Skagen
Mitten in der Nacht wache ich frierend auf. Meine Güte, ist mir kalt. Das Thermometer im Zelt steht bei 5.1°C. Ich nehme das Thermo-Inlet, ziehe es in den Schlafsack ein und winde mich bibbernd hinein. Mir wird schnell wieder warm und ich schlummere selig weiter. Pieps hat von der ganzen Aktion nichts mitbekommen. Mäuse...!
Der Købmand auf dem Platz hat gestern etwas von Kaffee und Brötchen gesagt, mal sehen, was er hat. Ich wandere nach vorne zur Schranke und gehe in den platzeigenen Supermarkt. Der selbe Mann wie gestern steht am Counter.
"God morgen", sage ich und versuche es richtig auszusprechen.
"Kannst du mir ein Kaffee kochen?"
"Ja, wieviel möchtest du?"
"Zwei Becher und noch drei Dänische Brötchen."
Ich kaufe ein halbes Pfund gesalzene Butter dazu und erfahre nebenbei, dass Dänische Brötchen in Dänemark nur Brötchen heißen. Komisch, bei uns heißen sie Dänische Brötchen und in Kiel gibts die bei jedem Bäcker. Versteh' einer die Smørrebrøds.
Er stellt alles in einen Kuchenkarton, den ich vorsichtig, ganz vorsichtig, zurück zum Zelt balanciere. Nicht ein Tropfen ist übergeschwappt, als ich das Tablett abstelle. Ich decke uns einen Frühstückstisch wie aus der Rama-Reklame, nur dass wir gute Butter haben, und schneide die Brötchen auf.
Es ist unglaublich, wie lecker solch ein einfaches Frühstück sein kann. Bloß die dänischen Brötchen, die hier nur Brötchen heißen, und gute Butter. Kein Fleisch, keine Marmelade, keine Kalorien. Ein Gesundfrühstück und trotzdem so lecker. Das macht die Nordseeluft, denke ich, und streiche noch ein wenig Butter auf den Blätterteig.
Råbjerg Mile ist eine Wanderdüne auf Skagens Odde, der 6 km breiten Landzunge, an deren Ende Skagen liegt. Sie ist 40 m hoch und bedeckt mehr als einen Quadratkilometer Land. Nichts, was man gerne im Vorgarten haben möchte.
Die Düne wandert jedes Jahr etwa 15 m weiter und es gibt Schätzungen*, wonach sie im Jahr 2130 die Landstraße nach Skagen erreichen und 30 Jahre später in der Ostsee verschwinden wird. Was immer sich diesem Sandmonster in den Weg stellt, wird zugesandet.
*Quelle: Wikipedia.
Es ist ein tolles Gefühl, auf diesem monumentalen Sandhaufen herumzuklettern. Mit etwas Fantasie fühlt man sich in die Sahara versetzt. Ich würde gerne davon berichten, wie Råbjerg Mile damals Drehort für Dune - Der Wüstenplanet gewesen ist, aber das war sie nicht und deshalb gibt es nichts weiter zu erzählen.
Etwas später geschah eine Kleine Eiszeit. Das kalte Klima führte global zur Eisbildung und der Meeresspiegel sank um etwa 10 cm. Dieser geringe, im Grunde zu vernachlässigende Unterschied führte dazu, dass an den Küsten größere Flächen Strand dem Wind ausgesetzt waren.
Etwa um 1770 erreichten die Ausläufer der Wanderdüne Kirkemile, vermutlich ein Kumpel von Råbjerg Mile, die Friedhofsmauer um die Kirche. Man schaufelte und fegte den Sand einfach beiseite. Lästig, aber keine Bedrohung, allenfalls eine kleinere Unannehmlichkeit.
Kirkemile aber hatte nicht Råbjerg Miles gemütliches Wesen, sondern bewegte sich eroberungslustig mit 45 m pro Jahr durchs Land. Bereits 1775 konnte der Eingang der Kirche nur noch durch ständiges Sandschaufeln freigehalten werden und 20 Jahre später, an einem Sonntag, war die Kirche nicht mehr zu retten.
Hans Christian Andersen erzählt von diesem Tag in seinem Märchen Eine Geschichte aus den Sanddünen:
Am folgenden Morgen war Sonntag, die Gemeinde und der Pfarrer begaben sich zum Gottesdienst. Der Weg zur Kirche war mühsam gewesen, der Sand hatte den Weg fast ungangbar gemacht, und jetzt, da sie endlich am Ziel waren, lag ein großer Sandhügel hoch aufgetürmt vor dem Eingang zur Kirche, die Kirchentür war verschüttet.
Der Pfarrer sprach ein kurzes Gebet und sagte, Gott habe die Tür dieses seines Hauses verschlossen, die Gemeinde müsse zurückkehren und dem Herrn anderswo ein neues Haus errichten. So sangen sie ein Psalmlied unter freiem Himmel und wanderten zurück in die Häuser.
