An der Jammerbucht
Der Vollmond wirft einen kalten, silbrigen Glanz auf den Limfjord und vom anderen Ufer scheinen gelb die Lichter der alten Klappbrücke Vilsundbroen herüber. Pieps und ich schlummern selig unterm Mondschein und bekommen von all dem nichts mit.
Ich schnappe meine Waschsachen und gehe hinüber ins Servicehaus. Aus unsichtbaren Lautsprechern klingt ein dänischer Sender. Die Zähne putze ich zu Lady Bump und ahme im Takt Penny McLeans coolen Bump-Tanz nach. Als der Song 1975 herauskam war ich 13 und mein ganzer Stolz war eine raubkopierte Musikkassette aus Thailand mit diesem Song. Meine Güte, waren wir jung. Inzwischen ist Penny siebzig, ich fünfundfünfzig und Musikkassetten gibt es schon lange nicht mehr.
Bevor die Gedanken an meine verlorene Jugend und längst verklungene Popsongs mich melancholisch machen, marschiere ich energisch zurück und mache mich daran, das Lager abzubrechen. Pieps hat schon angefangen und alle möglichen Sachen aus dem Zelt heraus gezerrt. Mein Snoopy Nachthemd liegt zerknüllt im Gras.
Nichts vertreibt trübe Gedanken so zuverlässig, wie eine hyperaktive, fröhliche Maus. In Windeseile wird alles gepackt und die schlanke, hochbeinige 250er Enduro ist startklar. Der neue Helm ist noch ungewohnt und ich fummele eine Weile an meinem Hals herum, bis ich den Verschluss zubekomme.
Langsam tuckere ich vom Campingplatz hinunter nach Thisted hinein. Kurz hinter dem Motorradhändler gibt es eine große SHELL-Station. An der Rückseite der Tanke stehen Tische und Stühle mit Blick auf Thisted Havn. Da will ich frühstücken.
Nördlich des Limfjord wird die Landschaft eintönig und öde. Ein böiger Wind pfeift über das flache Land und obwohl es nicht kalt ist, fröstele ich ein wenig. Die Etappe bis in die nächste Stadt sitze ich stumpf ab und hänge dabei meinen Gedanken nach.
In der Meierei bestelle ich ein Ribbesandwich und setze mich mit Pieps nach draußen in die Sonne. Dieser fette Burger mit Rotkohl und Knusperbauch ist die Entdeckung der Reise. Kurz darauf sitzen Pieps und ich wieder zufrieden auf dem Motorrad und fahren weiter Richtung Norden.
Die Straße raus nach Skiveren ist im Grunde nur ein asphaltierter Feldweg. In Schweden und in Litauen wäre dies bloß eine Piste mit grobem Schotter. Ein Wegweiser zeigt nach links zum Campingplatz und genau drei Minuten später endet die Straße und ich stehe mit der Enduro auf dem Strand.
Wenn ich links abbiege, könnte ich fast die gesamte Jammerbucht am Strand zurückfahren bis Løkken. Alles auf dem Strand und einen großen Teil davon völlig legal. Am besten fährt man dort, wo sich die Wellen überschlagen und der Sand ganz fest ist. Selbst die derben Stollenreifen hinterlassen kaum eine Spur und mit der nächsten Welle ist sie wieder verschwunden.
Vor 30 Jahren bin ich hier mit meinem Jeep am Strand gefahren. Hinten im Wagen stand meine Freundin Anke und hat gejuchzt vor Freude, wenn ich durch die Priele geheizt bin und das Wasser hochgespritzt ist.
Bevor ich weinerlich werde, fallen mir ein paar Aktionen der letzten Jahre ein, bei denen ich vorher kein bisschen nachgedacht habe, obwohl es vielleicht besser gewesen wäre. Einige davon auf meiner Reise nach Masuren, die sehr spannend war und vermutlich die billigste, die ich je gemacht habe.
