Polnische Grenze
Als ich um kurz nach acht endlich aufstehe und für kleine Zenys gehe, habe ich meine Chance auf Klopapier bereits verspielt, denn es ist keines mehr da. In den Kabinen hängen nur noch leere Papprollen und vor dem einzigen Waschbecken steht bereits eine ältere Dame und putzt sich die Zähne.
Die Städte und Dörfer sind an diesem Morgen menschenleer und auch in Hronov sind die Straßen wie leergefegt. Es dauert einen Moment, bis ich darauf komme, dass heute Sonntag ist und viele Menschen sicher noch schlafen.
Bis jetzt funktioniert das ganz ordentlich, aber nun bekomme ich doch einen Schreck. Polska? Wieso denn Polska?
In Kraliky wird es Zeit für ein zweites Frühstück. Nachdem ich das Motorrad betankt habe, bezahle ich das Benzin und bestelle einen Hotdog und einen Becher Kaffee dazu.
Für den Hotdog bezahle ich 28 Kronen, das ist ungefähr ein Euro. Erst vor wenigen Wochen habe ich in Norwegen noch sechs Euro für einen Tankstellen Hotdog bezahlt. Es ist verblüffend, wie preisgünstig Tschechien ist.
Bevor der Tankwart mir den vollen Becher gibt, streut er etwas braunes Pulver auf den Kaffee. Der aromatische Duft ist unverkennbar, es ist Zimt. Neugierig nippe ich daran und tatsächlich, die Mischung schmeckt ausgezeichnet, denn die beiden Aromen ergänzen sich perfekt.
Es sind auch diese kleinen Dinge, die man auf Reisen kennenlernt, die mich so faszinieren und sofort mache ich eine Notiz, mir auch einen Zimtstreuer zu besorgen, wenn ich wieder zuhause bin.
Hinter Kraliky geht es auf abgelegenen Nebenstraßen weiter. Es herrscht wenig Verkehr und die Tschechen sind angenehme und disziplinierte Autofahrer. Sie halten sich an die erlaubten Geschwindigkeiten und sie blinken sogar bei abknickender Vorfahrt. In Deutschland bin ich die Letzte, die diese Regel kennt. Da soll zwar noch ein älterer Oberstudienrat in der Nähe von Sulzbach wohnen, der das ebenfalls tut, aber diese Behauptung ist bisher nicht bestätigt.
Es ist erstaunlich, wieviele Menschen in der Natur unterwegs sind und Sport treiben. Da sind Mountainbiker, Rennradler, Inline Skater, Läufer, Imperial Walker und sogar Typen auf Skiern mit kleinen Rollen darunter, die wie blöde die schmalen Straßen entlang rasen.
Sie alle teilen sich die Straße mit dem normalen Autoverkehr und nehmen soviel Rücksicht aufeinander, dass es total sympathisch wirkt. Außerdem fällt mir auf, wieviel Geld die Leute in ihre Ausrüstung stecken, man sieht nur das neueste Equipment großer Marken. Die sind wirklich sportbegeistert, die Tschechen.
Hinter Jesenik werden die Berge höher und die Straße steiler. Auf Serpentinen windet sie sich durch dichten Wald nach oben in ein Skigebiet. Noch wächst Gras auf den Skipisten und die Sessellifte stehen still, aber an der Talstation warten bereits die Schneekanonen.
Wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht beim Discounter einkaufe, aber heute kann ich nicht wählerisch sein, denn es ist Sonntag und ich bin froh, wenn ich überhaupt einen Laden finde, der geöffnet ist.
Von allen Discountern fand ich Penny stets am schlimmsten. Unaufgeräumt und schraddelig häufen sich Reste vergangener Sonderverkäufe in billigen Drahtgondeln und auch der Markt in dem ich jetzt einkaufe, fügt sich nahtlos in dieses Bild ein, nur dass die Fleischabteilung kleiner ist.
Das Abendessen am Zelt ist für mich das heilige Ritual jedes Reisetages, aber jetzt macht sich zunehmend Verzweiflung breit, während ich mit dem Einkaufskorb in der Hand suchend durch die Gänge streife, denn ich entdecke nichts, das mir gefällt. Das Angebot sieht noch unappetitlicher aus, als das bei Penny in Kiel.
Mir bleiben nur die Nürnberger Bratwürste, die sehen ganz gut aus und Nürnberger mag ich. Sie sind in Päckchen zu zehn Stück eingeschweißt, aber ich habe keinen rechten Appetit mehr und nehme nur zwei Pakete. Dazu lege ich ein Bier, ein Brötchen und ein KitKat in den Korb, bevor ich zur Kasse gehe und die Ware aufs Laufband lege.
