Durch Österreich...
Am Waschbecken neben mir steht Frau Huber, eine Dame in den Achtzigern, die ihr silbernes Haar in Form bringt und mir dabei die Lebensgeschichte ihres Bruders erzählt. Normalerweise würde ich mich schon vor Langeweile kratzen, aber heute morgen genieße ich die kleine Unterhaltung. Und die Sache, die ihrem Bruder mit dieser jungen Ärztin in Australien passiert ist, ist wirklich der Hammer. Er hätte sie aber trotzdem nicht heiraten sollen, da sind Frau Huber und ich uns einig.
Erst als Frau Huber ihre Sachen nimmt und sich verabschiedet, gehe auch ich endlich zurück zum Zelt. Inzwischen sind dunkle Wolken aufgezogen und es weht ein merkwürdig warmer Wind. In Rekordzeit breche ich das Lager ab, verstaue alles auf dem Motorrad und bin startklar.
Ich liebe diesen Moment, wenn man sich morgens aufs Motorrad setzt, das Gepäck sauber verstaut, und man langsam vom Zeltplatz auf die Straße rollt, die ersten Gänge durchschaltet und behutsam den Motor warmfährt. Solch ein Gefühl von Aufbruch und Freiheit, während man noch nicht weiß, was der Tag bringt. In diesen Momenten fühle ich mich so stark, als sei ich unverwundbar und könne die Welt aus den Angeln heben.
Als ich durch die verglaste Schiebetür ins Cafe-Restaurant eintrete, ist es wie ein Zeitsprung zurück in die Achtziger. An den Tischen wird geraucht, gegessen, sich unterhalten und nach Herzenslust gequarzt. Zigarettenqualm schwebt über allen Tischen und neben den Tellern stehen die halbvollen Aschenbecher.
Ich selbst habe nie geraucht, aber es hat mich auch nie gestört und heute morgen, da liebe ich es geradezu, denn Rauchen hat auch etwas mit Geselligkeit zu tun, dabei könnte ich selbst an keiner Zigarette ziehen, ohne mich vor dem Geschmack auf der Zunge zu ekeln.
Das Diner ist brechend voll, Stimmengewirr, Geschirrklappern und dazwischen Kellnerinnen, die auf bequemen Schuhen lautlos von Tisch zu Tisch huschen und mit großem Geschick noch größere Portionen von deftigem Essen balancieren.
Der einzige freie Tisch ist reserviert, aber als eine Kellnerin mich bemerkt, sieht sie kurz auf die Uhr und gibt den Platz für mich frei, denn bis die Gäste kommen ist noch Zeit genug.
Ich bestelle ein Trucker Frühstück und bin gespannt, was da kommt, denn mehr als diese Bezeichnung steht nicht auf der Karte. Es bleibt gerade genug Zeit, um die Geschichte von Frau Huber aufzuschreiben, als die Kellnerin schon das Tablett mit dem Frühstück bringt.
Nach einer halben Stunde sitze ich wieder auf dem Motorrad und fahre weiter. Die Häuser, die Landschaft, Kirchen, Straßen, Gehöfte und sogar die Kühe auf der Weide sind so reizend anzusehen, dass ich ganz hingerissen bin von Österreich. Welch ein schönes Land das ist und die Menschen finde ich bisher total sympathisch.
Zugleich ist das Land mir in manchem ebenso fremd wie Tschechien. Schlachter heißen hier Fleischhauer und ganz normale Brötchen sind plötzlich Semmeln. Die Frechheit aber erlaubt sich ein Laden in Gmünd, der ganz dreist unseren ALDI kopiert und einfach nur Hofer dranschreibt, ansonsten sieht alles genauso aus.
Ich bin versucht anzuhalten, reinzugehen und ein paar klare Worte zu sagen, aber ich weiß nicht, ob meine Kompetenz ausreicht, den Laden auf der Stelle dicht zu machen und deshalb lasse ich es. Aber ich behalte euch im Auge, Leute!
In Weitra biege ich von der Hauptstraße ab und fahre durch das Stadttor in den Ort hinein. Die engen Gassen und die schmuckvollen alten Häuser sind so ganz anders, als ich es aus Schleswig-Holstein gewohnt bin.
Aus den Tiefen meiner Endurojacke krame ich ein Päckchen Speck hervor, das ich aus guten Gründen nicht im Tankrucksack verstaut habe. Ich mag das, lässig auf einer Bank zu sitzen, die Füße hoch, die Welt zu beobachten und dabei eine Kleinigkeit zu essen.
Heute abend soll es Steak geben, am liebsten Entrecote. Im ersten EDEKA ist es leider Fehlanzeige, ich glaube, die wussten nicht einmal, was das ist, beim Metzger nebenan, so heißen hier die Schlachter, dasselbe, kein Entrecote.
In Untergriesbach gebe ich EDEKA eine zweite Chance und tatsächlich gibt es zumindest eine kleine Auswahl von Rindfleisch. Nicht premium, aber ganz ok. Ich entscheide mich für zwei Rumpsteaks, die leider schon mariniert sind, aber anderes haben sie leider nicht. Dazu nehme ich zwei kleine Flaschen Merlot und ein Päckchen Schafskäse. Wenn das Rindfleisch so mager ist, dann muss ich das Fett eben vom Schaf zufüttern.
Claudie hat im Internet den Campingplatz Tröpplkeller entdeckt, zu dem ein großes Gasthaus mit Biergarten gehört, oder vielleicht ist es auch umgekehrt.
Während ich noch sinniere, was jetzt zu tun ist, werde ich von oben angesprochen. Auf dem Balkon über mir steht eine ältere Dame, während ein kleiner Pinscher danebensteht und pausenlos kläfft, wie es nur kleine Hunde können. Ätzend, aber so erfahre ich, dass ich mein Zelt irgendwo aufstellen darf, es käme später jemand zum Kassieren vorbei.
Der Platz wirkt ein wenig vernachlässigt, beinahe etwas ungepflegt, aber ich denke, das ist auch dem Saisonende geschuldet. Dafür habe ich die freie Platzwahl, es steht nämlich kein anderes Zelt auf dem Platz, abgesehen von ein paar Dauercampern, deren Vorzelte schon mit Moos bewachsen sind.
Das Ätzende ist nicht die Landstraße, die am Platz vorbeirauscht, oder die Hauptstrecke der Bundesbahn, auf der die Züge vorbeirasen, sondern so ein winziger grüner Schienenfloh der Waldbahn, der gefühlt alle paar Minuten über eine Brücke ganz in der Nähe fährt und dabei ein Signal erschallen lässt, wie der ICE-Rheingold auf Speed.
Gegen Abend wird es kühler und ich ziehe meine Fleecejacke und den Windbreaker über. Es ist so gemütlich im Zelt. Ich sitze mit dem Dubs auf der Isomatte, vor mir in der Pfanne brutzeln die Steaks und nebenher nasche ich Schafskäse und süffele Merlot aus dem Metallbecher.
Viel besser kann so ein Abend nicht sein, denke ich. Gleich werde ich noch das Geschirr abwaschen gehen und dann mit der zweiten Flasche Merlot und meinem Kindle im Schlafsack verschwinden.
zum nächsten Tag...
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Heute habe ich ein neues Reiseziel für mich entdeckt, Österreich. Eines Jahres werde ich dorthin eine lange Motorradreise machen und mir alles genau ansehen.