Von Bayern an die Saale
Es ist genau 06:17 Uhr, als der gellende Pfiff der Waldbahn mich aus dem Tiefschlaf reißt und die Nacht beendet. Während die Sonne aufgeht mache ich mich schlaftrunken auf den Weg ins Waschhaus.
Inzwischen habe ich den Plan verworfen, dem Lokführer am nächsten Bahnhof aufzulauern und ihm eine zu kleben, aber nur, weil das zeitlich nicht mehr zu schaffen ist.
An der Kasse stehen Tabletts appetitlich belegter Brötchen, die hier Wurstsemmeln heißen. Ich wähle eine aus, bestelle einen Becher Kaffee dazu und ziehe mich mit meiner Beute an einen der Stehtische zurück.
Auf einer Tankstelle frühstücken, Tagebuch schreiben und die Leute beobachten, ich mag das so gerne, obwohl ich keinen einzigen vernünftigen Grund dafür nennen könnte.
Andererseits ist Bayern auch das Land der Ge- und Verbote: "Kartenzahlung erst ab 15 Euro, keine Fahrräder abstellen, bitte nicht an der Zapfsäule stehenbleiben, Wasserentnahme verboten, bitte keine Kanister füllen, hier kein Geschirr spülen."
Sogar auf einem simplen Sandparkplatz am Straßenrand gibt es eine große Tafel mit einer Parkordnung, die vorschreibt, wie man sich hinzustellen hat. Meine Güte, die haben wirklich ein ausgeprägtes Hausmeistergen, die Bayern.
Die Bäckersfrau strahlt die Art warmherziger Gelassenheit aus, in deren Nähe man sich sofort wohlfühlt. Auf meine Bestellung nimmt sie einen Laib gebackenen Leberkäse aus dem Ofen und schneidet eine Scheibe von der Stärke eines Maurerdaumens ab, die sie in ein aufgeschnittenes Brötchen tut. Dazu ein Tütchen süßen Senf und ein Becher Kaffee. Oh, ich liebe Bayern, ob die noch Leute aufnehmen?
In Hof fahre ich an einem Supermarkt vorbei und beschließe, die günstige Gelegenheit zu nutzen, um meine Einkäufe zu erledigen. Der Laden ist so riesig, dass ich es schnell bereue, in der Sportabteilung kein Fahrrad genommen zu haben, um damit zur Fleischabteilung zu radeln. Stattdessen schiebe ich einen viel zu großen Einkaufswagen vor mir her und staune über die ungewöhnlich große Verkaufsfläche.
Der Fleischtresen bietet wirklich alles, was das Herz begehrt und ich habe einige Mühe, mich zu entscheiden. Soll ich wieder Entrecotes essen? Bauchfleisch vielleicht, oder Koteletts? Kalb, Lamm oder Schwein?
Mein Blick fällt auf eine Spezialität, Koteletts vom Iberico-Schwein. Dreimal teurer als gewöhnliches Schweinefleisch, aber auch doppelt so fett. Die nehme ich. Dazu ein Paket Schafskäse und zwei Miniflaschen Rotwein.
Außerdem brauche ich Kettenspray. Das Getue mit dem Kettenfett von Czech nervt mich schon seit einer Weile. Das Zeug schmiert ausgezeichnet, ist aber so zäh, das es nicht nur die Kette, sondern auch Felgen und Speichen schwarz verklebt.
In der Autoabteilung entdecke ich ein Ölspray von Sonax, das mir sehr geeignet erscheint. Ab heute werde ich die Motorradkette mit SX90 Sprühöl schmieren. Eine Kette riskiere ich, danach weiß ich, was besser ist.
Irgendwo hinter Hof überquere ich die ehemalige Grenze zur DDR. Ein Schild mit dem genauen Datum erinnert an die Wiedervereinigung. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit. Das muss das einzige Mal gewesen sein, dass ich bei der Tagesschau vor Ergriffenheit geheult habe.