Das Display zeigt am Ende 136 CZK und als ich das im Geiste umrechne, bin ich einigermaßen erschüttert, denn ich komme nur auf 5 € für den kompletten Einkauf.
Von meiner Pension, die in einigen Jahren fällig wird, könnte ich hier sicher besser leben als in Kiel, jedenfalls wenn man Bratwurst, Bier und Schokoriegel mag.
Mein Ziel für heute ist das Kemp Bozenov, ein Campingplatz, der auf seiner Website ganz vielversprechend aussah und der einsam im Wald gelegen ist.
Ich folge der löcherigen Asphaltstraße in den Wald hinein und stehe nach einem Kilometer vor einer Freizeitanlage mit Tennisplatz, Minigolf und Gartencafé. Es ist Sonntagabend und die letzten Tagesgäste reisen gerade ab.
Auch dieser Platz entpuppt sich als Hüttenvermietung mit angeschlossener Zeltwiese, einer ziemlich miesen Wiese übrigens, auf der noch matschige Pfützen vom letzten Regen stehen.
Nein, heute werde ich eine Hütte mieten, denn ich brauche Strom, um die Akkus von Handy und Navi zu laden. Auf den letzten beiden Plätzen hatte ich dazu keine Gelegenheit.
Ich stelle das Motorrad am Tennisplatz ab und gehe hinüber zur Rezeption. Hinter einer vergitterten Luke, aus der auch der Ausschank fürs Gartencafé erfolgt, stehen zwei sympathisch wirkende Jungs in den Zwanzigern, nur wie sag ich denen, was ich möchte?
"Ahoj, I woud like to rent a Cottage for the Night. Ich würde gerne eine Hütte mieten." An ihren ratlosen Gesichtern erkenne ich, dass sie keine Ahnung haben, was ich möchte.
"A Cottage, eine Hütte", sage ich noch einmal lauter und lege dabei den Kopf seitlich auf die gefalteten Hände, das internationale Zeichen für Schlafen.
Ich zeige auf eine Hütte, die auf einem Plakat hinterm Tresen abgebildet ist und jetzt verstehen die Beiden. Einer schiebt mir ein Formular über den Tresen und legt einen Kugelschreiber dazu.
Das Formular ist DIN A4 groß, mit vielen Feldern und komplett in der Landessprache, aber Tschechisch ist so verschieden von allem, was ich kenne, dass ich kein einziges Wort verstehe und willkürlich irgendwo meinen Namen und das Datum hinschreibe.
Die restlichen Felder lasse ich entweder frei, oder schreibe irgendwas hinein, das mir einfällt. Die Beiden scheint das nicht weiter zu stören. Ich bezahle 28 Euro und erhalte einen Schlüssel mit der Nummer 10 darauf.
"Do you have anything to eat, some kind of Meal? Hot Dishes? A Snack? Essen?", versuche ich mein Glück erneut, denn ich bin ohne Weiteres bereit, die Nürnberger für ein schöneres Angebot sofort zu verlassen.
Beide Jungs lächeln mich strahlend an, aber sie verstehen mich ebenso wenig, wie ich ihre Gegenfrage. Mit einem entschuldigenden Lächeln verabschiede ich mich und fahre hinüber zu meiner Hütte, der Nummer zehn.
Ich stecke den langen Buntbartschlüssel ins Türschloss, drehe ihn in dem hakeligen Schloss und öffne die Tür. Uff...! Darauf war ich nicht gefasst.
Das Schönste sind die beiden Steckdosen an der Wand und der Tisch auf der Terrasse. Ich lege meinen Schlafsack auf die Matratze im unteren Bett und setze mich mit der Landkarte und meinen Reiseplänen nach draußen. Jetzt wird es Zeit für meinen Plan B.
Morgen übernachte ich noch einmal in Tschechien, aber schon am folgenden Tag sollte ich die Grenze erreichen und wieder in Deutschland sein.
Trotz allem bin ich gespannt auf morgen, wenn ich das tschechische Inland von Nord nach Süd durchquere und sicher noch viele neue Eindrücke bekomme.
zum nächsten Tag...
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Es ist mir unangenehm, dass Tschechien mich bisher so wenig begeistert, aber ich muss ehrlich bleiben, vor allem mir selbst gegenüber. Es wäre falsch, die Wahrheit zu korrigieren, nur um eine nette Geschichte zu erzählen.
Über mein Reiseland sage ich nichts Schlechtes, sondern nur soviel, dass es mir persönlich, Svenja Kühnke, im September 2013 bisher nicht so gut gefallen hat, was vermutlich sogar an mir selbst liegt, wie ich gerne einräume.