Im Jahr 1795 wurde St. Laurentius von Christian VII., König von Dänemark und Norwegen, endgültig geschlossen. Der Friedhof wurde noch bis 1810 genutzt, danach lag er selbst begraben unter dem Sand von Kirkemile. Der Turm der ehemals roten Backsteinkirche wurde weiß getüncht und diente fortan als Seezeichen für die Schiffe, die an der gefährlichen Küste entlang segelten.
Ich verzichte auf die Innenansicht und wandere zurück zum Sandparkplatz, wo mein Motorrad steht. In einem Kiosk werden Eis und Andenken verkauft. Pieps wünscht sich ein grell pinkes Wassereis, das so künstlich aussieht, dass es mich schüttelt, aber eine gewisse Maus ist entzückt. In einer Vitrine stehen winzige Gipsmodelle der versandeten Kirche und ich kaufe eines davon für meine Claudia.
Jetzt sind es nur noch ein paar Kilometer bis in die Innenstadt von Skagen. Ich fahre durch bis zum Hafen und stelle die Maschine irgendwo ab, wo sie nicht stört. Meinen schönen neuen Helm stülpe ich über den Rückspiegel, nehme den Fotoapparat und gehe im Hafengelände auf Entdeckungsreise.
Die Auswahl ist unglaublich. Was immer Nord- und Ostsse hergeben, wird hier frisch vom Kutter serviert. Besser wird man wohl nirgendwo Fisch essen können. Man sitzt direkt auf dem Pier ohne jedes schickimicki Kellnergedöns und die Preise sind völlig in Ordnung.
Das Gericht steht bei jedem der Fischrestaurants auf der Tafel. Ich trete an die Luke von Havnens Fiskehus Skagen und bestelle einmal Stjerneskud und ein Nordic Øl. Fisch muss schwimmen, denke ich. Die Frau gibt mir einen kleinen Diskus, der Signal geben soll, wenn das Essen fertig ist und abgeholt werden kann.
Gedankenverloren nippe ich an dem kalten Carlsberg, als der Diskus wie wild zu vibrieren, zu blinken und zu piepen beginnt. Er macht eine richtige Show. Ich gehe an die Futterluke und tausche den Diskus gegen einen Teller mit dem kunstvoll angerichteten Essen.
Bevor ich zurück ins Camp fahre, steht noch ein Besuch am dänischen Nordkap an, wo die Wellen der beiden Meere aufeinandertreffen. Wer sich die Mühe macht und bis ganz ans Ende der Landzunge wandert, kann mit einem Fuß in der Nordsee und dem anderen in der Ostsee stehen.
Auf dem Rückweg in den Ort hinein komme ich an drei Leuchttürmen vorbei. Der erste ist Skagen Vippefyret, das Wippenfeuer. Etwa 1627 hat man einen Feuerkorb mit einem Wippengestell in den Himmel gehievt, damit es für die Schiffe sichtbar wurde. Der primitive Leuchtturm hat hundert Jahre lang Unmengen von Brennholz verschlungen und damit einen erheblichen Anteil an der Versandung der Gegend, denn es wurde alles abgeholzt, was als Brennmaterial geeignet war.
Kinder sind so voller Träume und wer bin ich, sie zu zerstören? Unsere Welt ist voller Zauber mit Greeny Pieps und Svenja auf Reisen. Wir erleben auch unsere Abenteuer, schlafen im Zelt, fahren Motorrad, haben großen Spaß, sehen schöne Dinge, fremde Orte und manchmal fürchten wir uns auch, aber das gehört zu jeder Reise dazu.
Uns ist nie langweilig und wenn, dann ist das nur für einen Moment und ich weiß, dass wir gerade die ultimative Erholung genießen, so wie auf der Insel Saaremaa in Estland, wo wir so schöne Tage im Sommer verbracht haben.
Manchmal frage ich mich, ob es jetzt besser oder schlechter, schöner oder weniger schön wäre, wenn noch ein weiterer Mensch dabei wäre. Man würde pausenlos reden, sich dauernd bei allem abstimmen und besprechen. Ich würde sicher weniger Zeit für mein Tagebuch haben und vielleicht weniger Fotos machen. Dafür könnten wir uns gut unterhalten, aber das muss nicht so sein. Nein, so wie es ist, ist es gut. Außerdem hab ich schon mit Pieps alle Hände voll zu tun.
Am Beginn von Kapitel 11, wo es um das Quidditch Match zwischen Gryffindor und Slytherin geht, lege ich das Kindle beiseite. Zeit fürs Abendessen. Im Super Brugsen habe ich uns einen kompletten Ribbensteg besorgt. Den decke ich zum Abendbrot auf und kurz darauf sitzen wir in der untergehenden Sonne und mampfen den knusprigen Braten in uns hinein.
zum nächsten Tag...
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Es ist weit bis dort oben an die Spitze Dänemarks, aber Skagen ist unbedingt einen Besuch wert. Ich hab' viele Fotos gemacht, hoffentlich sind sie was geworden...