Ich schieße ein Erinnerungsfoto der Tafel und fahre weiter. Die Kawasaki läuft so wunderbar, dass es eine Freude ist. Wenn ich da an meine KTM zurückdenke, bei der die Vibrationen so stark waren, dass mir am Lenker die Hände eingeschlafen sind.
Der Nachmittag geht allmählich zu Ende und ich brauche bald einen Platz für die Nacht, doch nirgends sieht es so einladend aus, dass ich gerne bleiben würde. Was mache ich nur?
Vorsichtig lenke ich die Enduro über einen grotesk hohen Bordstein auf den Gehweg und halte an. Ich werde das Garmin nach dem nächst gelegenen Campingplatz zu befragen, immerhin hat das schon einmal für ein Abenteuer gesorgt.
"Camping Saaletal, Kloschwitz, 31,8 km", empfiehlt das Display. Auf nach Kloschwitz...!
Bis zur Abfahrt Halle-Trotha fahre ich auf der BAB 14 und von dort weiter auf der Landstaße. Schon nach wenigen Kilometer erreiche ich Wettin, einen kleinen Ort am Ufer der Saale. Auf einem Felsen über dem Ort thront majestätisch Burg Wettin. Oh, das ist aber hübsch hier.
Kloschwitz liegt am gegenüber liegenden Ufer der Saale und das Garmin zeigt hartnäckig hinunter zum Fluss, wo eine Fähre liegt, die so klein ist, dass sie mich an die Fjordfähre in Solvorn erinnert, mit der ich vor ein paar Monaten gefahren bin.
Vom Anleger geht es noch ein kleines Stück an der Saale entlang bis zum Camp Kloschwitz. Ich lasse die Enduro vor der Schranke ausrollen und stelle den Motor ab. Der Tageskilometerzähler steht bei 451 km.
Vor zehn Stunden bin ich in Zwiesel losgefahren, aber seit ich das Airhawk Kissen habe, machen meinem Dubs solche Etappen nichts mehr aus, dabei ist die Sitzbank der KLX kaum mehr als eine Hand breit und hart wie ein Brett.
Ich steige ab und gehe in das Holzhaus neben der Schranke, in dem die Rezeption untergebracht ist. Die Fenster sind klein und der Raum liegt im Halbdunkel. Das Erste, was ich wahrnehme, sind der Tresen und die Zapfhähne.
Dahinter sitzt ein Mann über irgendwelche Papiere gebeugt und schreibt konzentriert etwas in eine Liste. Als ich eintrete steht er auf und sieht mich erwartungsvoll an.
"Entschuldigung, aber bevor wir irgend etwas anderes machen, brauche ich erstmal ein Bier", ist der erste Satz, den ich in die Stille spreche.
Mit stoischer Miene nimmt er ein Bierseidel und hält es unter den Zapfhahn. Er stellt das randvolle Glas auf den Tresen und ich trinke es in zwei langen Zügen leer, aber nur deshalb, weil ich zwischendurch einmal Luft holen muss. Ich kann mich nicht erinnern, wann ein kaltes Bier zuletzt so gut getan hat.
'Wippraer' steht auf der Manschette. Nie gehört, aber es schmeckt ganz prima, obwohl ich heute vermutlich noch kritikloser bin als sonst.
Jetzt bin ich bereit, in die Campingverhandlung einzutreten, die darin mündet, dass ich eine Meldekarte ausfülle, sieben Euro bezahle und erfahre, wo ich mein Zelt aufstellen darf.
Nebenbei werde ich darüber informiert, dass es nicht Kloooschwitz heißt, wie ich es spreche, sondern Kloschwitz, wobei das O wie das erste O in Otto gesprochen wird. Natürlich bleibe ich bei meiner Sprechweise und sage weiter Klo(kleine Pause)Schwitz, denn der Name ist einfach zu witzig, um Rücksicht auf lokale Befindlichkeiten zu nehmen.
