Durch Masuren
Manche Dörfer in Masuren erinnern an Städte aus dem Wilden Westen: Weit abgelegene Siedlungen ohne einen einzigen Meter Asphalt, alle Wege Sand und Staub. In einer langgezogenen Staubwolke reite ich durch Dörfer, die für mich namenlos bleiben, und genieße jeden Kilometer auf meiner Enduro.
Ein Sklep, zu Deutsch Laden, ist der Gegenentwurf zu einem Supermarkt und in Polen buchstäblich an jeder Ecke zu finden, sogar in den Dörfern, die in Deutschland viel zu klein für einen Laden wären.
Die junge Frau im Laden ist an diesem Morgen bereits bester Laune und auch wenn wir beide kein einziges Wort verstehen, hindert uns das nicht, engagiert aufeinander einzureden.
Der Erste, der in Polen darauf kommt, Kaffeebohnen zu mahlen, in eine Filtertüte zu geben und kochendes Wasser drüberzugießen, wird vermutlich ein Vermögen machen. Oder herzhaft ausgelacht werden...
Es ist erstaunlich, wie satt ein Stück Speck macht. Der Klumpen ist nicht größer als ein Apfel und ich habe selbst mal einen gegessen: Hat mich nicht satt gemacht, aber dieser kleine Klumpen Speck schafft mich.
Zufrieden starte ich den Motor der KLX und fahre weiter. Im Schatten einer Allee taucht vor mir ein langsam fahrendes Hindernis auf, vermutlich ein Trecker, aber nein: Oben auf dem Hänger sitzt ein Mann auf einem Strohballen und hält ein Paar lange Zügel in der Hand.
So oft ich über Masuren gelesen habe, kamen Pferdewagen darin vor und nun sehe ich selbst einen. Ein kleiner, drahtiger Typ mit Pferd und Wagen, der Strohballen fährt.
- In Masuren gibt es Sandwege, die als ganz normale Verkehrsstraßen zwischen Dörfern und kleinen Städten dienen. Alle Straßen? Nein, das nicht, aber erstaunlich viele und sie sind mit der Enduro prima zu fahren.
- Die Straßen in Masuren sind wunderschöne Alleen, schmale Asphaltbänder, die eng mit dicken, alten Bäumen gesäumt sind. Alle Straßen? Nein, aber fast alle!
- In Masuren fahren manche Bauern noch mit Pferd und Wagen. Stimmt, ich habs selbst gesehen.
Ich schalte runter und biege die Nächste rechts ab. Auf dem Großparkplatz stehen sechs Reisebusse, moderne, vollklimatisierte Doppelachser, die ganze Heerscharen von Touristen ausspucken.
Nein, diese Sehenswürdigkeit lasse ich aus. Zuhause werde ich auf Wikipedia lesen, dass ich die Kirche, das Kloster und die Basilika Święta Lipka verpasst habe, aber das macht nichts, dafür habe ich die Wurstabteilung bei TESCO in Stargard gesehen...!
Schon eine ganze Weile beschäftigt mich die Frage, weshalb Masuren mir so vertraut vorkommt und dann wird es mir klar: Alleen, Felder und Wiesen, kleine Seen, Äcker und Wälder. So muss Schleswig-Holstein vor etwa 50 Jahren noch ausgesehen haben und in der Gegend von Plön, Eutin und Ratzeburg tut es das heute noch.
Ich drehe ein paar Runden, komme aber immer wieder auf diesen Parkplatz zurück und gebe vorerst auf. Die muss hier irgendwo sein, die Festung Boyen. Ich stelle das Motorrad auf dem Gehsteig ab und schaue mich ratlos um.
Ich frage einige Passanten, aber niemand versteht mich, bis ich an eine Familie aus Leipzig gerate, die bereits einen Schritt weiter ist: "Sie stehen genau davor. Das ist die Festung. Der Teil, der halbwegs erhalten war, daraus haben sie ein Hotel gemacht und der Rest sind bloß Trümmer, die man von hier nicht sieht." Die Leipziger sind ebenso enttäuscht wie ich.
Die Innenstadt und die Ufergegend um den Stadtkanal, Kanał Łuczański, sind wunderbar restauriert und gepflegt, eine Anlage, die der Promenade in Travemünde Ehre machen würde.
Ich spaziere eine Weile umher und sehe mich um. Vor einem Wohnblock steht ein kleiner, roter Kiosk mit einem ungewöhnlichen Dach. Papierosy, Chemia, Prasa, steht auf einem Schild. Zigaretten, Chemie, Presse. Chemie? Sind das Kopfschmerztabletten, oder was mag das sein? Ich finde es nicht heraus und fahre kurz darauf weiter.
