vom Motorrad und nehme den Tankrucksack ab. Ein Mann im grünen Overall kommt aus der Werkstatt und übernimmt das Tanken. Ich drücke ihm einen Zehner in die Hand und mache mich wieder auf den Weg.
Das Périgord ist das Masuren Frankreichs. Schmale Back Roads, winzige Dörfer, Wälder und Hügel. Ab und zu eine namenlose Siedlung, die bloß aus einer Handvoll Häusern, ein paar verwitterten Fensterläden und zwei oder drei Renaults besteht. Die Fahrt macht jeden öden Kilometer wett, den ich je ertragen musste.
Auf den ersten Blick könnte man Château de Val für ein Wasserschloss halten, aber der Eindruck täuscht. Die Burg hat erst nasse Füße bekommen, als sie 1952 den Staudamm gebaut haben. Davor stand sie 500 Jahre lang hoch und erhaben auf einem Felsvorsprung und beherrschte das Tal der Dordogne. Heute rasen sonnengebräunte Typen mit Spiegelsonnenbrillen auf Motorbooten und Jet Skis am Fuß der Burgmauer entlang.
Hinter Mont-Dore verändert sich die Strecke. Sie wird noch schöner, höher und alpiner. Es ist Juni und die Blumen auf den Wiesen stehen in voller Blüte. Ich halte immer wieder an, um Fotos zu machen. Meine Güte, ist das schön hier.
Auf dem Col de la Croix St.Robert halte ich an. In der Ferne leuchtet blau der Lac Chambon und irgendwo zwischen hier und dem See liegt Camping Serrette. Dort habe ich schon auf meiner letzten Reise in die Auvergne gezeltet.
Ich bezahle für zwei Übernachtungen und bestelle für morgen ein Frühstück vor, das auf Französisch Petit Dejeuner heißt. Morgen ist Sonntag und das ist kein Tag zum Motorradfahren. Am Montag habe ich Landstraßen und Pässe wieder ganz für mich und niemand stört meine Kreise.
Camping Serrette liegt in 1040 m Höhe. Dort ist es im Sommer angenehm kühl, aber trotzdem baue ich das Zelt im Schatten auf. Wann hatte ich auf einer meiner Reisen schon einmal solches Superwetter? Die teuren, neuen Regensachen> von Held habe ich noch nicht einmal ausgepackt. Möge es lange so bleiben.
Wenn ich früher geschrieben habe, dass man auf Campingplätzen keine Biker mehr sieht, dann stimmt das nicht ganz. Inzwischen hat sich etwas Neues, etwas ganz Famoses aufgetan, das ich schon mehrfach bewundert habe: Da steht ein Wohnmobil. Irgendwas Einfaches am unteren Rand der 80T EUR Klasse, komplett mit Klima, Federkern und Satelliten-TV. Dazu ein Ehepaar Mitte Fünfzig. Dahinter ein Anhänger und darauf ein Motorrad, eine BMW GS1200, die Adventure mit dem 30 Liter Tank und allem, was der Touratech Katalog bietet, inklusive dem großen Kofferset.
Ich beneide die Beiden. Sie könnten Sonntagmorgen auf der GS nach Limoges düsen, den ersten Flieger nach Ibiza nehmen, mittags einen Tauchkurs machen und bevor es mit dem letzten Flieger zurück geht, könnte sie sich eine Rose auf die Schulter stechen lassen und er sich ein Tribal auf die fette Wade, dass ihn im Gegenlicht erscheinen lässt, wie Ragnar Lothbrok auf Cortison. Mehr Urlaub geht nicht.
Doch auch Pieps und ich genießen einen kleinen Luxus und setzen uns ins Restaurant. Ich zahle der kleinen Kneule einen Vorschuss auf ihr Taschengeld aus - nach meiner Rechnung das für September 2019 - und bestelle mir eine Karaffe Weißwein.
Diese Reise ist der völlige Gegenentwurf zu Island im nächsten Jahr. Eine Reise nach Frankreich steht für Ferien, hübsche Campingplätze, weiches Gras, Bäume, Wärme und Sonnenschein, Wein und gutes Essen. Mit einem Wort: Erholung.
Island dagegen wird eine Herausforderung, ein Abenteuer, eine Challenge für Greeny, Pieps und mich. Ich kann es kaum erwarten.
Nach einer kurzen, aber nicht weniger hitzig geführten Diskussion darüber, ob man sich auch "bei Klein" und "wenn man einklich gaah nix angefasst hat", die Hände waschen muss, trotten wir über den dunklen Platz zurück zum Zelt. Ich will ins Bett, die kühle Nachtluft kriecht allmählich unter mein Nachthemd.
Minuten später liegen wir beide wieder in unserem warmen Schlafsack und träumen neuen, aufregenden Abenteuern entgegen...
zum nächsten Tag...
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