Skiveren Camping ist einer der großen 4-Sterne Premiumplätze direkt am Meer. Gewöhnlich würde ich solch einen Platz meiden, wie der Harleyfahrer den Klapphelm, aber zum Ende der Saison ist der Platz ein Paradies: Er hat die modernsten und besten Waschhäuser, es gibt einen Supermarkt, Restaurant, Bäckerei, einen Schlachter und ein Café und dazu die allerschönsten Spielplätze, aber keine Kinder. Kurzum: Wo es in der Hauptsaison unerträglich ist, findet man jetzt perfekte Ruhe und Erholung.
Dafür darf ich mir den perfekten Platz aussuchen, eine große Parzelle, die von drei Seiten mit Knick umrandet ist und einen eigenen Picknickplatz hat. Das Grün ist perfekt und ich baue in Ruhe das Zelt auf, während Pieps mit den Resten ihres Taschengelds zum Supermarkt flitzt.
Ein Mann, der mit jener endlosen Ruhe, wie sie für viele Dänen typisch ist, sein Vorzelt sauberwischt, erzählt mir von dem kleinen Café, das morgen seinen letzten Tag hat, bevor es über den Winter schließt. Die Waffeln dort sollen vorzüglich sein und wenn ich eine möchte, dann soll ich mich beeilen.
Auf dem Weg ins Café sammele ich Pieps ein, die vorm Købmand auf einem Holzpferd sitzt und selig ein Eis schleckt. Das Wievielte? Ich frage besser nicht.
Im Café sind sie beinahe erstaunt, dass überhaupt noch jemand kommt, aber der Koch eilt sofort in die Küche, um eine Waffel für uns zu backen. Es ist unglaublich, wie ähnlich er dem Smørrebröd Koch aus der Muppet Show sieht. Bis auf die pinkfarbene Fliege stimmt jedes Detail, sogar der Schnauzbart. Das kann nur Absicht sein.
Aus der Küche ist kurz darauf das typische Geräusch von Schneebesen auf Edelstahl zu hören. Die machen die Waffel tatsächlich frisch, kein Wunder, dass sie solch einen guten Ruf haben.
Nach ein paar Minuten ist es der Koch höchstpersönlich, der den Teller mit der Waffel vor mich hinstellt. Ich versuche ganz bewusst nicht an die Muppet Show zu denken, um nicht aus der Rolle zu fallen, aber ein Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.
Zu der knusprig gebackenen Waffel gehören eine Kugel Vanilleeis und dieser schneeweiße, zuckersüße Schaum, mit dem Negerküsse gefüllt sind. In der Küche steht eine Riesenschale davon. Wie viele Dickmanns muss man schlachten, um eine ganze Schüssel voll zu kriegen? Tausend? Und was machen sie mit den kleinen Waffeln, die unten drunter sind?
Am Boden der zweiten Tasse Kaffee wandern wir zurück zu unserem Zelt. Ich setze mich an den Picknicktisch und öffne eine Dose von dem herben dänischen Bier, um die klebrige Süße loszuwerden. Es ist ein perfekter Tag, das Wetter, das Motorradfahren, der Zeltplatz, einfach alles, und doch kann ich fühlen, dass meine Mundwinkel nach unten zeigen. Ich muss an Papa denken und krieg die Bilder vom Begräbnis nicht aus dem Kopf. Es ist gut, dass ich diese Reise mache.
Die Sonne geht früh unter und taucht die Natur in ein warmes, herbstlich goldenes Licht, aber sowie die letzten Sonnenstrahlen verschwunden sind, kriecht die Kälte über den Platz.
Morgen werden wir uns Skagen ansehen und Råbjerg Mile und die Tilsandede Kirke. Und wir werden Stjerneskud essen und überhaupt einen ganz wunderbaren Tag haben und vielleicht können wir abends ... brrrRrrr... bzzzZzzz...
zum nächsten Tag...
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Das war im Grunde ein völlig ereignisloser Tag, aber vielleicht macht gerade das die Erholung im wunderschönen Dänemark aus. Alles ist so unaufgeregt und ruhig. Wie das Ticken einer Großvateruhr. Ich liebe es, hier zu sein.