Die ersten beiden Male erschrecke ich mich noch, aber dann habe ich den Bogen raus: Man darf nicht zuviel Gas geben, sonst merken sie, dass sie keine Chance haben und geben zu früh auf. Nein, man muss genau das richtige Tempo halten, dann rennen sie sich die Seele aus dem Leib.
Ich mag Hunde, schließlich hatte ich selbst früher welche: Ivan und Odin, zwei Bullterrier. Die sind nie hinter was hergerannt und konnten eigentlich nur zwei Kommandos: Sitz und Töte, aber Ivan konnte Sitz nie besonders gut.
Die Stadt hat nur 4000 Einwohner, doch dafür ist der Verkehr auf der Einfallstraße heftig, was aber eher an der engen, kurvigen Straße in den Ort liegt, die mit Feldsteinen gepflastert ist. Gleich am Ortseingang entdecke ich einen Supermarkt und erledige meine Einkäufe. Die Stadt besichtige ich morgen, heute möchte ich früh zum Zeltplatz und mich ausruhen.
Der Campingplatz Wagabunda liegt auf einer Anhöhe über dem Mikołajskie See. Ich fahre die steile Uferstraße empor und biege auf den Parkplatz vor der Rezeption ein. Ich bin einigermaßen erstaunt und beeindruckt, wie modern die Anlage ist.
Nachdem eine junge Frau im eleganten Businesskostüm mich eingecheckt hat, fahre ich mit der Enduro auf den Platz und suche eine Stelle für mein Zelt. Die Campingwiese ist in so gutem Zustand, wie man es nur wünschen kann. Auf dem Platz stehen Wohnmobile aus Deutschland, Holland und Luxemburg, Einheimische entdecke ich nicht.
Ich mag es, schon am Nachmittag mein Lager aufzuschlagen und genügend Zeit für mich zu haben, zum Duschen, Haare waschen, Lesen, Schlafen, Tagebuch schreiben, die Gegend erkunden, oder nur auf der Matte vorm Zelt zu liegen und zu lesen.
Heute ist die Kurpackung dran. Auf jeder Reise nehme ich eine edle Kurpackung für meine Haare mit, die irgendwann, ungefähr zur Halbzeit, fällig ist. Bis dahin sind meine Haare so trocken und strohig geworden, dass ich ihnen etwas Gutes tun muss. Mit Handtuch und Kurpackung mache ich mich auf den Weg zum Waschhaus.
Die Waschräume und Duschen sind alt, wie aus einer vergangenen Zeit, aber sie sind top gepflegt und makellos sauber. Oh ja, hier dusche ich gerne, aber trotzdem scanne ich die Ecken misstrauisch nach irgendwelchen fetten Spinnen ab, die ein harmloses Endurogirl beim Duschen erschrecken könnten. Spinnen kann ich nicht leiden.
Das hat gut getan. Ich hänge das nasse Handtuch auf die Leine zwischen Zelt und Motorrad und lege mich mit feuchten Haaren zum Lesen in die Sonne. Am späten Nachmittag werfen die Bäume bereits lange Schatten und es wird augenblicklich kühler.
Heute gibt es für Pieps und mich ein wahres Festessen: Als Vorspeise werden Oliven auf Fetakäse gereicht und dazu ein Glas Chardonnay in einem Becher aus Metall.
Als ersten Hauptgang gibt es gebratenes Entrecote mit geröstetem Knoblauch an einem Bett von Zwiebeln, ein weiteres Glas Chardonnay und dann den nächsten Gang: Gebratenes Beefsteak Tatar an frischen Champignons.
Kein schlechtes Essen, wenn man bedenkt, dass alles aus einer winzigen Pfanne auf dem Gaskocher stammt. Zufrieden und angemessen betrunken lege ich das Besteck aus der Hand und lasse mich auf den Schlafsack sinken. Ich brauche einen Moment, bevor ich mich aufraffen kann, den Abwasch zu erledigen.
An Tagen wie diesen wird mir bewusst, wie sehr ich das Zelten liebe. Sicher, ich habe auch schon angenehm im Hotel und B&B geschlafen, aber das Lagerleben macht mehr Spaß, ist freier und abenteuerlicher. Lesen, Reisetagebuch schreiben, fotografieren, ausruhen und abends etwas Gutes zu essen machen.
Die Sonne geht jetzt schon früh unter und kurz darauf steht der Mond hell und klar am Himmel über Nikolaiken.
zum nächsten Tag...
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Am schönsten ist es, wenn meine Tagesetappe nicht länger als 200 km ist und ich insgesamt etwa sieben Stunden beschäftigt bin mit fahren, besichtigen, fotografieren, tanken, einkaufen, und gegen 16 Uhr mein Zelt aufschlagen kann. Heute war so ein Tag.