Es dauert nicht lange, bis das Lager steht und mein Zelt gemütlich eingerichtet ist. Ich ziehe mich um und schlendere mit Pieps zurück zur Gaststätte. Auf der Terrasse hat sich in der Zwischenzeit eine Gruppe von Anglern niedergelassen, die sich nach allen Regeln der Kunst mit Bier und Kümmerling betrinkt.
Ich setze mich an den Tisch daneben und bestelle mir auch ein Bier. Der Wirt hat inzwischen kapituliert und stellt den Jungs den Karton mit den restlichen Kümmerlingen auf den Tisch, eine Lösung, mit der offenkundig alle zufrieden sind.
Nach dem zweiten Bier ist mein Tagebuch wieder aktuell und ich mache mich daran, die Angler in ein Gespräch zu verwickeln. Ich zeige sogar Interesse an dieser Angelsache, obwohl mich nichts weniger interessieren könnte, aber ich scheitere kläglich. Meine Güte, sind diese Typen zäh.
Mit ihren Frauen würde ich mich sicher besser unterhalten, denn meine trunkenen Angler sind wortkarg und langweilig, Jungs eben. Ich kenne nur wenige, mit denen man sich über etwas Anderes unterhalten kann, als Motorräder, Autos und alles, was man im Media-Markt kaufen kann, aber vielleicht bin ich auch nur zuviel mit Polizisten zusammen, oder eben mit Anglern, dabei kenne ich auch ein paar ausgesprochen Nette.
Inzwischen habe ich Appetit bekommen, es wird Zeit für mein Iberico Schwein. Die Scheiben sind klein genug, dass alle drei zusammen in die Pfanne passen. Voller Ungeduld stelle ich den Kocher auf die höchste Stufe und lasse das heiße Fett fröhlich ins Gras vor meinem Zelt spritzen.
Das Fleisch schmeckt gut, aber auch nicht so gut, dass ich noch einmal 22 Euro fürs Kilo Schweinefleisch ausgeben würde. Nein, dann kaufe ich lieber Entrecote, das ist nur wenig teurer.
Als es Abend wird, mache ich es mir im Schneidersitz vorm Zelt bequem, neben mir im Gras ein Becher mit Rotwein und vor mir fließt träge die Saale dahin. Ich liebe Zelten!
Als es dunkel wird, kommt einer der Kümmerlings-Angler mit drei lange Ruten ans Ufer, die er in speziellen Halterungen installiert und irgendwelche Elektronik einschaltet, mit der er vorhin auf der Terrasse schon herumgespielt hat.
Offensichtlich sind die Zeiten vorbei, als man einen Regenwurm ins Wasser hielt und stundenlang auf einen bunt gestreiften Schwimmer geglotzt hat. Heute werden die Angeln elektronisch überwacht und bevor der Angler sich auf den Liegesitz seines Opels zurückzieht, markiert er den Weg mit winzigen Leuchtstäben.
Wir unterhalten uns ein paar Minuten, aber ich merke schnell, dass er betrunkener und müder ist als ich. Gute Nacht Welt, gute Nacht Angler.
Viel bemerkenswerter ist mein Angler. Kommt er hektisch angerannt, um die Fische aus der Saale zu reißen? Nein, er schnarcht weiter selig in seinem Opel. Das sind vielleicht Typen, diese Angler.
Ich liege noch eine Weile wach, bis das Piepsen von allein aufhört. Irgendwo in der Ferne schlägt eine Kirchturmuhr, einmal, zweimal, dreimal, bevor ich wieder einschlafe.
zum nächsten Tag...
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Von Bayern habe ich leider nur wenig gesehen, aber das Wenige war schön und an den Osten muss ich mich wohl erst noch gewöhnen, Sachsen-Anhalt ist eben nix für Anfänger.